Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
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glaubten, dass wir einfach alle drei in die<br />
<strong>Walkemühle</strong> übersiedeln könnten. Ein im<br />
Aufbau begriffenes Unternehmen würde sicherlich<br />
Verwendung für unsere zu jeder Arbeit<br />
bereiten Kräfte haben. So vereinten wir in unseren<br />
Träumen ein glückliches Familienleben<br />
mit der denkbar besten Erziehung unseres<br />
Kindes.<br />
Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Als<br />
ich mein Kind in die <strong>Walkemühle</strong> brachte, lagen<br />
Jahre schwerer innerer Kämpfe hinter mir<br />
und vor mir; denn mit dem einmaligen Entschluss,<br />
sich von einem so kleinen Kinde zu<br />
trennen, ist es nicht geschafft.<br />
Aber zum Teil waren es eben diese Widerwärtigkeiten<br />
und Widerstände, sowohl bei mir<br />
nahestehenden Menschen als auch in mir selber,<br />
die mich in dem Wunsch bestärkten, mein<br />
Kind in dieser Umgebung aufwachsen zu lassen.<br />
Es sollte einmal mutiger zu seinen Überzeugungen<br />
stehen und mehr Kräfte aufbringen als<br />
ich, um all das in die Tat umzusetzen, was es als<br />
richtig erkannt hatte.<br />
Aber musste ich dazu mich von meinem Kinde<br />
trennen ? Konnte ich, nachdem mir die<br />
Notwendigkeit einer solchen Erziehung klar<br />
war, sie nicht selbst leisten ?<br />
Aus zweierlei Gründen schien mir das nicht<br />
möglich zu sein: Einmal war ich entschlossen,<br />
nicht nur ein persönliches Glück für mich und<br />
meinen Familienkreis aufzubauen. Es schien mir<br />
widersinnig, dass eine Generation nach der<br />
anderen sich abfand mit unzureichenden, in<br />
jenen Jahren katastrophalen Verhältnissen in<br />
unserer Gesellschaft, weil Berufs- und Familiensorgen<br />
sie daran hinderten, ihre Kraft den<br />
Bemühungen um eine menschenwürdige Gesellschaftsordnung<br />
zu widmen. Eine intensive<br />
politische oder sozialpädagogische Arbeit<br />
aber würde mir niemals die Ruhe und Sammlung<br />
lassen, die eine vom gleichen Geist getragene<br />
Erziehung meines Kindes erforderte.<br />
Ich hätte das Kind vielen Einflüssen überlassen<br />
müssen - den geheimen Miterziehern unserer<br />
Kinder - die meinen Gedanken von einer Erziehung<br />
zu einem mutigen und verantwortungsfreudigen<br />
Menschen nicht entsprachen.<br />
Ein Zweites kam hinzu: Dadurch, dass ich mein<br />
Kind in die <strong>Walkemühle</strong> gab, trug ich dazu bei,<br />
Minna Specht und Leonhard Nelson die Möglichkeit<br />
zu geben, ihre ethischen und pädagogischen<br />
Ideen zu erproben. Wenn jede<br />
77<br />
Mutter ihr Kind gleichsam als persönliches Eigentum<br />
festhielt, wäre ein solcher Versuch<br />
unmöglich.<br />
So gab ich mein Kind in Minna Spechts Obhut.<br />
Einige Tage durfte ich in der Mühle bleiben, um<br />
ihm das Eingewöhnen zu erleichtern. Auch die<br />
Betreuer dieser Kinder lernte ich kennen und ein<br />
wenig vom Leben der kleinen Gemeinschaft.<br />
Und das Kind selber ? War es nur ein Objekt der<br />
Ziele der Erwachsenen ? Hatte es nicht ein<br />
Recht auf Achtung seiner Interessen ? War es<br />
damit einverstanden, aus dem warmen Nest<br />
herausgenommen zu werden, um einem pädagogischen<br />
Experiment zu dienen ? War<br />
nicht gerade der Kampf ums Recht das Leitmotiv<br />
unserer Arbeit ? Mussten wir also damit<br />
nicht bei uns selber beginnen? Wie wachen sie<br />
wieder auf, diese Stürme von Empfindungen<br />
und Gedanken vieler schlaf-loser Nächte!<br />
Hätte ich nun an die augenblicklichen, von<br />
meiner Tochter geäußerten Interessen gedacht,<br />
so hätte ich sicherlich von der Trennung abgesehen.<br />
So froh sie über die neuen Spielgefährten,<br />
Kinder zwischen vier und neun Jahren<br />
war, so würde sie leiden, nachdem ich weggegangen<br />
sein würde. Und obgleich ich ihr<br />
mein Weggehen eindeutig und rechtzeitig erklärte,<br />
hat sie doch am Tage danach in Begleitung<br />
eines hilfreichen Altersgenossen das<br />
ganze Haus nach mir abgesucht. Es war nicht<br />
ins Gefühl gedrungen, was das Ohr gehört und<br />
der Mund bejaht hatten. Mein einziger Trost<br />
war, dass mein Kind später Verständnis für<br />
meine Beweggründe aufbringen würde, die<br />
ihm heute so viel Kummer brachten - dass seine<br />
Erziehung gelingen und es erkennen würde,<br />
dass nicht nur meine, sondern auch seine eigenen<br />
wahren Interessen mich geleitet hatten.”<br />
(71)<br />
Sämtliche Kinder auf der <strong>Walkemühle</strong> waren<br />
Kinder von ISK-Mitgliedern oder deren Freunden,<br />
so blieb ihre Zahl immer klein und überschritt<br />
niemals 25. Minna Sprecht war es nicht gelungen,<br />
die Kinderabteilung durch Waisenkinder<br />
aus Berlin zu vergrößern.(72) Ihre Bemühungen<br />
wurden 1930 von der Regierung<br />
Kassel - die änderte sich da schon wieder -<br />
blockiert. Man hatte politische Bedenken. (73)