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Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe

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Wirtschafts- und Sozialpolitik<br />

3.2 Antifeministische Behauptung<br />

„Jungen sind die Bildungsverlierer.“<br />

3.2.1 Widerlegung und Erläuterung<br />

Männliche Schüler bilden in Hauptschulen die<br />

Mehrheit, in Gymnasien sind sie dagegen unterrepräsentiert.<br />

Sie werden später eingeschult, machen<br />

seltener Abitur und bleiben häufi ger ohne<br />

Abschluss. Auffällig ist den PISA-Studien zufolge<br />

vor allem der große Leistungsvorsprung der Mädchen<br />

beim Lesen. Im Vergleich dazu fällt der<br />

Kompetenzvorsprung der Jungen in Mathematik<br />

nur gering aus (Baumert et al. 2001; Prenzel et al.<br />

2007).<br />

Die Bildungsforschung hält es für falsch,<br />

männliche Schüler pauschal als Verlierer zu betrachten.<br />

Sehr differenziert setzt sich mit dieser<br />

Behauptung die Expertise Schlaue Mädchen –<br />

Dumme Jungen auseinander, die unter Federführung<br />

des Deutschen Jugendinstitutes entstand<br />

(Bundesjugendkuratorium 2009). Kriterien wie<br />

die soziale Schicht oder <strong>eine</strong> Zuwanderungsgeschichte<br />

haben danach <strong>eine</strong> größere Bedeutung<br />

als die Geschlechtszugehörigkeit.<br />

Die beteiligten Wissenschaftler/innen wenden<br />

sich gegen Verkürzungen im aktuellen Geschlechterdiskurs:<br />

Es gebe nicht „die Jungen“, die<br />

automatisch benachteiligt seien. Männliche<br />

Schüler aus bürgerlichen Familien haben in Mathematik<br />

und in den Naturwissenschaften überdurchschnittliche<br />

Noten; in den Leistungskursen<br />

für Physik oder Chemie überwiegen weiterhin<br />

eindeutig die Jungen (OECD 2008).<br />

Es wird behauptet, dass Jungen deshalb<br />

schlecht in der Schule seien, weil sie mehrheitlich<br />

von Frauen unterrichtet würden. Mitte der<br />

1980er Jahre waren zwei Drittel des Lehrpersonals<br />

an Grundschulen weiblich, inzwischen sind es<br />

fast 90 Prozent (Aktionsrat Bildung 2009). Ob<br />

Frauen oder Männer unterrichten, ist nach Auswertungen<br />

der Internationalen Grundschul-Lese-<br />

Untersuchung IGLU zwar nicht entscheidend für<br />

den Lernerfolg (Bos et al. 2003; Helbig 2010):<br />

Allein die Einstellung von männlichem Personal<br />

verändert also nicht die Qualität von Bildung<br />

und Erziehung (-> Kapitel 5.1). Vorrangig braucht<br />

es geschlechtersensible pädagogische Konzepte –<br />

etwa für aufgrund von Diskriminierung benachteiligte<br />

männliche Migrantenjugendliche. Das<br />

macht Frauen- und Mädchenförderung an Schulen<br />

und Hochschulen aber k<strong>eine</strong>swegs überfl üssig.<br />

3.3 Antifeministische Behauptung<br />

„Die Männergesundheit wird vernachlässigt.“<br />

3.3.1 Widerlegung und Erläuterung<br />

Die Lebenserwartung von Männern liegt in<br />

Deutschland derzeit 5,3 Jahre unter der von<br />

Frauen. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich<br />

der Abstand zwischen den Geschlechtern leicht<br />

verringert, was die Forschung mit der Angleichung<br />

weiblicher Rollen an herkömmliche männliche<br />

Lebensentwürfe erklärt. Die so genannte<br />

„Klosterstudie“ des Wiener Bevölkerungsforschers<br />

Marc Luy kommt zu dem Ergebnis, dass Mönche<br />

fast so alt werden wie Nonnen, weil sie nach ähnlich<br />

festgelegten Ritualen und Rhythmen, also<br />

unter vergleichbar stressfreien Umständen ihren<br />

Alltag gestalten (Luy 2009).<br />

Dass Frauen Männer um einige Jahre überleben,<br />

ist schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

bekannt, als erstmals geschlechtsspezifi sche Statistiken<br />

über Sterblichkeit erstellt wurden. Der<br />

frühere Tod von Männern ist aber kein biologisches<br />

Naturgesetz, sondern auf krank machende<br />

gesellschaftliche Bedingungen, historische Geschlechternormen<br />

und das ihnen zugeschriebene<br />

Rollenkorsett zurückzuführen (Scheele 2010).<br />

Viele Männer sorgen nicht gut für sich selbst,<br />

betrachten ihren Körper als <strong>eine</strong> Art Maschine,<br />

die nur gewartet werden muss, wenn sie überhaupt<br />

nicht mehr funktioniert. Viele Männer vernachlässigen<br />

ihre Gesundheit, ernähren sich<br />

falsch, missachten selbst massive Warnsignale.<br />

Sie riskieren zu viel und nutzen seltener medizinische<br />

Vorsorgeangebote (Volz/Zulehner 2009).<br />

Allerdings liegen die Zugangsschwellen zum Teil<br />

auch höher: So wird Brustkrebsvorsorge Frauen in<br />

<strong>eine</strong>m früheren Lebensalter angeboten (und von<br />

den Krankenkassen fi nanziert) als Männern die<br />

Vorsorge von Prostatakrebs.<br />

WISO<br />

Diskurs<br />

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