Jahresbericht 2011 (PDF) - Zentrum für Zeithistorische Forschung ...
Jahresbericht 2011 (PDF) - Zentrum für Zeithistorische Forschung ...
Jahresbericht 2011 (PDF) - Zentrum für Zeithistorische Forschung ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
elite ausstrahlt. Wenn die Visualisierung des bürgerlichen Politikers im 20. Jahrhundert<br />
in seiner Körperlichkeit nacheinander Würde, Leistung und Glaubwürdigkeit präsentierte,<br />
wie Thomas Mergel dies am Beispiel deutscher Politikerfotos beschrieben hat 3 ,<br />
so stellt das kommunistische Funktionärsporträt die überindividuelle Gesetzmäßigkeit<br />
der sozialistischen Ordnung vor.<br />
In Honecker scheinen sich politische Anforderung und persönliche Wesensart zur<br />
Lebensgeschichte eines blassen Diktators zu ergänzen. Entsprechend statten die vorliegenden<br />
Biographien das Bild Erich Honeckers bevorzugt mit den lebensgeschichtlich<br />
gleichbleibenden Zügen eines emotional verarmten, intellektuell zurückgebliebenen<br />
Kümmerlings aus: »ein zu hoch gestiegener Apparatschik, ideenlos, irgendwie peinlich<br />
und vor allem eins: mittelmäßig. Das Talent zur Selbstdarstellung fehlte ihm fast völlig.« 4<br />
Dieser Gesamteindruck biographischer Konturenlosigkeit kann sich auf niemand Geringeren<br />
als Helmut Schmidt berufen. »Mir ist nie klar geworden, wie dieser mittelmäßige<br />
Mann sich an der Spitze des Politbüros so lange hat halten können«, wunderte sich etwa<br />
Helmut Schmidt noch nach dem Tod seines innerdeutschen Gegenspielers. 5 Schmidt<br />
formulierte damit einen eigentümlichen Widerspruch, den schon zahlreiche Biographen<br />
in den letzten fünfzehn Jahren als das »im Wesen Honeckers verborgene Paradoxon« 6<br />
zu entschlüsseln versucht haben: »Wie konnte ein äußerlich so unscheinbarer Mensch,<br />
ein intellektuell überforderter und rhetorisch unbegabter Politiker die Machtfülle, die<br />
er besaß, erringen und über so viele Jahre sich erhalten?« 7<br />
Die These, die der geplanten Biographie zugrunde liegt, lässt sich dahin zusammenfassen,<br />
dass das Bild eines »linientreuen Apparatschiks« 8 ohne Individualität oder<br />
gar Charisma in dreifacher Hinsicht revisionsbedürftig ist. Es beruht erstens in seiner<br />
visuellen Repräsentation auf einer retrospektiven Verkürzung des Honecker-Bildes auf<br />
die Ära Honecker der 1970er und 1980er Jahre; es nimmt zweitens den Schein der kommunistischen<br />
Herrschaftsrepräsentation <strong>für</strong> das Wesen des Menschen Erich Honecker,<br />
und es unterstellt ihm, um den Widerspruch zwischen Mediokrität und Machtfülle zu<br />
erklären, fälschlich zugleich eine ebenso unheimliche wie verborgene Fähigkeit zur<br />
Machtusurpation.<br />
3 Vgl. Thomas Mergel, »Politiker in Badehose. Zum Verhältnis von Körper und Politik im 20. Jahrhundert«, Ringvorlesung<br />
»Geschichte denken« an der Humboldt-Universität zu Berlin, 20. Oktober <strong>2011</strong>.<br />
4 Jan Lorenzen, Erich Honecker. Eine Biografie, Reinbek 2001, S. 9.<br />
5 Helmut Schmidt, Weggefährten: Erinnerungen und Reflexionen, Berlin 1996, S. 505. Ebenso: »Wie konnte ein äußerlich<br />
so unscheinbarer Mensch, ein intellektuell überforderter und rhetorisch unbegabter Politiker die Machtfülle,<br />
die er besaß, erringen und über so viele Jahre sich erhalten?« Norbert F. Pötzl, Erich Honecker. Eine deutsche Biographie,<br />
Stuttgart/München 2002, S. 7.<br />
6 »Es ist dieses im Wesen Honeckers verborgene Paradoxon, das seine Biographie so spannend macht.« Lorenzen,<br />
Erich Honecker, S. 1.<br />
7 Pötzl, Erich Honecker. Eine deutsche Biographie, S. 7.<br />
8 Joachim Nawrocki, Der Verwalter des Erbes. Ein 58jähriger Funktionär wurde Ulbrichts Nachfolger – der jüngste<br />
der alten Parteigarde. Erich Honecker, der neue Erste Sekretär der SED: ein linientreuer Apparatschik, in: Die Zeit,<br />
7.5.1971.<br />
38<br />
39