Gleichstellungspolitik kontrovers - eine Argumentationshilfe
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WISO<br />
Diskurs<br />
56<br />
Tradition des Privatismus. Gerade deshalb muss<br />
sich der Horizont der Debatte in Richtung strukturellerer<br />
Phänomene und der Analyse von Normen<br />
öffnen. Wer sich auf diese Ebene einlässt,<br />
könnte nicht nur aufhören, Energie in die Abwehr<br />
nie erhobener Vorwürfe zu stecken. Sondern<br />
es würde auch verdeutlichen, dass manches Beklagte<br />
s<strong>eine</strong>n Ursprung weniger im Feminismus<br />
hat, als vielmehr im Fortbestehen ganz klassischbürgerlicher<br />
Geschlechternormen, in deutschem<br />
Familienkonservatismus (wenn staatliche Regelungen<br />
z. B. im Sorgerecht von der traditionellen<br />
Familienernährer-Ehe verheirateter biologischer<br />
Eltern ausgehen) oder im Neoliberalismus (wenn<br />
z. B. beklagt wird, dass das Doppel-Ernährer-<br />
Modell die heimelige Familienwelt bedrohe) (Haller/Nowak<br />
2010).<br />
Da gäbe es vielleicht sogar die Möglichkeit zu<br />
Bündnissen… Aber neben „der Sache“ scheint es<br />
in der antifeministischen Debatte noch um etwas<br />
anderes zu gehen.<br />
8.2 Die Verteidigung der Ordnung im<br />
Gestus der Rebellion<br />
8.2.1 Identifi kation mit der Ordnung<br />
Antifeministische Argumentationen greifen oft<br />
auf mächtige „Ordnungen“ zurück, also auf Bedeutungssysteme,<br />
die mit gesellschaftlichen<br />
Hierarchien verknüpft sind: Das kann die (vermeintliche)<br />
„natürliche Ordnung“ sein, die „göttliche<br />
Ordnung“, oder die staatliche Ordnung.<br />
Wer diese „Ordnungen“ heranzieht, identifi ziert<br />
sich mit den Werten, für die sie stehen, und versucht,<br />
ihre Autorität gegen (beispielsweise feministische)<br />
Veränderungsbestrebungen in Anschlag<br />
zu bringen. In unterschiedlich ausgeprägten Formen<br />
zieht sich beispielsweise die Identifi kation<br />
mit staatlichen bevölkerungspolitischen Zielen<br />
durch die Debatten zum demographischen Wandel.<br />
Wer behauptet, dass wegen des Feminismus<br />
„zu wenige“ Kinder geboren würden, macht sich<br />
<strong>eine</strong> bevölkerungspolitische Logik zu eigen – die<br />
Sorge darüber, wie viele „Kinder je Frau“ der Staat<br />
benötige, oder wer gefälligst mehr Kinder bekom-<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
men solle, und wer besser nicht, auf dass sich die<br />
Nation nicht „abschaffe“ etc. Statt ausgehend von<br />
den Bedürfnissen und Rechten der vielfältigen<br />
Menschen das Ziel von Politik zu bestimmen, werden<br />
sie zu Funktionen bevölkerungspolitischer<br />
Kennziffern.<br />
Solche Positionen sind alles andere als neu –<br />
im Gegenteil, ihr Rückgriff auf derartige Ordnungen<br />
ist per se „traditionell“, konservierend. Eine<br />
solche Identifi kation mit der Ordnung ist übrigens<br />
ein klassisches Defi nitionsmerkmal rechter<br />
politischer Positionen. Antifeminismus erfüllt<br />
diese Kriterien, wenn er sich mit nationalis tischbevölkerungspolitischen<br />
Logiken identifi ziert<br />
(à la „Die Deutschen sterben aus“), Wandel und<br />
Interessenskonfl ikte (als „destruktiver Geschlechterkampf“)<br />
abwertet gegenüber Ordnung und<br />
Harmonie, oder die eigenen („unideologischen“)<br />
Partialinteressen mit dem Gemeinwohl gleichsetzt.<br />
Die Benennung solcher Positionen als<br />
„rechts“ ist also mitnichten ein „Denkverbot“<br />
oder <strong>eine</strong> simple Diffamierung, wie manchmal<br />
gemäkelt wird, sondern <strong>eine</strong> durchaus präzise<br />
inhaltliche Beschreibung, zu der auch als solche<br />
Stellung genommen werden sollte.<br />
8.2.2 Tabubruch zugunsten des Status quo?!<br />
In bemerkenswertem Spannungsverhältnis zum<br />
Bezug auf die Autorität uralter Ordnungen nehmen<br />
sich AntifeministInnen häufi g als TabubrecherInnen<br />
wahr: Endlich traue sich jemand,<br />
gegen die feministische Vorherrschaft aufzubegehren<br />
und die unterdrückte Wahrheit auszusprechen.<br />
Oft nimmt das die Form des Anti-Etatismus<br />
ein (Gesterkamp 2010), <strong>eine</strong>s Aufbegehrens gegen<br />
staatliche Eingriffe. Diese Geste ist jedoch<br />
nicht allzu glaubwürdig, denn es handelt sich um<br />
<strong>eine</strong>n äußerst selektiven Anti-Etatismus: Nur<br />
staatliche Maßnahmen zur Herstellung von<br />
Gleichstellung werden kritisiert, während andere<br />
staatliche Ziele wie selbstverständlich akzeptiert<br />
werden. Oder es wird gar in Identifi kation mit<br />
dem Staat argumentiert, wie schädlich Gleichstellung<br />
zum Erreichen anderer staatlicher Ziele sei<br />
(s.o.). Von <strong>eine</strong>m Tabubruch kann somit nicht