15.02.2013 Aufrufe

Walkemühle - Rudolf Giesselmann

Walkemühle - Rudolf Giesselmann

Walkemühle - Rudolf Giesselmann

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

glaubten, dass wir einfach alle drei in die<br />

<strong>Walkemühle</strong> übersiedeln könnten. Ein im<br />

Aufbau begriffenes Unternehmen würde sicherlich<br />

Verwendung für unsere zu jeder Arbeit<br />

bereiten Kräfte haben. So vereinten wir in unseren<br />

Träumen ein glückliches Familienleben<br />

mit der denkbar besten Erziehung unseres<br />

Kindes.<br />

Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Als<br />

ich mein Kind in die <strong>Walkemühle</strong> brachte, lagen<br />

Jahre schwerer innerer Kämpfe hinter mir<br />

und vor mir; denn mit dem einmaligen Entschluss,<br />

sich von einem so kleinen Kinde zu<br />

trennen, ist es nicht geschafft.<br />

Aber zum Teil waren es eben diese Widerwärtigkeiten<br />

und Widerstände, sowohl bei mir<br />

nahestehenden Menschen als auch in mir selber,<br />

die mich in dem Wunsch bestärkten, mein<br />

Kind in dieser Umgebung aufwachsen zu lassen.<br />

Es sollte einmal mutiger zu seinen Überzeugungen<br />

stehen und mehr Kräfte aufbringen als<br />

ich, um all das in die Tat umzusetzen, was es als<br />

richtig erkannt hatte.<br />

Aber musste ich dazu mich von meinem Kinde<br />

trennen ? Konnte ich, nachdem mir die<br />

Notwendigkeit einer solchen Erziehung klar<br />

war, sie nicht selbst leisten ?<br />

Aus zweierlei Gründen schien mir das nicht<br />

möglich zu sein: Einmal war ich entschlossen,<br />

nicht nur ein persönliches Glück für mich und<br />

meinen Familienkreis aufzubauen. Es schien mir<br />

widersinnig, dass eine Generation nach der<br />

anderen sich abfand mit unzureichenden, in<br />

jenen Jahren katastrophalen Verhältnissen in<br />

unserer Gesellschaft, weil Berufs- und Familiensorgen<br />

sie daran hinderten, ihre Kraft den<br />

Bemühungen um eine menschenwürdige Gesellschaftsordnung<br />

zu widmen. Eine intensive<br />

politische oder sozialpädagogische Arbeit<br />

aber würde mir niemals die Ruhe und Sammlung<br />

lassen, die eine vom gleichen Geist getragene<br />

Erziehung meines Kindes erforderte.<br />

Ich hätte das Kind vielen Einflüssen überlassen<br />

müssen - den geheimen Miterziehern unserer<br />

Kinder - die meinen Gedanken von einer Erziehung<br />

zu einem mutigen und verantwortungsfreudigen<br />

Menschen nicht entsprachen.<br />

Ein Zweites kam hinzu: Dadurch, dass ich mein<br />

Kind in die <strong>Walkemühle</strong> gab, trug ich dazu bei,<br />

Minna Specht und Leonhard Nelson die Möglichkeit<br />

zu geben, ihre ethischen und pädagogischen<br />

Ideen zu erproben. Wenn jede<br />

77<br />

Mutter ihr Kind gleichsam als persönliches Eigentum<br />

festhielt, wäre ein solcher Versuch<br />

unmöglich.<br />

So gab ich mein Kind in Minna Spechts Obhut.<br />

Einige Tage durfte ich in der Mühle bleiben, um<br />

ihm das Eingewöhnen zu erleichtern. Auch die<br />

Betreuer dieser Kinder lernte ich kennen und ein<br />

wenig vom Leben der kleinen Gemeinschaft.<br />

Und das Kind selber ? War es nur ein Objekt der<br />

Ziele der Erwachsenen ? Hatte es nicht ein<br />

Recht auf Achtung seiner Interessen ? War es<br />

damit einverstanden, aus dem warmen Nest<br />

herausgenommen zu werden, um einem pädagogischen<br />

Experiment zu dienen ? War<br />

nicht gerade der Kampf ums Recht das Leitmotiv<br />

unserer Arbeit ? Mussten wir also damit<br />

nicht bei uns selber beginnen? Wie wachen sie<br />

wieder auf, diese Stürme von Empfindungen<br />

und Gedanken vieler schlaf-loser Nächte!<br />

Hätte ich nun an die augenblicklichen, von<br />

meiner Tochter geäußerten Interessen gedacht,<br />

so hätte ich sicherlich von der Trennung abgesehen.<br />

So froh sie über die neuen Spielgefährten,<br />

Kinder zwischen vier und neun Jahren<br />

war, so würde sie leiden, nachdem ich weggegangen<br />

sein würde. Und obgleich ich ihr<br />

mein Weggehen eindeutig und rechtzeitig erklärte,<br />

hat sie doch am Tage danach in Begleitung<br />

eines hilfreichen Altersgenossen das<br />

ganze Haus nach mir abgesucht. Es war nicht<br />

ins Gefühl gedrungen, was das Ohr gehört und<br />

der Mund bejaht hatten. Mein einziger Trost<br />

war, dass mein Kind später Verständnis für<br />

meine Beweggründe aufbringen würde, die<br />

ihm heute so viel Kummer brachten - dass seine<br />

Erziehung gelingen und es erkennen würde,<br />

dass nicht nur meine, sondern auch seine eigenen<br />

wahren Interessen mich geleitet hatten.”<br />

(71)<br />

Sämtliche Kinder auf der <strong>Walkemühle</strong> waren<br />

Kinder von ISK-Mitgliedern oder deren Freunden,<br />

so blieb ihre Zahl immer klein und überschritt<br />

niemals 25. Minna Sprecht war es nicht gelungen,<br />

die Kinderabteilung durch Waisenkinder<br />

aus Berlin zu vergrößern.(72) Ihre Bemühungen<br />

wurden 1930 von der Regierung<br />

Kassel - die änderte sich da schon wieder -<br />

blockiert. Man hatte politische Bedenken. (73)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!