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Walkemühle - Rudolf Giesselmann

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Elternrundbrief (78)<br />

“<strong>Walkemühle</strong>, den 8. Januar 1933<br />

Liebe Freunde,<br />

Durch den Elterntag seid Ihr von unserer Arbeit während<br />

des Sommers 1932 unterrichtet worden. Das Wesentliche<br />

unserer Winterarbeit sollt ihr durch diesen Bericht erfahren.<br />

Wir setzten uns nach dem Elterntag die Aufgabe, das<br />

geistige Leben der Kinder besonders zu fördern. Darum<br />

stellten wir den Unterricht in den Mittelpunkt unserer<br />

Arbeit. Mathematik-, Rechnen- und Physikunterricht<br />

standen dabei im Vordergrund. Warum ? In diesen Fächern<br />

lässt sich die sokratische Methode als Unterrichtsmethode<br />

anwenden. In ihnen kommt es nicht nur<br />

auf Wissensbereicherung an, sondern der Kernpunkt ist<br />

Einsicht und Verstehen. Dieses kann nur durch selbständiges<br />

Denken erreicht werden. Durch die sokratische<br />

Methode ist die selbständige Entdeckung z.B. von mathematischen<br />

und physikalischen Wahrheiten möglich.<br />

Während also in andern Fächern bei uns das Arbeitsschulprinzip,<br />

d.h. selbsttätiges, anschauliches Erarbeiten<br />

von Wissen Anwendung findet, kommt bei der sokratischen<br />

Methode noch hinzu die Weckung und Stärkung<br />

der Selbständigkeit des Denkens und vor allem die<br />

Freude am Erkennen, die in der Erkenntnis von Gesetzen<br />

ihre höchste Stufe erreicht. Hieraus geht hervor, welche<br />

Bedeutung die sokratische Methode nicht nur für die<br />

intellektuelle Entwicklung, sondern in der Hauptsache für<br />

die Charakterentwicklung der Kinder hat. Der sokratische<br />

Unterricht soll also dank der A bsage an alle Autorität, die<br />

sein Wesen ausmacht, ein sehr wichtiger Teil unserer<br />

Gesamt erziehung werden. Das gilt in größerem Maße<br />

natürlich für die älteren Kinder. Bei den Jüngeren nimmt<br />

dieser Unterricht seinen Anfang, der Arbeitsschulunterricht<br />

wiegt dort vor.<br />

Der Unterricht als Mittelpunkt der Schule b edingte einige<br />

organisatorische Änderungen gegenüber der Sommerarbeit.<br />

Nach dem Elterntag bildeten wir folgende<br />

Unterrichtsgruppen:<br />

I. Gruppe: Bruno Kaminski, Heinrich Zimmermann,<br />

Eva Leitner, Vertuemo<br />

Gloger, Alex Leitner. (Leitung: Hans<br />

Lewinski)<br />

II. Gruppe: Hans Knodt, Sajero Gloger, Hein<br />

Lindau, Jürgen Gräffe, Nora Walter.<br />

(Leitung: Julie Pohlmann)<br />

84<br />

III. Gruppe: Paul Körber, Herbert Lindau, Rainer<br />

Schmidt, Horst Erhardt, Heide<br />

Fortmüller, Liesel Körber, Tamen<br />

Gloger, Nora Fliess. (Leitung: Lieselotte<br />

Wettig)<br />

IV. Gruppe: Lotte Schiff, Sepp Kaminski, Veron<br />

Merkos, Peter Nemenyi. (Leitung:<br />

Rose Slongo )<br />

In der I. und II. Gruppe gibt außerdem Minna Specht<br />

einige Stunden Unterricht. Die IV. Gruppe leitete nach<br />

dem Weggang von Grete Kummert eine andere Genossin<br />

unter Hilfe von Julie Pohlmann. Jetzt leitet sie Rose<br />

Slongo, eine Schweizer Genossin, in der wir hoffentlich<br />

einen dauernden Mitarbeiter gewonnen haben.<br />

Anneliese Rorig ist seit Ende Oktober wieder zu Hause.<br />

Ihr werdet vielleicht erstaunt sein, dass sie, die Älteste,<br />

die am Elterntag wohl einen ordentlichen und kräftigen<br />

Eindruck gemacht hat, nicht mehr hier ist. Gewiss, Anneliese<br />

Rorig hat eine Reihe von schönen Fertigkeiten,<br />

sie ist jedoch oberflächlich und vom schwächlichem<br />

Willen. Das zeigt sich besonders darin, dass sie Versuchungen<br />

jeder Art widerstandslos nachgibt. In einer<br />

heutigen Volksschule wird sie eine gute Durchschnittsschülerin<br />

sein. Als wir an alle Kinder die Anforderungen<br />

an den Charakter und an den Willen erhöhten,<br />

versagte Annelise Rorig gerade in dieser Hinsicht.<br />

Die Aussicht, in kurzer Zeit solch tiefgreifende<br />

Schwierigkeiten zu beseitigen, ist sehr gering und hätte<br />

der besonderen Bereitschaft von Anneliese Rorig bedurft.<br />

Wir teilten ihr und ihrer Mutter mit, dass die<br />

Möglichkeit bestehe, dass wir sie wegschicken würden,<br />

wenn sie sich nicht ändere. Wir wollten es noch eine<br />

Zeitlang versuchen. Frau Rorig zeigte für unsere Pläne<br />

kein Verständnis und rief ihre Tochter kurzerhand zurück.<br />

Über manches Unliebsame, was dann folgte, wollen wir<br />

hier schweigen.<br />

Zur Mithilfe in der Gesamterziehung haben wir in stärkerem<br />

Maße als bisher die erwachsenen Genossen in der<br />

Mühle herangezogen, die Helfer in der Küche, Haus und<br />

Werkstatt. Ihre Mitarbeit besteht darin, dass sie auch<br />

regelmäßig abends mit Gruppen von Kindern zusammen<br />

sind, mit ihnen spielen oder von ihrer früheren Arbeit<br />

erzählen usw. ...<br />

Hierdurch soll verhindert werden, dass die Kinder auf<br />

den Umgang mit uns Erziehern beschränkt sind. Ihr Blick<br />

soll geweitet werden, sie sollen lernen, Umgang mit einer<br />

Reihe von Menschen zu haben. Vor allem soll aber dadurch<br />

erreicht werden, dass sie die praktische Berufsarbeit<br />

zum mindesten gleich einschätzen wie die Berufsarbeit<br />

von uns Erziehern. Die Mitarbeit der Genossen ist<br />

bis jetzt ein guter Erfolg. Sie ist auch ein Teil der politischen<br />

Erziehung der Kinder. Mit der I. und II. Gruppe hat<br />

Minna Specht einen Kurs über die Not der Zeit gemacht,<br />

wo unter anderem über Sondergerichte, politischen

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