Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
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Eine deutsche Geschichte<br />
nach dem Ende<br />
Der Landrat aus Wolfhagen berichtet weiter:<br />
“Ich selber war dann noch einmal während<br />
des Dritten Reichs in der <strong>Walkemühle</strong> und<br />
nahm da an einem Lehrgang für Rechtswahrer,<br />
in meiner Eigenschaft als Jurist, für Mitglieder<br />
des NS-Rechtswahrerbundes teil. In dem Fall<br />
war ich nun Schüler derselben Schule, die ich<br />
vorher gegen die SA und die Partei hatte verteidigen<br />
müssen. Da sehen Sie, wie es mir ergangen<br />
ist, einem alten preußischen Verwaltungsbeamten,<br />
es war nicht so einfach im<br />
Dritten Reich, was die Partei wollte, einigermaßen<br />
in Einklang zu bringen mit dem Recht,<br />
das war immer schwierig.<br />
Die Schulungslehrgänge in der <strong>Walkemühle</strong><br />
veranstaltete die Partei und zwar die Gauleitung<br />
in Kurhessen. Neben den Lehrgängen des<br />
NS-Rechtswahrerbundes gab es z.B. Schulungslehrgänge<br />
für Amtswalter der NSV, das ist<br />
die Abkürzung für NS-Volkswohlfahrt, was<br />
heute die Diakonie ist, von brauner Seite. Dann<br />
gab es noch Lehrgänge vom NSKK, das war<br />
der Kraftfahrerkorps, und Schulungslehrgänge<br />
für Ortsgruppenleiter und andere Funktionäre<br />
der Partei. Jedenfalls wurde vom Staat, zu<br />
dessen Gunsten zunächst beschlagnahmt<br />
worden war, die <strong>Walkemühle</strong> dann dem Gau<br />
Kurhessen der Partei zur Verfügung gestellt. Das<br />
Stichwort hieß damals: ,Die Partei befiehlt dem<br />
Staat’, aber es waren zwei getrennte Organisationen.<br />
In der Kreisebene gab es z.B. den<br />
Landrat als alten Verwaltungsbeamten und<br />
daneben den Kreisleiter als Vertreter der Partei,<br />
soweit die Landräte nicht selber alte Kämpfer<br />
waren; das war dann etwas anderes. Unsereiner,<br />
der von Berufs wegen Verwaltungsbeamter<br />
war, der hatte immer seine Schwierigkeiten<br />
mit dem Kreisleiter.<br />
Die Schulung in der <strong>Walkemühle</strong> nahm man als<br />
alter Verwaltungsbeamter so hin. Ich kann<br />
mich da gar nicht mehr an Einzelheiten erinnern.<br />
Es war ja so: die ganze Verwaltung<br />
wurde doch übernommen, und von den alten<br />
preußischen Verwaltungsbeamten, die nun<br />
noch aus der Weimarer Zeit oder zum Teil noch<br />
aus dem Königreich Preußen stammten, waren<br />
ja die allerwenigsten überzeugte Nationalsozialisten.<br />
Wir mussten wohl oder übel in die<br />
Partei eintreten, das wurde von uns verlangt,<br />
aber wir hielten uns sehr zurück. Wir ließen diese<br />
98<br />
Dinge, so möchte ich sagen, an unseren Ohren<br />
vorübergehen. Man hat das erduldet, und<br />
unter uns alten Landräten, die wir noch aus der<br />
alten preußischen Verwaltung stammten,<br />
haben wir das dann heftig untereinander<br />
ausgetauscht, kritisiert und darüber gelacht.<br />
Das war eigentlich gefährlich, das konnte man<br />
nur machen, wenn absolut zuverlässige Leute<br />
zusammenwaren.” (Dr. Fritz Elze)<br />
Erfahrungen bei der Erkundung der NS-Zeit<br />
Nur sehr vereinzelt konnte ich Menschen finden,<br />
die überhaupt noch irgend etwas wussten:<br />
Aber auch die wollten meist doch nichts mehr<br />
davon wissen. “Natürlich erinnert sich keiner<br />
gern an diese Zeit, denn es war im nachhinein<br />
ja für niemand eine gute Zeit. Man hat mit<br />
dieser Zeit abgeschlossen und sich eine neue<br />
Existenz aufgebaut. Das müssen Sie verstehen.<br />
Die von meiner Generation als HJ-Führer dort<br />
auf der Schule waren, das waren ja keine<br />
dummen Leute, sondern die waren hochintelligent.<br />
Nach dem Krieg haben die dann alle<br />
Abitur gemacht und studiert und befinden sich<br />
heute in gesicherten Positionen.” (Otto Wiegand)<br />
Das allermeiste schriftliche Material über die<br />
<strong>Walkemühle</strong> zur NS-Zeit war von den Nazis zu<br />
Kriegsende oder kurz nach dem Kriege vernichtet<br />
worden. Die Akten bei der Regierung in<br />
Kassel, wie das Material in der <strong>Walkemühle</strong><br />
selbst, wurden von den Nazis dadurch beseitigt,<br />
dass sie beide Gebäude ansteckten. Aus<br />
der Lokalzeitung wurden im Archiv des Melsunger<br />
Tageblattes zur Zeit der Entnazifizierungsprozesse<br />
viele der Artikel, die von den<br />
“Heldentaten” ehrenwerter Melsunger Bürger<br />
berichteten, herausgeschnitten; auf diese<br />
Weise wurden sie ihre braune Weste los. Aus<br />
genau dem Grund, weil das nun mal “passiert<br />
ist”, wurde mir in diesem Jahr vom Verlag das<br />
Archiv nicht zugänglich gemacht. Auf meinen<br />
Einwand hin, dass ich keine Schere mitnehmen<br />
werde, wurde als nächster Grund aufgeführt,<br />
dass sich dort keine Sitzgelegenheit befinde; als<br />
ich daraufhin die Möglichkeit nannte, im Archiv<br />
stehen zu bleiben, wollte man auch das<br />
nicht, weil man da prinzipiell niemanden mehr<br />
hineinließe, da es ja vorgekommen sei, dass<br />
Artikel ausgeschnitten wurden, “Dinge, die<br />
praktisch unersetzbar sind”. Ich durfte dann<br />
schriftlich einige Daten nennen, unter denen<br />
“der Chef persönlich” (Otto Wiegand) im Archiv<br />
nachschauen wolle.