09.01.2013 Aufrufe

Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe

Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe

Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

WISO<br />

Diskurs<br />

52<br />

präsentiert wird, wenig mit dem tatsächlichen<br />

Inhalt des Konzepts zu tun hat (Roßhart 2007).<br />

Dort wird es meist verfl acht auf die Vorstellung<br />

<strong>eine</strong>r freien Wahl von Geschlecht, das wie ein<br />

Kleidungsstück morgens aus dem Schrank gezogen<br />

werden kann (theoretisch könnte man das<br />

vulgärkonstruktivistischen Voluntarismus nennen).<br />

Dabei geht die strukturelle Dimension<br />

von „gender“ verloren. Manchmal scheint dies<br />

ein Missverständnis zu sein, manchmal spricht<br />

daraus der Wille zur Polemik gegen politisch<br />

Unerwünschtes.<br />

Oft wird den Gender Studies zum Vorwurf<br />

gemacht, ihre Erkenntnisse entsprächen nicht<br />

den Beobachtungen aus dem eigenen alltäglichen<br />

Leben. Dass wissenschaftliche Analysen sich<br />

manchmal mit alltäglichen Wahrnehmungsmustern<br />

der Welt reiben, ist nicht auf die Gender<br />

Studies beschränkt: Wer ist schon mal im Alltag<br />

<strong>eine</strong>m Atom oder <strong>eine</strong>m Gen begegnet? Wer hat<br />

die „unsichtbare Hand“ des Marktes gesehen?<br />

Und ist es nicht immer noch ein wenig unintuitiv,<br />

dass die Erde <strong>eine</strong> Kugel ist, die noch dazu<br />

um die Sonne kreist? Dass wissenschaftliche Disziplinen<br />

mit abstrakten Konzepten und komplizierten<br />

Modellen hantieren, akzeptieren wir meist<br />

ohne Murren. Wer beispielsweise aufgrund der<br />

eigenen Erfahrungen mit der Schwerkraft der<br />

theoretischen Physik die Wissenschaftlichkeit<br />

abspricht, outet sich als IgnorantIn.<br />

Beim Thema Geschlecht werden die alltäglichen<br />

persönlichen Erfahrungen allerdings schnell<br />

umstandslos zur Welterklärung verallgem<strong>eine</strong>rt<br />

und zum Maßstab für wissenschaftliche Erkenntnis<br />

erklärt. Das zeigt zwei Dinge: Zum <strong>eine</strong>n, dass<br />

Geschlecht offenbar immer noch von Vielen als<br />

weiches, nicht ganz ernstzunehmendes Wissensgebiet<br />

(und Politikfeld) angesehen wird. Und zum<br />

anderen, dass das Thema starke Emotionen mobilisiert.<br />

Vielleicht weil es nah an Fragen von Identität<br />

und politischem Konfl ikt liegt, und deshalb<br />

als bedrohlich wahrgenommen wird? Sinnvoller<br />

wäre es, solche politischen Debatten offen zu<br />

führen. Sie werden klarer verlaufen, wenn dabei<br />

auf passende Konzepte aus den Gender Studies<br />

zurückgegriffen wird. Wenn man ernsthaft versucht<br />

sie zu verstehen, wirken sie womöglich<br />

direkt weniger bedrohlich.<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

7.4 Antifeministische Behauptung<br />

„<strong>Gleichstellungspolitik</strong> ist Umerziehung und Propaganda<br />

für Randgruppen – Lasst die Menschen leben<br />

wie sie wollen!“<br />

7.4.1 Widerlegung<br />

– Nichts lieber als das. <strong>Gleichstellungspolitik</strong> will<br />

niemanden von <strong>eine</strong>r bestimmten Lebensweise<br />

überzeugen.<br />

– Vielmehr sollen alle dieselbe Freiheit haben, so<br />

zu leben wie sie leben wollen.<br />

– Das kann auch den Abbau von Privilegien beinhalten<br />

– aber das ist gerade k<strong>eine</strong> Umerziehung,<br />

sondern einfach die Herstellung von<br />

gerechten Verhältnissen für alle.<br />

7.4.2 Erläuterung<br />

Wer für <strong>eine</strong> umfassende <strong>Gleichstellungspolitik</strong><br />

(-> Glossar) eintritt, wird oft von denjenigen angegriffen,<br />

die lieber an <strong>eine</strong>r „traditionellen“ Geschlechterordnung<br />

festhalten möchten. Sie können<br />

ganz beruhigt sein: Niemand möchte ihnen<br />

absprechen, beispielsweise <strong>eine</strong> klassische Ernährermodell-Ehe<br />

zu wählen. Es geht nur darum,<br />

dass dieses Recht der Wahlfreiheit allen zuteil<br />

wird – dass also zum <strong>eine</strong>n allen dieses Modell<br />

offen steht (z. B. Nicht-Heterosexuellen), zum anderen<br />

niemand in dieses Modell gedrängt wird<br />

(z.B. durch staatlich subventionierte „Sachzwänge“<br />

wie die Netto-Vorteile <strong>eine</strong>r bestimmten Arbeitsteilung<br />

durch das Ehegattensplitting oder<br />

durch mangelnde Kinderbetreuungs-Infrastruktur).<br />

Ausschlüsse festzustellen ist k<strong>eine</strong> Propaganda.<br />

Sie werden von konservativen VerteidigerInnen<br />

der heterosexuellen Eheprivilegien auch<br />

gar nicht geleugnet, im Gegenteil: Die Ausschlüsse<br />

werden ausdrücklich verteidigt, gern unter Berufung<br />

auf Natur oder staatliche Interessen. Genau<br />

das ist <strong>eine</strong> Normierung, genau das sind staatliche<br />

Eingriffe in das Privatleben, und genau das<br />

ist der Versuch von Umerziehung im Sinne <strong>eine</strong>r<br />

bestimmten Lebensführung. Wer sich vom Kampf<br />

um gleiche Rechte für alle schon in s<strong>eine</strong>m eigenen<br />

Lebensentwurf bedroht fühlt, sollte sich fragen,<br />

inwiefern die eigene Identität auf der Ab-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!