Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
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Entsprechend seiner Antwort existierten dann<br />
plötzlich eine Reihe von Bänden überhaupt<br />
nicht mehr. Diese gutsituierten Bürger der<br />
Kleinstadt Melsungen - Chef und Prokurist des<br />
nicht ganz kleinen Heimatverlages - wollten<br />
offenbar nicht, dass noch einmal etwas Ähnliches<br />
aufgerührt werden könnte, wie es vor<br />
einigen Jahren durch Veröffentlichungen einer<br />
Melsunger Jugendgruppe geschehen war.<br />
Sie machten dagegen mir den Vorschlag,<br />
doch mal mein Material vorbeizubringen, man<br />
könne ja vielleicht ein kleines Heft daraus<br />
machen. Ich ärgerte mich über so jemanden in<br />
gesicherter Position, der womöglich als<br />
HJ-Führer dann, wenn er für Schulungen in der<br />
<strong>Walkemühle</strong> einen Einberufungsbefehl bekam,<br />
seine Verbindungen benutzte und sich für die<br />
gleiche Zeit einen Einberufungsbefehl von einer<br />
Fliegerschule besorgte; er flog einfach viel<br />
lieber, als dass er Schulungen mitmachte - so<br />
teilte er es mir mit. Wer könnte das nicht verstehen!<br />
Ich ärgerte mich und konfrontierte ihn<br />
in seiner problemlosen Geschichtsauffassung<br />
(“für alle keine gute Zeit”) mit einer Geschichte,<br />
der Verlegung der drei Toten vom Friedhof der<br />
<strong>Walkemühle</strong>, die ich von Willi Schaper erfahren<br />
hatte:<br />
Den Nazis war es nach ‘33 unerträglich, dass so<br />
ganz nah bei nun ihrer <strong>Walkemühle</strong> sich immer<br />
noch zwei Juden befanden, wenn auch schon<br />
tot und begraben, sowie im dritten Grab “ein<br />
Kommunist”. Das ließ ihnen keine Ruhe. Sie<br />
änderten diese Situation bald und sprachen<br />
dabei von “Umbettung”, aber dann nahmen<br />
sie es doch nicht so genau. Die Urne und den<br />
Grabstein von Erich Graupe, “dem Kommunisten”,<br />
fand Willi Schaper, ehemaliger Helfer<br />
der <strong>Walkemühle</strong>, dann “im Dreck des Schutthaufens<br />
von Adelshausen.”<br />
Den Skeletten der beiden Nelsons, so gab es<br />
ein hartnäckiges Gerücht, brach ein Beteiligter<br />
bei der “Umbettung” die Goldzähne heraus,<br />
wofür er eine Kraft-durch-Freude-Reise bekam.<br />
Wo die Skelette heute liegen, weiß niemand<br />
genau, offiziell kamen sie auf den Judenfriedhof<br />
von Melsungen. Sicher ist nur, dass<br />
man dorthin die Grabsteine von Leonard und<br />
Heinrich Nelson geschafft hatte.<br />
Als Willi Schaper dann den Antrag auf Umbettung<br />
der Toten zurück auf den Friedhof der<br />
<strong>Walkemühle</strong>, stellte, gab der Melsunger Bürgermeister<br />
a.D. Dr. Schmidt die folgende<br />
99<br />
Antwort: Der Antragsteller solle sich doch bitte<br />
an die zuständige Stelle wenden; das sei die<br />
Stelle, die damals die erste Umbettung veranlasst<br />
hätte. Im Klartext hieß diese Antwort:<br />
Da müssen Sie sich schon an das Landratsamt<br />
Melsungen und an die NSDAP wenden !<br />
“So was konnte 1948 schon wieder gesagt<br />
werden, da waren die schon wieder obendrauf,<br />
die Brüder.” (Willi Schaper) Und ein<br />
Melsunger Bürger, dessen Verwandter bei der<br />
Umbettung beteiligt gewesen war, bedrängte<br />
den Helfer, seinen Antrag zurückzuziehen, sein<br />
Verwandter würde sich sonst aufhängen. Sie<br />
hätten nämlich wahrscheinlich alles zusammengeschlagen<br />
und es sei nicht sicher, ob auf<br />
dem Judenfriedhof überhaupt etwas liege.<br />
(nach Willi Schaper)<br />
Diese Beschreibung veranlasste den Herrn<br />
Prokuristen zu keiner anderen Reaktion, als zu<br />
dem Vorschlag, mir nur ja den besten Anwalt<br />
zu nehmen und mir all das, was ich “gehört”<br />
habe, vor diesem Anwalt noch einmal wiederholen<br />
zu lassen - usw. usw.<br />
Aber auch ein angesehener Bürger Melsungens<br />
von der anderen Seite, der Seite der Nazi-Verfolgten,<br />
wollte nichts mehr mit dieser Zeit<br />
zu tun haben: “Wir wollen uns raushalten, wir<br />
haben zu viel mitgemacht. Schreiben sie doch,<br />
dass die <strong>Walkemühle</strong> zur Inhaftierung von<br />
Bürgern aus Melsungen benutzt wurde, die dort<br />
teilweise misshandelt wurden - man hörte<br />
deren Schreie - alles schuldlose Bürger, von<br />
denen sich keiner was hatte zuschuldenkommen<br />
lassen, die nur politisch nicht mit Hitler<br />
übereinstimmten. Und der Sturmführer der<br />
SA, der mich verhaftet hatte und mich in der<br />
<strong>Walkemühle</strong> hatte einsperren lassen, der war<br />
als Schuljunge mit uns groß geworden. Und<br />
auch alle anderen, die Gemeinheiten damals<br />
gemacht haben, zum Beispiel die, die einer<br />
kranken jüdischen Familie des Nachts über<br />
zwanzig Backsteine durchs Fenster in die<br />
Wohnung geworfen haben, die sind heute<br />
wieder alle in hohen Stellungen, und man will<br />
da jetzt nichts mehr aufrühren. Mich ließen sie<br />
dann nach ein paar Tagen wieder frei, denn<br />
ich war sehr angesehen hier, ich war Vorsitzender<br />
des Sportvereins und Besitzer eines<br />
Fuhrunternehmens.” (Heerdt)<br />
So schrieb ich das Telefongespräch aus meiner<br />
Erinnerung auf. Er wollte zuerst nichts sagen,<br />
nicht mehr daran rühren, aber dann hatte er<br />
doch angefangen, hatte wieder innegehalten,