Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe
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Wirtschafts- und Sozialpolitik<br />
senschaftlicher Begründung Rechte vorenthalten,<br />
vom Wahlrecht bis zum Studium. In der Gegenwart<br />
sind es eher Vorstellungen <strong>eine</strong>r bestimmten<br />
Geschlechterdifferenz, die naturwissenschaftlich<br />
„untermauert“ werden – sie passen verblüffend<br />
gut zur hierarchischen Arbeitsteilung zwischen<br />
Männern und Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft.<br />
Gerät die gesellschaftliche Arbeitsteilung<br />
aufgrund gesellschaftlicher Transformationen<br />
oder emanzipatorischer Erfolge ins Wanken, werden<br />
solche Sicherheit versprechenden wissenschaftlichen<br />
Begründungen ansch<strong>eine</strong>nd besonders<br />
nachgefragt. Komplexere Erkenntnisse, die<br />
den Denkhorizont über das aktuell Bestehende<br />
hinaus öffnen könnten, werden als eher verunsichernd<br />
erlebt. Was dem Erleben des Gegenwärtigen<br />
als „natürlich“ widersprechen könnte, wird<br />
weniger aufgegriffen. So werden beispielsweise<br />
geschichtliche Erkenntnisse über die unterschiedlichen<br />
Geschlechterverhältnisse in unterschiedlichen<br />
Zeiten und an unterschiedlichen Orten<br />
oder über die verschiedensten Vorstellungen von<br />
Geschlechterdifferenz, die auch in Biologie und<br />
Medizin herrschen (Voß 2010), häufi g ignoriert.<br />
Methoden genauer anschauen – am Beispiel <strong>eine</strong>r Studie zum Einparken<br />
Die (Geschlechter-)Geschichte der Menschheit<br />
ist doch etwas komplizierter, als es die beliebten<br />
Herleitungen von der Steinzeit bis in die Gegenwart<br />
behaupten: Männer und Frauen seien<br />
angeblich aus evolutionären Gründen so und so<br />
– festgestellt im objektiven Laborexperiment im<br />
Jahr 2011. Die Aussagekraft mancher Studien ist<br />
bei genauerem Hinsehen wesentlich bescheidener<br />
als es die Schlagzeile über „die Frauen“ und<br />
„die Männer“ behauptet; Methodenkritik und<br />
-refl exion wird in den Medien jedoch nur selten<br />
aufgegriffen (siehe Kasten).<br />
Auch vermeintlich „objektive“ Wissenschaftsdisziplinen<br />
sind nicht unbeeinfl usst von<br />
gesellschaftlichen Vorstellungen. Gleichzeitig beeinfl<br />
ussen wissenschaftliche Erkenntnisse immer<br />
auch die Gesellschaft, indem sie beispielsweise<br />
der Legitimation von Herrschaft dienen. Welche<br />
Rolle soll biologische „Grundlagenforschung“ in<br />
der politischen Debatte haben? Können aus der<br />
Biologie etwa politische Ziele abgeleitet werden?<br />
Das entspricht kaum dem Verständnis von Menschenrechten<br />
und Demokratie, wie es modernen<br />
Staaten zugrunde liegt. Biologie ist aus guten<br />
Auch wenn nicht die Evolution herangezogen wird, lohnt sich ein genauer Blick auf die Argumentationsschritte,<br />
beispielsweise wenn <strong>eine</strong> aktuelle Studie Geschlechterunterschiede beim Einparken<br />
auf „biologische“ und „soziale Faktoren“ zurückführt (Wolf et al. 2010). Sie belegt, dass in der<br />
Gruppe der erfahrenen FahrerInnen die ermittelten Geschlechterunterschiede mit dem unterschiedlichen<br />
Vertrauen in die eigenen Einparkfähigkeiten zusammenhängen und dies wird mit<br />
psychologischen Mechanismen <strong>eine</strong>r selbsterfüllenden Prophezeiung erklärt. Für die Gruppe der<br />
FahranfängerInnen hingegen – mit durchschnittlich gut 18 Jahren nur vier Jahre jünger als die<br />
erfahrene Gruppe in der Stichprobe – werden die Unterschiede aber überraschenderweise anders<br />
interpretiert: Dort seien sie biologisch bedingt. Als ob diese Gruppe <strong>eine</strong>n Naturzustand repräsentierte<br />
– dabei haben sie bereits 18 Jahre in <strong>eine</strong>r Gesellschaft gelebt, in der bereits 10-Jährige überzeugt<br />
sind, dass „Medchen zu blöt zum Autovaren siend“ (Valtin 2010), und haben sich womöglich<br />
18 Jahre lang mit unterschiedlichen Tätigkeiten befasst.<br />
Die Studie belegt also genau genommen einmal mehr nicht die prinzipielle Unterschiedlichkeit<br />
von Frauen und Männern, sondern den Prozess, wie sie unterschiedlich werden: durch die destruktiven<br />
Auswirkungen von Geschlechternormen auf Selbstwahrnehmung und Fähigkeiten.<br />
Jedoch geht dieser Punkt spätestens in der medialen Berichterstattung verloren: Dort wurde sie<br />
unter vermeintlich knalligen Überschriften wie „Jetzt erwiesen: Männer können besser einparken<br />
als Frauen“ breit aufgegriffen. Das geht jedoch nicht nur am Clou der Ergebnisse vorbei; es werden<br />
zudem genau die Normen reproduziert, deren Schädlichkeit die Studie belegt.<br />
WISO<br />
Diskurs<br />
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