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Jahresbericht 2011 (PDF) - Zentrum für Zeithistorische Forschung ...

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nikolas dörr<br />

ängste und hoFFnungen im kalten krieg:<br />

der eurokommunismus der 1970er Jahre<br />

Am 14. Juni 1976 schaffte es Enrico Berlinguer, der Generalsekretär der Kommunistischen<br />

Partei Italiens, auf die Titelseite des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins »TIME«,<br />

nachdem bereits drei Wochen zuvor der »SPIEGEL« mit ihm getitelt hatte.<br />

Dunkel und gefährlich erschien der Mächtigste aller Eurokommunisten. Schließlich<br />

hatte seine Partei zu diesem Zeitpunkt knapp 1,8 Millionen Mitglieder hinter sich<br />

vereint und schickte sich an, die Parlamentswahlen sechs Tage nach Erscheinen des Magazins<br />

zu gewinnen. In der Kommunal- und Regionalpolitik galt der Partito Comunista<br />

Italiano (PCI) als einflussreiche Größe und anerkannte Regierungspartei, die vor allem in<br />

der zona rossa, also insbesondere den Regionen Toskana und Emilia Romagna, nach dem<br />

Ende des Faschismus eine hegemoniale Stellung etabliert hatte. Auch war die kommunistische<br />

Parteizeitung »l’Unità« seinerzeit die drittauflagenstärkste Tageszeitung Italiens.<br />

Der massive Einfluss, die schiere Größe des PCI und der Fakt, dass es sich im Falle Italiens<br />

nicht um einen strategisch weniger wichtigen Kleinstaat handelte, ließen im Westen<br />

die Alarmglocken schrillen. Das Jahr 1976 stellte dabei den Ausgangspunkt einer intensiven<br />

Auseinandersetzung mit dem sich unter dem Signum »Eurokommunismus« scheinbar<br />

wandelnden Kommunismus in der westlichen Welt dar. In diesem Jahr erlangte der<br />

PCI mit 34,4 Prozent der Wählerstimmen bei den Parlamentswahlen im Juni einen bislang<br />

ungekannten Einfluss auf die Politik des NATO- und EG-Mitglieds Italien, 1 und wenige<br />

Tage nach den Wahlen kam es auf der Konferenz kommunistischer Parteien Europas<br />

in Ost-Berlin zur öffentlichkeitswirksamen Auseinandersetzung zwischen eurokommunistischen<br />

Reformern und prosowjetischen kommunistischen Parteien. Für die nächsten<br />

drei Jahre sollte der Eurokommunismus als Projektionsfläche von Ängsten und Hoffnungen<br />

im Kalten Krieg dienen.<br />

Geprägt worden war der Begriff Eurokommunismus im Juni 1975. Der jugoslawische<br />

Journalist Frane Barbieri, der seinerzeit <strong>für</strong> die Mailänder Tageszeitung »Il Giornale<br />

Nuovo« (seit 1983 nur noch »Il Giornale«) schrieb, verwendete ihn erstmals in einem Artikel<br />

über Leonid Breschnew und beschrieb damit die Reformansätze westeuropäischer<br />

kommunistischer Parteien. 2 Publizisten und Journalisten schienen nur auf das Schlagwort<br />

gewartet zu haben. Innerhalb kürzester Zeit setzte sich »Eurokommunismus« trotz<br />

1 In Folge der Wahlen kam es zu einer in Westeuropa einzigartigen Konstellation: Die seit Jahrzehnten regierenden<br />

Christdemokraten mussten sich fortan von der kommunistischen Fraktion als Minderheitsregierung tolerieren<br />

lassen. Dazu übernahm der PCI den Vorsitz von sieben Parlamentsausschüssen (u. a. im einflussreichen Verteidigungsausschuss).<br />

Gleichzeitig stellten die Kommunisten nun mit Pietro Ingrao (ab 1979 Nilde Jotti) den Präsidenten<br />

des Abgeordnetenhauses.<br />

2 Zur Wortschöpfung vgl. auch das Interview mit Frane Barbieri, in: Manfred Steinkühler (Hg.), Eurokommunismus<br />

im Widerspruch. Analyse und Dokumentation, Köln 1977, S. 389–392.

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