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Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe

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WISO<br />

Diskurs<br />

12<br />

Forschenden und Lehrenden stellen, in der Medienöffentlichkeit<br />

als „ideologisch“ bezeichnet<br />

und abgelehnt werden, lässt vermuten: Nach wie<br />

vor wird Wissenschaft von Frauen, Lesben und<br />

Transpersonen7 weniger ernst genommen. Dabei<br />

lässt sich der Ideologie-Vorwurf an feministische<br />

Wissenschaften ebenso gut umdrehen: Scheinbar<br />

neutrale „Erkenntnisse“ über Geschlecht dienten<br />

historisch und dienen bis heute dazu, Geschlechterhierarchien<br />

ideologisch zu legitimieren und<br />

festzuschreiben. So wurde Frauen einst die Befähigung<br />

abgesprochen, wählen zu gehen, politische<br />

Ämter zu bekleiden und Universitäten zu<br />

besuchen; begründet wurden diese Ausschlüsse<br />

von Frauen nicht zuletzt über vorgeblich objektive<br />

naturwissenschaftliche Erkenntnisse (Dölling<br />

1991; Hausen 2007; Palm 2008). Dieses – nur vorgeblich<br />

neutrale – Wissen über Geschlecht ist<br />

nicht allein an der Festschreibung von Hierarchien<br />

zwischen Männern und Frauen beteiligt,<br />

sondern auch an der normierenden Unterscheidung<br />

und Defi nition von Geschlecht selbst: Personen,<br />

die nicht den dominanten naturwissenschaftlichen<br />

Defi nitionen von „Mann“ oder<br />

„Frau“ entsprechen, werden gegenwärtig als<br />

„nicht normal“, „krankhaft“ oder irgendwie<br />

„falsch“ ausgeschlossen, abgewertet und diskriminiert.<br />

Dabei zeigt sich: Welche Geschlechter-<br />

Unterscheidungen anhand welcher Parameter<br />

vorgenommen werden, hat sich historisch gewandelt<br />

und ist höchst umstritten (polymorph<br />

2002; Fausto-Sterling 2000).<br />

Wissen über Geschlecht und Geschlechterverhältnisse<br />

ist nie neutral; Alltagsannahmen haben<br />

ebenso wie wissenschaftliches Wissen immer<br />

auch mit eigenen Erfahrungen, mit der eigenen<br />

gesellschaftlichen Position und mit politischen<br />

Interessen zu tun (Harding 1994; Hill Collins<br />

1990). Das gilt auch für jenes Wissen über Geschlecht,<br />

das nicht feministisch oder antifeministisch<br />

ist. Feministische Wissenschaften stellen<br />

dabei Wissen über Geschlecht bereit, das beim<br />

Abbau von Hierarchien und Normierungen und<br />

bei <strong>eine</strong>r gerechteren Gestaltung von Gesellschaft<br />

helfen soll – dieses Wissen gilt es zu nutzen.<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

2.5 Antifeministische Behauptung<br />

„<strong>Gleichstellungspolitik</strong> ist lesbische Interessenpolitik!“<br />

Feminismus und <strong>Gleichstellungspolitik</strong> seien vor<br />

allem von lesbischen Akteurinnen geprägt. Deshalb,<br />

so wird argumentiert, dienten sie allein<br />

lesbischen „Minderheiteninteressen“.<br />

2.5.1 Widerlegung<br />

– Die Behauptung ist lesbenfeindlich.<br />

– Die Aufspaltung in Lesben und heterosexuelle<br />

Frauen zielt hier auf die Schwächung von<br />

Feminismus und <strong>Gleichstellungspolitik</strong>.<br />

– Lesbische Partizipation ist <strong>eine</strong> Stärke feministischer<br />

Politik.<br />

– Die Behauptung, <strong>Gleichstellungspolitik</strong> sei an<br />

lesbischen Interessen ausgerichtet, ist falsch.<br />

2.5.2 Erläuterung<br />

Zunächst lässt sich diese antifeministische Argumentationsstrategie<br />

als klar lesbenfeindlich entschlüsseln<br />

und allein deshalb zurückweisen: Lesben<br />

werden als „Abweichung“ dargestellt und<br />

nicht als politische Akteurinnen anerkannt; politische<br />

Partizipation, Defi nitionsmacht und Gestaltungsmacht<br />

werden ihnen verweigert.<br />

Darüber hinaus zeigt sich, dass es sich bei<br />

diesem lesbenfeindlichen Argument um <strong>eine</strong> antifeministische<br />

Strategie handelt, die ein ganz<br />

spezifi sches Ziel verfolgt: Die Behauptung, dass<br />

Lesben und heterosexuelle Frauen grundsätzlich<br />

unterschiedliche Interessen hätten, zielt hier auf<br />

die Spaltung und Schwächung feministischer<br />

Politiken und <strong>Gleichstellungspolitik</strong>en im Allgem<strong>eine</strong>n.<br />

Dahinter steht <strong>eine</strong> generelle Abwehr<br />

und Abwertung von Frauen, Lesben und Transpersonen,<br />

die sich Sexismus und männlicher<br />

Dominanz widersetzen. Daher lohnt es, die Behauptung,<br />

Lesben und heterosexuelle Frauen verfolgten<br />

grundsätzlich unterschiedliche Interessen,<br />

daraufhin zu befragen, mit welchen Vorannahmen<br />

und Zielen sie verbunden ist. Zunächst<br />

7 Als Transperson bezeichne ich Personen, die sich selbst als Trans bezeichnen und die Einordnung als „Mann“ oder „Frau“ für sich zurückweisen,<br />

übertreten oder herausfordern (-> Glossar).

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