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Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe

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WISO<br />

Diskurs<br />

50<br />

Gründen k<strong>eine</strong> Kategorie des Zusammenlebens<br />

und des demokratischen Gemeinwesens, sie spielt<br />

k<strong>eine</strong> Rolle bei der Frage von Menschenrechten<br />

oder im Grundgesetz – oder genauer: Die Grundrechte<br />

wurden gerade gegen biologistische Ideologien<br />

formuliert, sei es in Bezug auf Rassismus,<br />

sei es in Bezug auf Befähigung/Behinderung, sei<br />

es in Bezug auf Geschlecht. Diese Grundlage moderner<br />

demokratischer Staaten wird immer wieder<br />

angezweifelt, und immer noch sch<strong>eine</strong>n biologistische<br />

Argumente besonders in Bezug auf<br />

Geschlechterdifferenz salonfähig zu sein. Entsprechend<br />

muss immer wieder darauf hingewiesen<br />

werden, dass die Biologie nicht als Richtschnur<br />

taugt für Fragen des Zusammenlebens, der<br />

individuellen Rechte, kurz: für politische Fragen.<br />

Weder Ehegattensplitting noch Lohnfortzahlung<br />

im Krankheitsfall ist „natürlich“ oder von der<br />

Evolution vorgesehen, genauso wenig wie reduzierte<br />

Mehrwertsteuersätze, Abgassonderuntersuchungen<br />

oder Lottospielen – diese Feststellung<br />

hilft uns kein Stück weiter bei der Lösung aktueller<br />

politischer Fragen. Warum wird in der Geschlechterpolitik<br />

so oft auf vermeintliche biologische<br />

Wahrheiten zurückgegriffen? Niemand muss<br />

nach den „natürlichen“ Bedürfnissen und Wünschen<br />

von Frauen und Männern suchen. Statt darüber<br />

zu spekulieren, dass Männer aus evolutionären<br />

Gründen lieber in Vollzeit den Säbelzahntiger<br />

jagen, während Frauen lieber mit dem<br />

schwulen besten Freund die Höhle dekorieren<br />

(oder so ähnlich), können wir die Menschen, die<br />

hier und jetzt die Welt bevölkern, nach ihren<br />

Wünschen und Einstellungen fragen21 . Denn<br />

wenn wir uns darüber verständigen, wie wir leben<br />

wollen, reicht es vollkommen, die tatsächlichen<br />

Wünsche und Bedürfnisse der vielfältigen<br />

Frauen und Männer ernst zu nehmen. Es geht darum,<br />

diese Wünsche im Sinne von echter Wahlfreiheit<br />

und sozialer Gerechtigkeit zu ermöglichen.<br />

Damit haben wir schon genug zu tun, da<br />

brauchen wir uns nicht noch parallel als Amateur-PrähistorikerInnen<br />

betätigen.<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

7.2 Antifeministische Behauptung<br />

„<strong>Gleichstellungspolitik</strong> ist Gleichmacherei.“<br />

7.2.1 Widerlegung<br />

– Das ist schlicht falsch. <strong>Gleichstellungspolitik</strong><br />

will Menschen aller Geschlechter ein diskriminierungsfreies<br />

Leben nach eigenen Vorstellungen<br />

ermöglichen.<br />

– Gleichmacherei ist es vielmehr, wenn Frauen<br />

und Männer in zwei Gruppen mit angeblich<br />

bestimmten Eigenschaften vereinheitlicht werden,<br />

und auf dieser Grundlage Politik gestaltet<br />

wird. Die Geschlechterforschung nennt das<br />

Geschlechternormen, die sich dann auch in<br />

beispielsweise gesetzlichen Regelungen wiederfi<br />

nden lassen.<br />

– <strong>Gleichstellungspolitik</strong> ist also genau genommen<br />

das Gegenteil von „Gleichmacherei“: Ihr<br />

Ziel ist es, derartige Normierungen abzubauen.<br />

7.2.2 Erläuterung<br />

Staatliche Regelungen nehmen Einfl uss auf Geschlechterverhältnisse<br />

und damit auch auf das<br />

private Leben. Das ist k<strong>eine</strong>swegs <strong>eine</strong> Innovation<br />

der <strong>Gleichstellungspolitik</strong> (-> Glossar). Vielmehr<br />

hat die feministische Debatte eben auf diesen<br />

Zusammenhang hingewiesen und <strong>eine</strong> Diskussion<br />

der in Politik gegossenen Geschlechternormen<br />

als politische Fragen erst ermöglicht.<br />

Denn es ist nicht so, dass sich „vor“ der <strong>Gleichstellungspolitik</strong><br />

der Staat aus den Familien und<br />

Beziehungen herausgehalten hätte – vielmehr<br />

war Politik historisch stark androzentrisch und<br />

heterosexistisch verfasst. Androzentrisch heißt,<br />

dass „der Bürger“ (und „der Arbeitnehmer“ etc.)<br />

nur männlich gedacht wurde, beispielsweise indem<br />

Frauen das Wahlrecht vorenthalten wurde<br />

oder Tarifverhandlungen sich am Modell des<br />

männlichen Familienernährers orientierten, während<br />

Frauen die Verantwortung für unbezahlte<br />

21 Aus der Vielzahl solcher empirischer Studien zu unmittelbar politischen Fragen seien nur als Beispiele Holst 2007 und BMFSFJ 2009<br />

genannt.

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