Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe
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Wirtschafts- und Sozialpolitik<br />
sprechend als Verbesserung der Beziehung von<br />
Individuen verstanden, oder aber als unzulässiger<br />
und angsterregender Eingriff („Umerziehung“) in<br />
Identitäten. Da werden aus den strukturellsten<br />
Aspekten von Geschlechterverhältnissen plötzlich<br />
(heterosexuelle) Beziehungsdramen, und<br />
politische Gestaltung bekommt den Horizont<br />
von Paartherapie: Es solle Partnerschaftlichkeit<br />
zwischen „Mann“ und „Frau“ angestrebt werden,<br />
als seien Geschlechterverhältnisse dasselbe wie die<br />
Beziehung zwischen <strong>eine</strong>m einzelnen Mann und<br />
<strong>eine</strong>r einzelnen Frau, die im Streitfall nur ein wenig<br />
mehr Kommunikation und Verständnis benötige.<br />
Ein solches Verständnis von Geschlechterpolitik<br />
steht in der Tradition der Abwertung von<br />
Geschlechterthemen als „weichem“ Politikfeld.<br />
Denn mit derartigen Personalisierungen hat Geschlechterpolitik<br />
seit jeher zu kämpfen: Statt sich<br />
mit den aufgeworfenen politischen Fragen zu<br />
beschäftigen, wurden die AkteurInnen aufgrund<br />
ihrer angeblichen Motive und Identitäten als<br />
„frigide Blaustrümpfe“, „männerhassende Emanzen“,<br />
„frauenhörige Softies“ usw. abgewertet.<br />
Statt strukturelle Fragen zu diskutieren, wurde<br />
Feminismus (-> Glossar) als Geschlechterkampf<br />
diffamiert, der sich beispielsweise in Scheidungen<br />
äußere. Diejenigen, denen an Veränderungen<br />
von Geschlechterverhältnissen gelegen ist, sollten<br />
die vorliegenden Analysen zu den unterschiedlichen<br />
Ebenen von individuell, institutionell,<br />
strukturell zu Rate ziehen. Und die stammen<br />
nicht wie in der Umweltpolitik aus z. B. Physik,<br />
Biologie oder Medizin, sondern aus der Geschlechterforschung.<br />
8.1.2 Geschlechterforschung ist kein<br />
Schuld-Diskurs – Menschen und<br />
Normen sind nicht dasselbe<br />
Auf der Grundlage ihres privatistischen Verständnisses<br />
von Geschlechterverhältnissen kritisieren<br />
AntifeministInnen Geschlechterforschung, Geschlechterpolitik<br />
und Feminismus. Sie verstehen<br />
Aussagen über Ungleichheit als moralisches Urteil<br />
über die beteiligten Personen oder irgendjemandes<br />
Intentionen. Beispielsweise sei die Segre-<br />
gation des Arbeitsmarkts einfach auf freie Wahl<br />
zurückzuführen und es gibt das Missverständnis,<br />
dass Diskriminierung (-> Glossar) auf persönliche<br />
böswillige Intentionen zurückzuführen sei. Eine<br />
glaubhafte Versicherung des guten Willens gilt<br />
gewissermaßen als Beweis, dass k<strong>eine</strong> Diskriminierung<br />
vorliegen könne, und plötzlich befi nden<br />
wir uns nur noch auf der Ebene von Anschuldigung<br />
und Verteidigung. Die Feststellung von Geschlechterungleichheiten,<br />
die Benennung von<br />
Benachteiligungen und Privilegiertheiten sind<br />
aber k<strong>eine</strong> Urteile über individuelle Schuld. In<br />
den Gender Studies fi ndet <strong>eine</strong> analytische, historische,<br />
empirische, selbstrefl exive Arbeit statt<br />
(Becker/Kortendiek 2010), die nichts zu tun hat<br />
mit dem personalisierenden Schuld-Diskurs, den<br />
AntifeministInnen unterstellen.<br />
Dies gilt auch für Aussagen über Männlichkeit(en)<br />
und Weiblichkeit(en). Eine Aussage<br />
beispielsweise über <strong>eine</strong> problematische Männlichkeitsnorm<br />
ist nicht dasselbe wie <strong>eine</strong> Aussage<br />
über Männer, und erst recht nicht dasselbe wie<br />
ein moralisches Urteil über Männer oder <strong>eine</strong> Personengruppe<br />
(Gärtner 2009). Feminismus ist<br />
nicht gleichbedeutend mit „Männer sind an allem<br />
schuld“. Das heißt nicht, dass beispielsweise<br />
Männer nichts mit Männlichkeitsnormen zu tun<br />
hätten, es heißt schlicht, dass dies zwei unterschiedliche<br />
Themenbereiche sind, deren Verhältnis<br />
zueinander kompliziert ist (Sedgwick 1997).<br />
Auch Positionen wie „Frauen sind die besseren<br />
Menschen“ ist entgegen <strong>eine</strong>s beliebten antifeministischen<br />
Missverständnisses nicht gleichbedeutend<br />
mit „Feminismus“. Vielmehr steht der<br />
Spruch in der Tradition der Idealisierung „der<br />
Frau“ im Rahmen der bürgerlichen Sphärentrennung<br />
von privat und öffentlich – <strong>eine</strong> vermeintlich<br />
schmeichelnde Begründung für den Ausschluss<br />
aus öffentlichen Angelegenheiten, die<br />
von FeministInnen als „positiver Sexismus“ kritisiert<br />
wurde.<br />
Das Missverständnis scheint darin zu bestehen,<br />
dass Aussagen über Menschen nicht von<br />
Aussagen über Normen auseinander gehalten<br />
werden. Das ist nicht individueller Begriffsstutzigkeit<br />
geschuldet, sondern vielmehr der starken<br />
WISO<br />
Diskurs<br />
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