Lues im Mund - Zm-online
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16 Politik<br />
BGH-Urteil<br />
Vertragsärzte sind keine Amtsträger<br />
In einem am 22.06.2012 veröffentlichten Urteil entschied der Bundesgerichtshof<br />
(BGH), dass Kassenärzte weder Amtsträger wie etwa Beamte noch Beauftragte<br />
der Krankenkassen sind. Dies aber wäre Voraussetzung, um freiberufliche Mediziner,<br />
die der Bestechlichkeit verdächtig sind, strafrechtlich zu belangen. Zugleich<br />
verwies der BGH auf den Gesetzgeber, der über eine mögliche Strafbarkeit von<br />
Bestechlichkeitsdelikten die Sorge tragen müsste.<br />
Die Richter des BGH hatten in einem<br />
konkreten Fall zu entscheiden, bei dem<br />
eine Pharmareferentin der Firma Ratio-<br />
pharm Schecks an einen Kassenarzt<br />
übergeben hatte, die der Mediziner<br />
auch angenommen hatten. Die Sum-<br />
me der von der Referentin an den Arzt<br />
ausgezahlten Boni belief sich auf rund<br />
10 000 Euro, basierend auf einem Prä-<br />
miensystem des Ulmer Pharma-Unter-<br />
nehmens: Diejenigen Ärzte, die Arznei-<br />
mittel von Ratiopharm verordneten,<br />
sollten fünf Prozent des Abgabepreises<br />
erhalten. Juristisch gesehen machen<br />
sich Amtsträger oder „Beauftragte der<br />
öffentlichen Verwaltung“ jedoch we-<br />
gen Bestechlichkeit strafbar, wenn sie<br />
von Dritten Zuwendungen annehmen.<br />
Daher hatte der BGH zugleich zu ent-<br />
scheiden, ob niedergelassene Kassen-<br />
ärzte als Amtsträger einzustufen sind,<br />
die als Beauftragte der Krankenkassen<br />
arbeiten.<br />
Besonderes Vertrauen<br />
Im erwähnten Fall waren ursprünglich so-<br />
wohl die Außendienstmitarbeiterin als auch<br />
der Arzt vom Landgericht Hamburg wegen<br />
Bestechlichkeit zu einer Geldstrafe verurteilt<br />
worden – die Referentin, weil sie die Finanz-<br />
zuwendungen angeboten, der Arzt, weil<br />
er sie angenommen hatte. Während der<br />
Mediziner das Urteil akzeptierte, zog die<br />
Referentin vor den Bundesgerichtshof.<br />
Dieser sah nun seine wesentliche Aufgabe<br />
darin, wie es in einer Mitteilung des BGH<br />
heißt, „nur zu entscheiden, ob korruptives<br />
Verhalten von Kassenärzten und Mitarbei-<br />
tern von Pharmaunternehmen nach dem<br />
geltenden Strafrecht strafbar ist“. Dies sei zu<br />
zm 102, Nr. 14 A, B, 16.7.2012, (1000)<br />
Der BGH hat die Freiberuflichkeit von Vertrags-<br />
(Zahn-)Ärzten gestärkt – jedoch gleichzeitig den<br />
Gesetzgeber in die Verantwortung genommen,<br />
bei der Korruption <strong>im</strong> Gesundheitswesen das<br />
Strafgesetz zu überprüfen.<br />
verneinen gewesen. „Darüber zu befinden,<br />
ob die Korruption <strong>im</strong> Gesundheitswesen<br />
strafwürdig ist und durch Schaffung ent-<br />
sprechender Straftatbestände eine effektive<br />
strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden<br />
soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers“, so der<br />
BGH.<br />
Aus dem Blickwinkel der Mediziner heißt<br />
dies juristisch konkret, dass sich Vertrags-<br />
ärzte zivilrechtlich nicht strafbar machen,<br />
wenn sie sich von Pharmaunternehmen<br />
Vorteile gewähren lassen oder Geschenke<br />
annehmen. Kassenärzte seien nicht dazu da,<br />
Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr-<br />
zunehmen, führte der BGH aus. Sie würden<br />
vielmehr aufgrund der individuellen, freien<br />
Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig.<br />
Ihr Verhältnis zu dem Versicherten sei<br />
Foto: MEV<br />
wesentlich von persönlichem Vertrauen und<br />
von einer Gestaltungsfreiheit gekennzeich-<br />
net, die der Best<strong>im</strong>mung durch die gesetz-<br />
lichen Krankenkassen entzogen ist, so der<br />
BGH. Im Umkehrschluss erhielten durch<br />
das Urteil der Richter auch jene Mitarbeiter<br />
von Pharmafirmen, die Vertragsärzten Zu-<br />
wendungen anbieten, einen Freispruch.<br />
Vonseiten der Ärzte stieß das BGH-Urteil<br />
größtenteils auf Wohlwollen. So erklärte<br />
etwa der Vorsitzende des Vorstands der<br />
Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung,<br />
Dr. Jürgen Fedderwitz: „Die Klarstellung des<br />
BGH ist eine wichtige Bestätigung für die<br />
Freiberuflichkeit des Zahnarztes. Damit wird<br />
auch das Vertrauensverhältnis zwischen<br />
Patient und Arzt als wesentliches Merkmal<br />
einer guten Versorgung geschützt.“ Ähnlich<br />
sieht es Dr. Siegfried Götte, Präsident<br />
der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufs-<br />
verbände (GFB): „Der ärztliche Anspruch,<br />
allein dem Patientenwohl verpflichtet zu<br />
sein, ist unantastbar“, betont er. Auch der<br />
Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundes-<br />
vereinigung, Dr. Andreas Köhler, der Präsi-<br />
dent der Bundesärztekammer, Dr. Frank<br />
Ulrich Montgomery, sowie der Vor-<br />
sitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus<br />
Reinhardt, begrüßten das Urtei als Stärkung<br />
der Freiberuflichkeit.<br />
Urteil mit Folgen<br />
Doch mit dem Urteil hat sich der BGH „nicht<br />
nur Freunde gemacht“, wie die Pharma-<br />
zeutische Zeitung anmerkt. Der Umstand,<br />
dass angestellte Ärzte, die etwa in Medizi-<br />
nischen Versorgungszentren oder in Kran-<br />
kenhäusern tätig sind, sich <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zu ihren freiberuflichen Kollegen strafbar<br />
machen, wenn sie Vorteile annehmen, dürfte<br />
die Geschlossenheit der Ärzte untereinander<br />
nicht gerade fördern. Für den Spitzenver-<br />
band der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
ist das Urteil „kein Freifahrtschein für nie-<br />
dergelassene Ärzte und Pharmareferenten,<br />
sondern ein klarer Auftrag an den Gesetz-<br />
geber, die in diesem Rechtsstreit sichtbar