Karl Plagge - Darmstädter Geschichtswerkstatt
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Tafel 3: Litauen und Wilna<br />
Litauen und Wilna im Zweiten Weltkrieg<br />
Im September 1939, nach dem deutschen Überfall auf Polen, vereinbarten Hitler und Stalin die Aufteilung<br />
Polens. Die westliche Hälfte wurde der deutschen, die östliche der sowjetischen Interessenssphäre zugeteilt.<br />
Die Eingliederung Litauens brachte eine Phase<br />
schwerer Repression: Verstaatlichung privater<br />
Unternehmen, Banken und Immobilien, Massenverhaftungen<br />
und Deportation von 10.000 bis<br />
20.000 „antisowjetischen Elementen“. Daher<br />
wurde die am 22. Juni 1941 einmarschierende<br />
deutsche Armee von Vielen als Befreier begrüßt.<br />
Sie überrollte die Rote Armee und löste deren<br />
Generalkommissariat Litauen chaotischen Rückzug aus. Aus den baltischen<br />
Staaten und Weißrussland wurde ein „Reichs-<br />
kommissariat Ostland“. In dem am 24. Juni besetzten „Stadtkommissariat“ Wilna<br />
übernahm der bisherige NS-Kreisleiter von Neumünster, Hans Christian Hingst,<br />
die Führung.<br />
Wilna, das „Jerusalem des Ostens“<br />
Wilna war immer eine Stadt mit einer gemischten Bevölkerung. 1941 bildeten die<br />
Polen die größte Gruppe seiner rund 200.000 Einwohner, weniger<br />
als 40.000 waren Litauer und ungefähr 70.000 Juden. Bereits im<br />
ausgehenden Mittelalter hatte der litauisch-polnische Staat Juden<br />
aus Franken und dem Rheinland Zuflucht geboten, die bald eine<br />
starke Minderheit bildeten. Im 18. Jahrhundert<br />
Anordnung Nr. 1 vom<br />
2.8.1941<br />
entwickelte sich Wilna unter dem Gaon (dem Weisen) Elijahu ben Salman<br />
zu einem geistigen Zentrum, über hundert Synagogen entstanden, die jiddische<br />
Sprache erhielt einen hohen Stellenwert. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert<br />
entwickelten sich neue, von Westeuropa und von Russland beeinflusste<br />
kulturelle und politische Bewegungen, die das gestärkte jüdische<br />
Selbstverständnis zum Ausdruck brachten. Beispiele sind der 1897 in Wilna<br />
gegründete sozialistische „Jüdische Arbeiterbund“, die 1896 entstandene<br />
(l.): Gedenktafel für den Gründer Strashun-Bibliothek als größte jüdische Bibliothek Europas und das 1925 ins<br />
des YIVO, Max Weinreich, Vilnius Leben gerufene YIVO (Yidisher Visnshaftlekher Institut), das sich der Er-<br />
(r.): Gaon von Wilna, Elijah Ben<br />
forschung und Pflege der jiddischen Sprache und Kultur Osteuropas wid-<br />
Salman (1720–1797)<br />
mete.<br />
Die Zerstörung<br />
Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Litauens wurden der jüdischen Minderheit zunächst bürgerliche<br />
Rechte, religiöse, kulturelle und administrative Autonomie garantiert. Die politisch-gesellschaftlichen<br />
Gewichte begannen jedoch, sich im Laufe der 1920er Jahre zu Ungunsten der jüdischen Bevölkerung zu<br />
verschieben. Nationalistische und antisemitische Kräfte, die eine „Lösung der jüdischen Frage“ forderten,<br />
nahmen bedrohlich zu. In der kurzen sowjet-litauischen Regierungszeit 1940/41 wurden die religiösen und<br />
kulturellen Einrichtungen der Juden – Synagogen, Schulen und kulturelle Organisationen – geschlossen, jüdische<br />
Lehranstalten wurden ebenso wie ein Großteil der jüdischen Unternehmen verstaatlicht, die größeren<br />
jüdischen Landwirte büßten ihr Land ein; gleichzeitig fanden nun, was zuvor undenkbar war, Juden in allen<br />
gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen Beschäftigung. Der Einmarsch der deutschen<br />
Armee im Juni 1941 und die sofort einsetzende planvolle Vernichtung der Juden versetzten der jüdischen<br />
Kultur und dem jüdischen Leben Litauens mit seinem geistigen Zentrum Wilna den endgültigen Todesstoß.<br />
Vor dem Holocaust lebten in Litauen über 200.000 Juden, während der Perestrojka in den 1980er Jahren<br />
20.000, heute noch ungefähr 5.000.<br />
„Die Jüdische Gemeinde Litauens … schließt am Ende des 20. Jahrhunderts das Buch ihrer Geschichte.“<br />
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