Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Diese Propaganda war nicht wirkungslos. Ein<br />
Einwohner Adelshausens, der es aus eigener<br />
Anschauung besser wusste, erinnerte sich:<br />
“Von der <strong>Walkemühle</strong> wurden ja während des<br />
Dritten Reiches die unheimlichsten Dinge erzählt.<br />
Ich machte neben meiner Arbeit noch<br />
ein bisschen Musik, Klarinette, und als ich dann<br />
drüben einmal in Kirchhof bei der Kirmes war,<br />
in Quartier, war da so ein alter Bauer, ja, wir<br />
kamen ins Gespräch: ,Oh, se sind von Odelshüsen,’<br />
spricht er. ,Jo das kann wohl sinn.’ ,Da<br />
kennen se ja die <strong>Walkemühle</strong> öih, wo se de<br />
Menschen geschlachtet hahm.’<br />
Man war zu der Zeit ja sehr vorsichtig, das war<br />
zu gefährlich. Die glaubten das alles, was man<br />
ihnen vorsagte.<br />
Die Sache war die, man hatte in der <strong>Walkemühle</strong><br />
Menschenschädel gefunden. Für ihren<br />
Unterricht hatten sie ja welche aus jedem Alter,<br />
vom dreijährigen Kind, vom zehnjährigen Kind<br />
und von Erwachsenen, die hatten wir ja auch<br />
alle gesehen. Die SA fand das da, und dann<br />
ging natürlich das Gerücht um, dass sie da<br />
Menschen geschlachtet hätten.<br />
Keine Fliege machten sie tot, die aßen doch<br />
kein Fleisch, das waren doch alles Vegetarier.<br />
Die hatten wohl eine Ziege da unten, aber sie<br />
schlachteten noch nicht einmal das Ziegenlämmchen.<br />
Sonst hatten die nur noch ein paar<br />
Katzen für die Mäuse, weil die selbst ja auch<br />
keine Maus fingen.” (Johann Eckhardt)<br />
Über die Gauamtswalterschule etwas herauszubekommen,<br />
war schwierig. Leute, die nicht<br />
direkt dabei waren, mieden die Nazis auf der<br />
<strong>Walkemühle</strong>. “Die haben wir nicht geachtet,<br />
denen sind wir aus dem Weg gegangen.”<br />
(Alfred Stöckl) Oder: “Nach ‘33 ist dann das<br />
Thema heikel geworden, man hat nicht mehr<br />
darüber gesprochen.” (Waltari Bergmann)<br />
Oder: “Kurz nach dem Krieg hat niemand<br />
davon sprechen mögen, weil alles zu nah war,<br />
und es sollte auch kein Zweiter verdächtigt<br />
werden.” (Franz Baier) Oder: ein Bürger aus<br />
dem Dorf Adelshausen: “‘33, von da an weiß<br />
ich nichts mehr, ich war dann nicht mehr da<br />
unten an der <strong>Walkemühle</strong>, ich ging denen aus<br />
dem Weg. Wenn die manchmal ins Dorf kamen,<br />
um in die Gaststätte zu gehen, und ich<br />
die sah, bog ich gleich in die nächste Querstraße<br />
ein, damit ich bloß nicht mit denen<br />
103<br />
zusammentraf. Nur eins weiß ich noch: die SA<br />
auf der <strong>Walkemühle</strong> nahm uns im Siedlungsverein<br />
mal ein Stück Land weg. Da protestierte<br />
unser Vereinsvorsitzender: ,Wenn auch heute<br />
Diktatur ist, den kleinen Leuten kann man das<br />
Futter für ihre Kuh nicht wegnehmen.’ Die SA,<br />
die aus unserem Land einen Sportplatz gemacht<br />
hatte, musste uns dann vom Staatsgut<br />
ein neues Stück Land als Ersatz geben.” (Johann<br />
Eckhardt)<br />
Über die Gauamtswalterschule etwas von<br />
Leuten, die selbst auf der Schule waren, herauszubekommen,<br />
war schwierig, denn sie<br />
waren kaum aufzufinden, weil sie sich auch<br />
untereinander nicht mehr kannten. “Das ist<br />
auch schon zu lange her, man hat nachher nie<br />
mehr mit jemandem Kontakt gehabt, man hat<br />
doch vieles wieder vergessen.” (Jakob Wiegand)<br />
Zwei Geschichten zur <strong>Walkemühle</strong> nach ‘33<br />
konnte ich jedoch auftreiben:<br />
Erste Geschichte<br />
Eine Frau erzählt von ihrem Mann:<br />
“Mein Mann war Vorsitzender des republikanischen<br />
Studentenbundes in Marburg und<br />
gehörte dann, als er nach Berlin ging, dort<br />
derselben Bewegung an. 1931 wurde bei ihm<br />
schon die erste Haussuchung gemacht. Weshalb,<br />
ist nie herausgekommen. Vielleicht hat<br />
mein Mann auch, um mich zu schonen, nicht<br />
immer alles erzählt, denn ich erwartete zu der<br />
Zeit mein erstes Kind. Mein Mann war Student in<br />
Berlin, und das war wohl die erste Studentenehe<br />
in ganz Deutschland, es war also ganz<br />
unmöglich. Mein Mann machte in Berlin sein<br />
Examen bei einem jüdischen Professor und<br />
bekam daraufhin hier in Kassel keine Referendarstelle.<br />
Ich ließ dann alle Puppen tanzen.<br />
Ich war hier in Kassel angesehene Sängerin und<br />
unterrichtete viele Schüler von Prominenten in<br />
Musik. So gab man meinem Mann dann doch<br />
eine Referendarstelle, aber ohne Bezahlung<br />
und ohne Seminar. Ich musste also in der Zeit<br />
für ihn mitverdienen, und er musste sich alles<br />
selbst erarbeiten. Er hatte einen Tutor, bei dem<br />
machten wir Besuch - damals musste man<br />
noch Besuch machen - und der erwiderte den<br />
Besuch nicht. Er wurde dann nach seiner Referendarzeit<br />
auch zum Assessorenexamen<br />
zugelassen, doch dann war es aus, dann