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Walkemühle - Rudolf Giesselmann

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Ein Kind weigerte sich zu Hause, als es wieder<br />

eingeschult wurde, ein Kleid zu tragen mit einer<br />

dicken Schleife hinten, was damals hochmodern<br />

war.<br />

“Einfachheit war ein wichtiges Erziehungsprinzip,”<br />

meint Emmi Gleinig dazu, wohl etwa das,<br />

was heute die Jeans sind, “aber es tut mir leid,<br />

dass das bisschen Romantik, dass das alles<br />

weg ist. In der Heide mit dem Ginster; dann<br />

erschienen eines Abends die Geister, wenn es<br />

dunkel wurde, die Lagerfeuer, das war alles<br />

sehr schön.” (Emmi Gleinig)<br />

Und dann gab es ,Konflikte’, gerade auch um<br />

dieses Alltägliche, wie Kleidung, Haare oder<br />

das Zusammenarbeiten. Die Energien, die auf<br />

solche Konflikte verwandt wurden, ließen diese<br />

Situationen plastisch im Gedächtnis haften.<br />

“Minna Specht war in Göttingen bei Nelson<br />

gewesen, um mit ihm schulische Probleme zu<br />

besprechen, und sie kam zurück mit Haarbürsten,<br />

solche mit Stahlborsten, die in einem<br />

Gummibalg steckten. Die waren damals gerade<br />

aufgekommen. Minna brachte so sechs<br />

Stück mit, als neue Errungenschaft für die<br />

<strong>Walkemühle</strong>, und sagte: ,Ich habe hier Haarbürsten<br />

mitgebracht, und derjenige, der<br />

stumpfes, glanz-loses Haar von euch hat, soll<br />

sich melden, der kriegt eine.’<br />

Eines Morgens ging Minna durch die Küche - sie<br />

hatte ja überall ihre Augen - und fragte Lisbeth<br />

Katholi, die auch zufällig in der Küche<br />

war: ,Wie ist es mit dir, Lisbeth, hast du eigentlich<br />

eine Haarbürste ?’, und Lisbeth sagte: ,Ja’.<br />

Lisbeth hatte ein Zimmer neben mir, - Riesenzimmer<br />

waren das in dem alten Fachwerkbau -<br />

sie schlief vorne, und ich hatte das hintere<br />

Zimmer und musste also immer durch ihr Zimmer<br />

hindurch.<br />

Ich hatte nie eine Bürste bei ihr gesehen. Minna<br />

geht raus, und ich sage zu Lisbeth:: ,Lisbeth,<br />

hast du eine Bürste ? Ich habe nie eine Bürste<br />

bei dir gesehen!’, da sagt sie: ,Nee, habe ich<br />

auch nicht’, sage ich: ,Wie kannst du denn<br />

sagen, du hast eine, du hast doch Minna angelogen’,<br />

ich sage, ,das finde ich aber nicht<br />

richtig, wenn du keine Bürste hast, kannst du<br />

doch ohne weiteres sagen, du hast keine, das<br />

wäre doch kein Verbrechen gewesen’, da sagt<br />

sie: ,Ja, als ich die Hedwig daneben sah, mit<br />

ihren großen, vorwurfsvollen schwarzen Augen,<br />

da habe ich mich so aufgeregt, da habe ich<br />

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aus Protest gegen diese schwarzen Augen<br />

einfach gesagt: ,Ich habe eine.’<br />

Das richtete sich also im Grunde gegen Hedwig,<br />

die war immer gleich so moralisch und so<br />

vorwurfsvoll, die hat das bewirkt, dass Lisbeth<br />

also gelogen hat, und da habe ich gesagt:<br />

,Das kannst du doch nicht einfach auf dir<br />

sitzen lassen, das geht nicht’, da sagt sie: ,”Ja,<br />

was soll ich denn machen ?’, ich sage: ,Wenn<br />

du willst, helfe ich dir’, ich sage, ,ich werde mit<br />

Minna sprechen und ihr erklären, wieso und<br />

warum du gelogen hast’, dann sagt sie - nach<br />

einigem Zögern: ,Na ja, wenn du das willst, mir<br />

ist das ja auch nicht angenehm, wenn ich das<br />

immer mit mir herumtrage’. Ich habe dann<br />

Minna mal den Weg verstellt und gefragt: ,Du,<br />

kann ich dich mal sprechen?’ Ich hatte ja auch<br />

immer Hemmungen, uns gegenüber erschien<br />

sie ja so groß. Sie sagte dann: ,Ja, komm mal<br />

heute Abend auf mein Zimmer.’ Ich gehe rauf<br />

und sage: ,Ich kann dir aber nur was sagen,<br />

wenn du keinen Vorwurf erhebst gegenüber<br />

dem Betroffenen, um den es sich handelt.<br />

Wenn du mir das nicht versprechen kannst,<br />

sage ich dir nichts.’ Da sagt<br />

sie: ,Selbstverständlich’.<br />

Dann habe ich ihr das erzählt. Sie hat sofort<br />

verstanden, solch ein Einfühlungsvermögen<br />

konnte man ja auch erwarten als Pädagoge,<br />

und dann sagt sie: ,Schick sie nur herauf,’ ich<br />

mit fliehenden Fahnen in die Küche herunter<br />

und sage: ,Geh nur herauf, es geht alles in<br />

Ordnung.’ Dann ist sie rauf, mit klopfendem<br />

Herzen und Kloß in der Kehle, und die Minna<br />

hat sie empfangen - kein Vorwurf, sie hat sie in<br />

die Arme genommen und hat dann irgendwas<br />

Nettes gesagt. Lisbeth kam also runter mit<br />

strahlenden Augen. Uns so war die Sache bereinigt.<br />

Das war ein Konflikt, dann gab es noch einen<br />

Konflikt mit meinen Schuhen, so gab es laufend<br />

Konflikte. Der Konflikt mit den Schuhen: Ich<br />

hatte mir mühsam ein Paar schwarze Lackschuhe<br />

zusammengespart, Reformschuhe, und<br />

in der <strong>Walkemühle</strong> war es wie überall damals<br />

aus Sparsamkeitsgründen üblich, die Schuhe zu<br />

nageln, Nägel mit großen Köpfen in die Sohle<br />

zu schlagen, damit diese sich nicht so schnell<br />

ablaufen.<br />

Ich hatte mir meine Schuhe vom Munde abgespart<br />

und wusste, was mit diesen Schuhen<br />

passierte, wenn man sie nagelte - mein Vater

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