Jahresbericht 2011 (PDF) - Zentrum für Zeithistorische Forschung ...
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xxx In den Institutionen des Völkerbundes und durch die Publizistik humanitärer Hilfsorganisationen<br />
gelangte das neue Massenphänomen nach dem Ersten Weltkrieg auf die<br />
politische xxxxx Agenda. Zugleich wurde ein juristischer Begriff von Staatenlosigkeit im Völkerrecht<br />
entwickelt. Eine zweite Karriere machte der Begriff im ausgehenden Jahrhundert<br />
als Deutungskategorie im politischen und philosophischen Denken. Staatenlosigkeit<br />
kennzeichnet xxx so als historisches Phänomen wie als diskursive Figur das 20. Jahrhundert<br />
hochmoderner Staatlichkeit, in der Personen ohne staatliche Zugehörigkeit als Gegenbilder<br />
:: xxxxxxxxxxxxxxxx<br />
des Staatsbürgers verhandelt wurden. 2 Vor dem Hintergrund moderner Bevölkerungspolitiken<br />
markieren Staatenlose das Spannungsfeld zwischen Vorstellungen von<br />
nationaler Souveränität, Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Homogenität wie<br />
von individuellen und kollektiven Rechten.<br />
I.<br />
Das normengeschichtliche Rückgrat einer Geschichte von Staatenlosigkeit bildet die<br />
langwierige Aushandlung der juristischen Konstruktion. Auf internationaler und nationaler<br />
Ebene sollte sie staatenlose Menschen mit einer Ersatzidentität versehen, um<br />
das Fehlen rechtlichen Schutzes und diplomatischer Vertretung durch einen Staat auszugleichen.<br />
In der Dekade nach der Pariser Friedensordnung entstand in enger Verflechtung<br />
juristischer und humanitärer Expertise eine moderne Definition von Staatenlosigkeit.<br />
Als rechtliche Anomalie wahrgenommen, konstruierten Juristen in den<br />
zentral- und westeuropäischen Ländern, in denen nach 1919 viele Staatenlose lebten,<br />
Staatenlosigkeit über die zentrale Qualität der Schutzlosigkeit und betonten, in Abgrenzung<br />
gegenüber individuellen Heimatlosen und Exilanten des 19. Jahrhunderts, die<br />
Unfreiwilligkeit. In der Zwischenkriegszeit wurde jedoch keine allgemeine Definition<br />
erreicht. Bevölkerungsgruppen, die – wie in den Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches<br />
– an ihrem Heimatort staatenlos wurden, blieben ausgeblendet. Auf internationaler<br />
Ebene wurden mit den Innovationen der »Nansen-Ära« provisorische Maßnahmen zugunsten<br />
prominenter Gruppen staatenloser Flüchtlinge – aus dem ehemaligen Zaren- und<br />
Osmanischen Reich – geschaffen, die Identifikationspapiere und einen Sonderstatus<br />
erhielten. Die 1920 eingerichtete Völkerbunds-Institution des Hohen Kommissars <strong>für</strong><br />
Flüchtlinge diente, trotz ihrer wechselhaften Entwicklung, nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
als Modell <strong>für</strong> den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), der<br />
erst im Jahr 2003 ein explizites Mandat <strong>für</strong> Staatenlose erhielt.<br />
2 Vgl. Linda K. Kerber, The Stateless as the Citizen’s Other: A View from the United States, in: American Historical<br />
Review 112 (2007), S. 1–34.