Jahresbericht 2011 (PDF) - Zentrum für Zeithistorische Forschung ...
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zahlreicher semantischer Schwächen als Oberbegriff <strong>für</strong> die tatsächlichen oder ver-<br />
meintlichen Reformen in westlichen kommunistischen Parteien durch. 3 In den Jahren<br />
1976 bis 1979 erlebte das Schlagwort seinen Höhepunkt. Kaum eine Tageszeitung kam<br />
eine Woche ohne Berichte über die neuesten Entwicklungen der als eurokommunistisch<br />
titulierten Parteien aus. Auch auf dem Buchmarkt kam es zu zahlreichen Publikationen<br />
über das Phänomen »Eurokommunismus« als Ganzes oder die entsprechenden Parteien.<br />
In seiner Hochphase löste der Eurokommunismus intensive Emotionen aus. Die<br />
politische Auseinandersetzung um ihn weitete sich in den Jahren 1976 bis 1979 zu einem<br />
der bestimmenden außen- und sicherheitspolitischen Themen aus. Zwar kam es in der<br />
Bundesrepublik nicht zu den teilweise hysterischen Reaktionen prominenter US-Politiker.<br />
4 An Schärfe mangelte es den Debatten jedoch auch in Westdeutschland nicht. Da<br />
sich nie eine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Definition herausbildete, blieb der<br />
Begriff schwammig und ungenau. Diese Unsicherheit evozierte Ängste vor einer (euro)kommunistischen<br />
Täuschung, die in Karikaturen überspitzt aufgenommen und dargestellt<br />
wurde. Besonders gerne wurde dabei das Bild vom Trojanischen Pferd benutzt, welches<br />
als scheinbar moskaukritischer Eurokommunismus von einem naiven Wahlvolk in<br />
Parlament, Regierung, nationale und internationale Institutionen und somit in die inneren<br />
Machtzirkel des Westens hereingelassen<br />
werde. In Wahrheit verberge sich aber<br />
hinter dem Eurokommunismus eine sowjetische<br />
Taktik zur Machteroberung im<br />
Westen. In der »WELT« vom 18. April 1977<br />
stehen die drei Protagonisten des Eurokommunismus,<br />
Santiago Carrillo, Enrico<br />
Berlinguer und Georges Marchais, mit dem<br />
Trojanischen Pferd namens »Euro-Kommunismus«<br />
vor dem Scheideweg: Soll die<br />
Orientierung gen Osten oder gen Westen<br />
gehen? Wie in der Realität herrscht auch<br />
in der Karikatur Uneinigkeit zwischen den<br />
drei Generalsekretären.<br />
Trojanisches Pferd am Scheideweg, Zeichnung: Hitziger, Nebelspalter, Die Welt, 18.4.77<br />
3 Bereits zeitgenössisch wurde die Begriffswahl aus verschiedenen Gründen kritisiert. Zum einen wurde bemängelt,<br />
dass »Eurokommunismus« eine gemeinsame politische Linie der entsprechenden Parteien suggeriere, die es in der<br />
Realität jedoch nie über einen längeren Zeitraum gegeben habe. Zum anderen wurde die Einschränkung auf den<br />
europäischen Raum bemängelt, da auch kommunistische Parteien in außereuropäischen westlichen Staaten<br />
(v.a. in Japan) diesen Weg einschlügen. Alternative Begriffsvorschläge konnten sich jedoch nicht durchsetzen,<br />
obwohl es an ihnen nicht mangelte. »Reformkommunismus« war ein zu allgemeiner, »Nationalkommunismus«<br />
ein die internationale Dimension des Eurokommunismus negierender Begriff.<br />
4 John Connally, ehemaliger Finanzminister im Kabinett von Richard Nixon und Gouverneur von Texas, warnte<br />
beispielsweise vor einem kommunistischen Domino-Effekt im Zuge des Eurokommunismus, der nach Italien,<br />
Frankreich, Spanien und Portugal auch ganz Mittel- und Südamerika sowie vor allem Mexiko kommunistisch<br />
werden lasse. Die USA müssten daher den Eurokommunismus bekämpfen, um ihn nicht übermorgen an der eigenen<br />
Landesgrenze zu haben (vgl. Rodolfo Brancoli, Spettatori interessati. Gli Stati Uniti e la crisi italiana 1975–<br />
1980, Mailand 1980, S. 123).<br />
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