Walkemühle - Rudolf Giesselmann
Walkemühle - Rudolf Giesselmann
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Pflegestätte Nelsons und seiner Lehre in allen<br />
Kreisen der deutschen Gelehrtenwelt einstimmige<br />
Verneinung findet.” (92)<br />
Aus diesem Gutachten der “Gelehrtenwelt”<br />
sprach aber keinesfalls ein republikanischer<br />
Geist, sondern schon eher der deutsche Untertan:<br />
Es tauchten ein Leonard Nelson auf, der<br />
seine hohen Ideale auch mit dem König von<br />
Preußen, Friedrich dem Großen, und seinen<br />
Staatsmännern geteilt hatte. Man hatte einen<br />
“enthusiastischen Schüler Nelsons” getroffen,<br />
einen Mann “reiner Gesinnung”, “übrigens war<br />
er kein Jude, sondern ein echter Hesse seiner<br />
Abstammung nach, wie auch sein Äußeres<br />
bezeugte.” Ein Freund, der “Staatssozialist” ist,<br />
wurde angeführt, der “die Schließung des<br />
Landerziehungsheims <strong>Walkemühle</strong> für barbarisch<br />
erklärt hätte.” Und weiter hieß es: “Wenn<br />
er (Nelson) mit den sozialistischen Parteien Beziehungen<br />
unterhalten hat, so bin ich gewiss,<br />
dass er im Sinne seiner liberalen und humanen<br />
Denkungsart auf sie zu wirken bemüht gew esen<br />
ist.” (93)<br />
Dann wurde beschwichtigt, Nelson sei “kein<br />
Parteipolitiker, sondern ein theoretisch, wissenschaftlich<br />
orientierter Philosoph gewesen.”<br />
Man hätte in persönlichen Gesprächen nur<br />
einmal über Politik mit ihm gesprochen; man<br />
wüsste nur noch, dass Nelson die Demokratie<br />
scharf abgelehnt hätte, weil man über staatliche<br />
und rechtliche Wahrheiten nicht abstimmen<br />
könne. (94)<br />
Dann wurde geklagt: “Es wäre eine tragische<br />
Ironie der Geschichte in unserer bew egten Zeit<br />
und ein nicht wieder gut zu machender Verlust,<br />
wenn ein solches Unternehmen, das einen auf<br />
dem deutschen Idealismus gründenden Sozialismus<br />
vertritt, der Denunziation eines Unwissenden<br />
zum Opfer fallen würde.” Und: “Die<br />
wissenschaftliche Erziehungsarbeit steht nicht<br />
im Dienst einer bestimmten politischen Gruppe<br />
ISK, dem ich auch selbst vollkommen fern<br />
stehe.” (95)<br />
Dann erklärten die Anwälte, dass bei den<br />
Hausdurchsuchungen kein Material gefunden<br />
worden wäre, das den Beweis einer kommunistischen<br />
Tätigkeit Nelsons erbringe, oder das<br />
ein “spätes Abgleiten (nach Nelsons Tod) des<br />
Instituts <strong>Walkemühle</strong> in marxistisch - kommunistisches<br />
Fahrwasser” nachweise.<br />
So wurde nachgewiesen, erklärt, beschwichtigt,<br />
geklagt, aufgezeigt, begründet. War<br />
95<br />
Nelson vielleicht gar kein Mitglied im ISK gewesen?<br />
Und obwohl das Recht noch geprüft<br />
wurde, veranstaltete die NSDAP in der <strong>Walkemühle</strong><br />
bereits die Kurse für die neuen Führer.<br />
Für Minna Specht vergingen noch “Wochen<br />
voller Hoffnung und Enttäuschung.”(96) Aber<br />
schließlich war doch allen ohne offizielle Enteignung<br />
klar, dass in Deutschland die Zeiten für<br />
eine <strong>Walkemühle</strong> vorbei waren.<br />
Man beschloss nach Dänemark zu gehen. Ab<br />
Juni 1933 bemühte man sich, dort eine Unterrichtserlaubnis<br />
zu erhalten, ein für den Unterricht<br />
geeignetes Haus zu finden. Dieses Haus<br />
sollte gleichzeitig ein Zentrum bilden für den<br />
Kontakt zwischen ISK-Mitgliedern in der Emigration<br />
und denjenigen, die ihre politische Arbeit<br />
in Deutschland als Widerstandsbew egung<br />
fortsetzten. (97)<br />
In Deutschland dauerte die Prüfung des Rechts<br />
noch bis zum April 1934, dann erst wurde die<br />
<strong>Walkemühle</strong> offiziell enteignet. Zwischendurch<br />
hatte es in der <strong>Walkemühle</strong> noch so etwas wie<br />
einen Lokaltermin gegeben. Der Bericht eines<br />
an diesem Lokaltermin Beteiligten gibt einen<br />
abschließenden Eindruck von dieser durch den<br />
Staat legalisierten Willkür und des sich in ungebrochener<br />
feudalstaatlicher Tradition befindenden<br />
deutschen Beamtentums:<br />
“Ich war seit dem 1. Juli 1932 als Regierungsrat<br />
Dezernent an der Regierung in Kassel. Ende<br />
April ‘33 wurde ich bei dem damaligen Regierungspräsidenten<br />
von Mombart politischer<br />
Dezernent. In dieser Eigenschaft bekam ich<br />
eines Tages zur Bearbeitung die Beschwerde<br />
der Philosophisch-Politischen Akademie wegen<br />
Beschlagnahme der <strong>Walkemühle</strong> durch<br />
die SA bzw. die NSDAP Melsungen. Nach verschiedenen<br />
Besprechungen mit dem Regierungspräsidenten<br />
und dem Gauleiter Weinrich<br />
wurde ein Ortstermin in Melsungen vereinbart;<br />
dazu fuhren auf der einen Seite der Regierungspräsident<br />
von Mombart und ich als der<br />
Sachbearbeiter, auf der anderen Seite der<br />
Gauleiter Weinrich mit seinem Adjutanten,<br />
dessen Namen ich vergessen habe. Wir kamen<br />
in die <strong>Walkemühle</strong>, und in einem großen Saal<br />
war ein Riesenaufgebot von Partei und SA<br />
unter Führung des damaligen Kreisleiters Dr.<br />
Reinhardt, ein praktischer Arzt aus Melsungen.<br />
Die Teilnehmer der <strong>Walkemühle</strong> waren Frau<br />
Minna Specht, die Geschäftsführerin der<br />
<strong>Walkemühle</strong>, Frau Grete Hermann, die als