Jahresbericht 2011 (PDF) - Zentrum für Zeithistorische Forschung ...
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Drittens diente die Deutschland-Mission der berufs- und kulturpolitischen Agenda eines<br />
jungen, sich soeben in Großbritannien formierenden und professionalisierenden Berufsstandes:<br />
der Identitätsbildung der »Industriedesigner« selbst. Der Beruf des Formgebers<br />
<strong>für</strong> die industrielle Produktion hatte in Großbritannien in den Jahren des Zweiten Weltkriegs<br />
wichtige Entwicklungsimpulse erhalten, und zwar vor allem durch die staatlich<br />
initiierten Standardisierungsprogramme <strong>für</strong> Konsumgüter ab 1941 und durch die kriegsbedingte<br />
Behinderung transnationaler Austauschprozesse, die das weithin übliche Kopieren<br />
ausländischer Modelle erschwerte und die Bedeutung der eigenen Formgebung<br />
in den Unternehmen wachsen ließ. Hierdurch geriet diese Profession in einen tiefen Umbruch.<br />
Ein Ausdruck davon war, dass sich in Großbritannien in den Jahren des Zweiten<br />
Weltkriegs eine neue Bezeichnung <strong>für</strong> die Produktgestaltung durchsetzte: Ihre Praktiker<br />
nannten sie nun programmatisch »industrial design«.<br />
Ein leitendes Kommissionsmitglied und maßgeblicher Verfasser des BIOS-Berichts<br />
<strong>für</strong> den »Council of Industrial Design« war ein deutscher Emigrant: Nikolaus Pevsner<br />
(1902–1983). Der wegen seiner jüdischen Herkunft Ende 1933 von der Universität Göttingen<br />
entlassene Kunsthistoriker stieg seit den 1940er Jahren in Großbritannien zu einem<br />
der führenden akademischen Gelehrten und streitbaren, öffentlichen Intellektuellen<br />
auf. Nachdem Pevsner 1933 mittellos und ohne nennenswerte akademische Kontakte<br />
in Großbritannien angekommen war, hielt er sich finanziell zunächst mit einem praktischen<br />
Auftrag <strong>für</strong> die britische Industrie über Wasser. In den Jahren 1934 bis 1936 führte<br />
er im Auftrag des handelswirtschaftlichen Lehrstuhls an der Universität Birmingham<br />
eine »industriesoziologische« Regionalstudie in den englischen Midlands durch. Mit<br />
den jungen Methoden der empirischen Sozialforschung, die er in Birmingham lernte,<br />
untersuchte er die Qualität und Praxis der industriellen Formgebung in britischen Konsumgüterunternehmen.<br />
Er führte da<strong>für</strong> rund 200 Interviews mit Unternehmern und<br />
Managern, Groß- und Einzelhändlern sowie Künstlern und künstlerischen Beratern,<br />
die als Produktgestalter arbeiteten.<br />
Indem er mit dieser Studie <strong>für</strong> sich selbst ein neues Tätigkeitsfeld in der »angewandten<br />
<strong>Forschung</strong>« schuf, entwickelte Pevsner hier ein neues Genre der empirischen<br />
Wirtschaftsstudie im Schnittfeld von ästhetischer <strong>Forschung</strong> und Unternehmensberatung:<br />
die empirische Designforschung. Seine Ergebnisse veröffentlichte er 1937 bei Cambridge<br />
University Press unter dem Titel »An Enquiry into Industrial Art in England«. Das Buch<br />
löste eine breite Diskussion aus, da Pevsner behauptete, 90 Prozent der britischen Produkte<br />
seien »ohne jegliche ästhetische Qualität«, und der Zustand der Produktgestaltung sei<br />
»verheerend«. Die »moderne Bewegung« in der Architektur und Produktgestaltung sei,