Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Vorwort<br />
1. Die vorliegende Arbeit ist im Jahre 1976<br />
entstanden. <strong>Rudolf</strong> <strong>Giesselmann</strong> hat lokale<br />
Geschichte erforscht. Er hat daraus nicht einen<br />
einzelnen, in sich stimmigen Bericht geschrieben,<br />
sondern viele, mitunter sich auch widersprechende<br />
Geschichten zusammengetragen.<br />
Der Autor lässt in zahlreichen Interviewauszügen<br />
vor allem Zeitzeugen zu Wort kommen:<br />
Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und<br />
Schüler, Nachbarn und andere Menschen, die<br />
mit der <strong>Walkemühle</strong> zu tun hatten.<br />
Weiterhin hat <strong>Giesselmann</strong> Dokumente und<br />
Akten aus Archiven ausgewertet und vorhandene<br />
Literatur einbezogen.<br />
Auszüge aus Stundenplänen der Schule und<br />
Pensenbüchern einer Lehrerin sowie Fotos<br />
tragen zur Illustration dieser Arbeit über das<br />
Landerziehungsheim <strong>Walkemühle</strong> bei.<br />
Entstanden ist dabei nicht ein einheitliches Bild,<br />
nicht eine einheitliche Geschichte, es handelt<br />
sich eher um eine Collage.<br />
Deshalb dieser Titel:<br />
“Geschichten von der <strong>Walkemühle</strong>”.<br />
2. “Das liest doch keiner”. “Was ist denn daran<br />
heute noch aktuell?” In Melsungen waren noch<br />
einige weitere Kommentare dieser Art zur geplanten<br />
Veröffentlichung zu hören.<br />
Zweimal, so heißt es, werden in der Geschichte<br />
die Besiegten geschlagen: zum ersten auf dem<br />
Schlachtfeld und zum zweiten in der Geschichtsschreibung,<br />
wo ihre Geschichte unterdrückt<br />
oder vernachlässigt, verfälscht oder<br />
ignoriert wird.<br />
Im Geschichtsunterricht am Melsunger Gymnasium<br />
haben wir so manches über Wüstungen<br />
erfahren - die Namen Stonichenrode,<br />
Reinwerkerode, Berterode und Wendesdorf<br />
wurden uns ausgiebig vorgetragen. Und dass<br />
Schwerzelfurt irgendwann im Mittelalter nicht<br />
weit entfernt von Adelshausen lag, wurde uns<br />
hinreichend eingetrichtert.<br />
Dass vor wenigen Jahrzehnten, von 1924 bis<br />
1933, auf der <strong>Walkemühle</strong> - ebenfalls nahe<br />
Adelshausen - ein sehr bemerkenswertes pädagogisches<br />
Experiment stattfand, wurde<br />
nicht einmal andeutungsweise erwähnt.<br />
Die Geschichte der <strong>Walkemühle</strong>, so wie sie in<br />
der Gegend von Melsungen - wenn überhaupt<br />
- überliefert wird, erscheint verformt, verbogen,<br />
vernebelt: Begriffe wie “kommunistische Sekte”<br />
oder “Edelkommunisten” tauchen auf, nur<br />
spärlich ist Konkretes auffindbar.<br />
5<br />
Ganz wenige positive Ansätze hat es in Melsungen<br />
gegeben, so etwa die Rede von Walter<br />
Hoffmann zur Abiturfeier an der Geschwister-Scholl-Schule<br />
im Juni 1985.<br />
3. Bemerkenswert waren an der <strong>Walkemühle</strong><br />
zunächst einmal jene Grundzüge, die auch<br />
andere Landerziehungsheime prägten: das<br />
gemeinschaftliche Lernen, Arbeiten und Leben<br />
im Internat, die Verbindung von theoretischer<br />
und praktischer Arbeit, der Ansatz “exemplarischen<br />
Lernens”, der der heutigen Projektmethode<br />
nahe kommt, sowie die außerordentlich<br />
große Bedeutung des musischen Bereichs.<br />
4. Darüber hinaus war wohl am erstaunlichsten<br />
für jene Zeit nicht nur der kostenfreie Schulbesuch,<br />
die Betonung der Gleichberechtigung<br />
von Männern und Frauen, Arbeitern und Akademikern<br />
sowie die antimilitaristische Einstellung,<br />
sondern auch die im Unterricht praktizierte<br />
“sokratische Methode”. Diese konsequente<br />
Abwendung vom autoritären, eintrichternden<br />
Unterricht reichte gewiss schon in<br />
damaliger Zeit noch weiter als so manches,<br />
was derzeit in Unterricht und Lehrerausbildung<br />
in dieser Richtung aus gutem Grunde angestrebt<br />
wird.<br />
5. Nicht näher eingegangen werden soll an<br />
dieser Stelle auf die in Melsungen mitunter zu<br />
hörende Bezeichnung “Kommunisten” bzw.<br />
“Edelkommunisten”. Dass von NS-Seite diese<br />
Begriffe verwandt wurden, macht derartige<br />
Beschimpfungen keineswegs unverdächtiger.<br />
Nelson und der Internationale Sozialistische<br />
Kampfbund (ISK) vertraten entschieden andere<br />
Positionen als diejenigen, in deren Nähe sie oft<br />
geschoben werden sollten.<br />
Auch der häufig erhobene Vorwurf des Sektierertums<br />
ist äußerst wohlfeil. Im Scheitern der<br />
ersten deutschen Demokratie am Anfang der<br />
dreißiger Jahre wurde hinreichend deutlich,<br />
wie tragisch gerade die großen, traditionellen<br />
Parteien und Gewerkschaften in der Einschätzung<br />
und Bekämpfung des Nationalsozialismus<br />
irrten. SPD und KPD verwandten einen<br />
großen Teil ihrer Kraft zur gegenseitigen Bekämpfung,<br />
während der ISK angesichts des<br />
drohenden Faschismus mit aller Kraft versuchte,<br />
eben diese Spaltung der Arbeiterbewegung zu<br />
überwinden.<br />
6. Die der <strong>Walkemühle</strong> zugrundeliegende<br />
strenge moralisch - ethische Orientierung, der<br />
Versuch Leonard Nelsons, dies wissenschaftlich<br />
zu begründen mit Bezug auf die Philosophen