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Jahresbericht 2011 (PDF) - Zentrum für Zeithistorische Forschung ...

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Das ist nicht verwunderlich, da die politischen Aufstiegswege in dem durch Besatzung<br />

importierten SED-Regime nicht durch den Zwang zur öffentlichen Beliebtheitskonkurrenz<br />

vorgezeichnet waren, sondern durch glaubhaft gemachte Zuverlässigkeit und interne<br />

Durchsetzungsstärke, also nicht den Volkstribun privilegierten, sondern den Apparatschik.<br />

Folgerichtig überstanden kommunistische Regime generationell bedingte Führungswechsel<br />

relativ unbeschadet, während <strong>für</strong> die kumulative Radikalisierung des<br />

Nationalsozialismus der von Hitler selbst geteilte Glaube an die Unersetzlichkeit seiner<br />

Person essenziell war. Nicht zufällig gilt noch im bizarrsten stalinistischen Personenkult<br />

die Huldigung der Massen nicht allein dem Staats- oder Parteichef, sondern zugleich<br />

dem Führungskollektiv und anderen Instanzen, die die Richtigkeit der Politik verbürgen.<br />

Die einzelnen Repräsentanten bleiben auswechselbar, weil sie in der politischen Kultur<br />

der kommunistischen Regime nur Stellvertreterfunktion wahrnehmen.<br />

Hinter ihnen steht als eigentliche Charismaträgerin kommunistischer Herrschaft<br />

die Partei, deren sakralisierende Aufwertung im Parteikult dem nationalsozialistischen<br />

Führermythos in vieler Hinsicht sehr nahekommt. Von der Gewissheit, dass die Partei<br />

»immer recht« habe, bis zu ihrer Ausstattung mit anthropomorphen Zügen reicht die<br />

Sakralisierung des Kollektivs im Allgemeinen und der Partei in der kommunistischen<br />

Arbeiterbewegung. Während die charismatische Aura des faschistischen Diktators in<br />

der propagierten Einzigartigkeit der Führerpersönlichkeit zur Geltung kommt, verehrt<br />

die politische Kultur der kommunistischen Bewegung noch im Individuum das Ganze:<br />

»Unser Ruf den Feinden entgegenhalle: Walter Ulbricht – das sind wir alle!« 2<br />

Entsprechend konnten in der DDR Ulbricht oder Honecker sich etwa bei Sportveranstaltungen<br />

oder Massenkundgebungen ohne Gefahr <strong>für</strong> ihren charismatischen Status<br />

als Teil der Massen inszenieren, während der nationalsozialistische und auch der faschistische<br />

Führer nur als unwiederholbares, singuläres Gegenbild der von ihm geführten<br />

Massen in Erscheinung tritt. Biographien kommunistischer Politiker müssen daher mit<br />

einem Widerspruch in sich kämpfen. Sie fahnden nach der Persönlichkeit in Verhältnissen,<br />

die auf bloße Personifikation ausgerichtet waren; sie suchen nach dem Individuellen<br />

in politischen Karrieren, die in starkem Maße an die Zurückdrängung von Individualität<br />

geknüpft waren.<br />

Wie kann man diesen Widerspruch auflösen und auch einen blassen Diktator<br />

Erich Honecker als biographisches Subjekt in die Geschichtswissenschaft zurückholen?<br />

2 Otto Gotsche, Unser Genosse Vorsitzender, zit. n. Carola Stern, Ulbricht. Eine politische Biographie, Köln/Berlin<br />

1963, S. 286 ff. u. 289.<br />

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