Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
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“Einmal war in Adelshausen Kirmes, und jedes<br />
Kind bekam dafür eine Mark von Julie, die die<br />
Kleinen versorgte. Wenn Kinder auf die Kirmes<br />
gehen, ist die Verlockung ja groß. So hatten<br />
dann einige Kinder fünfzig<br />
Pfennig ausgegeben und<br />
ein Kind sogar alles. Julie<br />
war sehr empört darüber.<br />
Sie verurteilte es, dass diese<br />
Kinder soviel Schwäche<br />
gezeigt und den Verlockungen<br />
der Kirmes soweit<br />
nachgegeben hatten, alles<br />
Geld auszugeben.<br />
Julie war in der Beziehung<br />
ein bisschen streng. Ich war<br />
damals erschrocken, wie<br />
kann Kindern nur so etwas<br />
vorwerfen, wenn man ihnen<br />
schon mal eine Mark in<br />
die Hand drückt ? Und<br />
dann war den Kindern<br />
auch nicht vorher erklärt worden, dass so etwas<br />
von ihnen erwartet wurde.<br />
Die Julie war völlig zerstört, und ich sagte dann<br />
zu Minna: ,Das ist doch unmöglich, ein Kind<br />
kann das doch noch gar nicht genau abschätzen.’<br />
Minna stimmte mir zu: ,Ich weiß, das<br />
war falsch, dass Julie die Vorwürfe erhoben<br />
hat.’<br />
Natürlich wurden auch in der <strong>Walkemühle</strong><br />
Fehler gemacht, wie bei jedem Experiment.<br />
Die Psychologie war ja damals auch noch<br />
nicht so weit. Nelson war Rationalist. (Minna<br />
Specht dagegen berief sich in der Begründung<br />
ihrer Pädagogik auf die Psychologie Freuds<br />
und Adlers. (68) ) Nelson hatte den Menschen<br />
doch wohl zu einem gewissen Grade überschätzt,<br />
der Mensch kann nicht alles mit einem<br />
eisernen Willen machen, es gibt auch Situationen,<br />
wo Meinungen und Triebe dem Menschen<br />
so überrollen, dass der Verstand völlig<br />
ausschaltet. Nelson hat das nie akzeptiert. Ich<br />
glaube, heute gibt es solche Menschen noch<br />
viel w eniger als damals, die so zielbewusst sind,<br />
wo wir sie doch gerade heute so gut brauchen<br />
könnten, in dieser verwirrenden Welt.” (Emmi<br />
Gleinig)<br />
Ein Helfer:<br />
“Ein Beispiel für die Freiheit, die die Kinder genossen:<br />
Wir hatten einen Hof, da spielten die<br />
74<br />
Kinder oft, wenn sie Zeit hatten und kletterten<br />
an den zwei festen Barren herum,<br />
die da standen. Sie kletterten dann auch<br />
manchmal auf das Dach von einem der<br />
Schuppen und auf das Dach vom Turbinenhaus.<br />
Als ich sie das erste Mal da im Sommer<br />
splitternackt herumklettern sah, dachte<br />
ich: ,Um Gottes Willen, wenn jemand dabei<br />
herunterfällt!’ Einmal fiel dann auch einer<br />
herunter, der Kurt Ohlow, und zwar deshalb,<br />
weil sie sich auf dem Dach in die Wolle gekriegt<br />
hatten. Der fiel da runter und dann - so<br />
war die Dachschräge, eine Tür stand offen -<br />
schlug er mit dem Kopf auf die Tür drauf, wurde<br />
dadurch abgefangen und kam dann auf die<br />
Füße zu stehen - ein paar Hautabschürfungen,<br />
sonst nichts.<br />
Den Kindern wurde so etwas bewusst nicht<br />
verboten, um ihr Selbstbewusstsein nicht zu<br />
zerstören. Es galt das Prinzip der größtmöglichen<br />
Freiheit.” (Willi Schaper)<br />
Eine Schülerin, die als Kind auf der Schule war,<br />
erinnert sich noch an zwei Aufgaben, die den<br />
Willen der Kinder stärken sollten:<br />
“Die Elterntage auf der <strong>Walkemühle</strong> bereiteten<br />
wir Kinder immer selber vor, und zu so einem<br />
Elterntag pflückten wir dann mal Erdbeeren.<br />
Dabei gab es dann die moralische Verpflichtung,<br />
keine zu essen. Das wurde als Willensstärkung<br />
angesehen.