Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe
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Wirtschafts- und Sozialpolitik<br />
die Rede sein. Schließlich berufen sich die Argumente<br />
k<strong>eine</strong>swegs auf bislang Unerhörtes, sondern<br />
auf mächtige Ordnungen und althergebrachte<br />
Wertsysteme. Dass die entsprechenden<br />
„enthüllenden“ Medienartikel jedes Mal aufs<br />
Neue <strong>eine</strong>n sensationellen Neuigkeitswert behaupten,<br />
liegt auch eher in der Logik des Medienmarkts<br />
als in den Argumenten begründet.<br />
Zwischen dem Tabubrechergestus und der<br />
faktischen Verteidigung mächtiger Ordnungen<br />
besteht ein Widerspruch. Damit die Argumentation<br />
dennoch nicht auseinander fällt, muss permanent<br />
die eigene Ausgeschlossenheit beschworen<br />
werden: Niemand hört auf uns, die gesamte<br />
Gesellschaft ist feministisch unterwandert und<br />
gehirngewaschen, man boykottiert uns, Medienkartelle<br />
geben nur „politisch Korrektem“ Raum<br />
etc.<br />
Diese Behauptungen haben zwar k<strong>eine</strong> empirische<br />
Grundlage23 – und selbst wenn sie dies hätten,<br />
würde sich <strong>eine</strong> inhaltliche Argumentation<br />
nicht erübrigen, denn Ausgeschlossenheit ist nur<br />
für VerschwörungstheoretikerInnen ein Kriterium<br />
für Wahrheit. Aber die Behauptungen erfüllen<br />
wohl <strong>eine</strong>n emotionalen Zweck: Je apokalyptischer<br />
das Bedrohungsszenario (-> Kapitel 2.6) ist<br />
und je umfassender die Angstfantasie von der<br />
feministischen Hegemonie ausgemalt wird, desto<br />
heroischer wird die Pose der/s einsamen Kämpferin/s<br />
für unterdrückte grundlegende Wahrheiten.<br />
In dieser Pose zu verharren, scheint emotional<br />
befriedigender zu sein als sich auf die längst<br />
stattfi ndenden ausdifferenzierten wissenschaftlichen<br />
Debatten und die komplexen Interessenlagen<br />
in der Politik einzulassen.<br />
8.3 Fazit: Halbwahre Beobachtungen,<br />
rückwärts gerichtete Antworten<br />
Im antifeministischen Diskurs scheint teils eher<br />
der Wille zur heroischen Pose im Vordergrund zu<br />
stehen als die Auseinandersetzung um die Sache.<br />
Dazu passt <strong>eine</strong> ausschließlich empört-subjektive<br />
Perspektive natürlich besser als ein struktureller<br />
Blick, weshalb kaum der privatistische Horizont<br />
überschritten wird oder analytische Konzepte<br />
zum Verständnis von Geschlechterverhältnissen<br />
herangezogen werden.<br />
Jedoch lassen sich auch aus dieser privatistischen<br />
Perspektive manche Veränderungen nicht<br />
übersehen. Insofern sind einige antifeministische<br />
Argumente sozusagen ‚halbwahr’: Sie sprechen<br />
Teilaspekte von tatsächlichen Phänomenen an,<br />
ziehen daraus aber verzerrende, falsche Schlüsse.<br />
Sie verweisen darauf, dass vormals unhinterfragte<br />
Gewissheiten z.B. über Arbeitsteilungen<br />
oder Lebensverläufe brüchig werden. Da wird auf<br />
Konzepte und Theorien zurückgegriffen, die versprechen,<br />
wieder Gewissheiten zu bieten, oder<br />
die alten Gewissheiten aufrechtzuerhalten – je<br />
überzeitlicher (‚Evolution’), desto krisenfester.<br />
Die antifeministischen Argumente sind <strong>eine</strong> Reaktion<br />
auf gesellschaftliche Transformationen,<br />
die damit einhergehenden Verunsicherungen<br />
und die Notwendigkeit, überlieferte Regelungen<br />
neu auszuhandeln, kurz: auf offene politische<br />
Fragen der Gegenwart. Das Zurück zu ungerechten<br />
überkommenen Ordnungen liefert darauf<br />
k<strong>eine</strong> angemessenen Antworten.<br />
23 Zur angeblichen Unterwanderung durch Gender Mainstreaming und der tatsächlichen Geschichte des Aufs und Abs des letzten Jahrzehnts<br />
vgl. beispielsweise Lewalter et al. 2009.<br />
WISO<br />
Diskurs<br />
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