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Voodoo im steirischen Weinland<br />
In der Steiermark nannte sich einst eine geheime Gesellschaft „katholische Leut`“, um<br />
sich nicht leichtfertig dem Verdacht der Ketzerei auszusetzen. Von den kirchlichen und<br />
weltlichen Behörden erhielten sie das Etikett „Springersekte“ umgehängt<br />
Von Friedrich Klementschitz<br />
Der Begriff „Voodoo“ stammt aus Westafrika<br />
und bedeutet Schutzgeist, Gott<br />
oder das Unbekannte (Wesen). Es ist<br />
ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von<br />
Kulten, die über mehrere Kontinente<br />
verteilt sind, die ihre Propheten durch<br />
ekstatische Tänze in Trance versetzen,<br />
wobei sie auch „Beschleuniger“, wie<br />
das Mescalin der Agave im Peyote-Kult,<br />
verwenden. In Trance vereinigt sich die<br />
Seele der Priesterin oder des Priesters<br />
mit Gott, der sich so mitteilt.<br />
Dieses Ritual hat eine katholische Parallele:<br />
Wir sehen im Wein das Blut Christi<br />
und in der Hostie dessen Leib, den wir<br />
aufessen, um uns so mit dem allerhöchsten<br />
Wesen zu vereinen. Manche<br />
Schamanen bemerken in dieser Praxis<br />
eine seltsame Form des Kannibalismus.<br />
Wie auch immer, der Wein spielt<br />
in der Religion seit jeher eine wichtige<br />
Rolle: er wirkt zwar nicht unmittelbar<br />
therapeutisch, aber beeinflusst unseren<br />
Gesamtzustand euphorisch und<br />
verschafft so seelische Erleichterung.<br />
Im 21. Jahrhundert steht beim Weingenuss<br />
das Geschmackserlebnis im<br />
Vordergrund, während für Rauscherlebnisse<br />
der jugendliche Konsument<br />
zum billigen Branntwein greift.<br />
Schon bei den alten Etruskern war<br />
Wein das Transportmittel für die Flucht<br />
aus dem Alltäglichen. Auf einer etruskischen<br />
Opferschale steht die unwiderlegbare<br />
Wahrheit „vinimia leniace“: Im<br />
Wein ist „Sichgehenlassen“... und auf<br />
einer anderen Schale die Folgen: „klen-<br />
ase citia“, vermutlich ein Ausruf, „wie ist<br />
diese Welt doch schief (verdreht)“.<br />
Das ausgehende Mittelalter war eine<br />
nicht weniger verdrehte Zeit, geprägt<br />
von Aufständen, Seuchen und Katastrophen,<br />
welche Menschen an die gottgegebene<br />
Ordnung zweifeln ließen.<br />
Die Kirche stellte sich selbst in Frage,<br />
war aber zu keiner Reform fähig. Das<br />
einfache Volk hatte keinen Kopf für<br />
theologische Spitzfindigkeiten, ebenso<br />
wenig die niedere Geistlichkeit.<br />
Besonders für die Weinzerl (Weinzierl)<br />
und Dienstboten erfüllten sich die<br />
Heilserwartungen durch einen ausreichenden<br />
Mittagstisch und mit etwas<br />
Wein. Die Religionsbekenntnisse<br />
überließen die Landbevölkerung ihrem<br />
Schicksal, während sie sich dem<br />
Glaubenskonflikt widmeten, was dazu<br />
führte, dass Sekten diese Lücke füllen<br />
konnten.<br />
So gespalten die Bevölkerung im Mittelalter<br />
auch war, beim Wein saßen sie<br />
wieder zusammen. Aus der liebevollen<br />
Namensgebung, wie Salve Regindl,<br />
Honigsnabl oder Lekchencaphen<br />
(Leck` am Schankzapfen) lassen auf zufriedene<br />
„Weinbeißer“ schließen.<br />
Über die Qualitätsmerkmale eines guten<br />
Weines sagt ein alter Weinspruch:<br />
„Der echte Wein, die edelste aller Gaben,<br />
muss, wie die Erfahrung lehrt, vier<br />
Religionen haben:<br />
Lutherisch muss er sein, rein und lauter<br />
von dem Fass, kalvinisch aufgeklärt in<br />
einem reinen Glas; katholisch, dass er<br />
lehrt in Wunden seine Stärke, an unserem<br />
Leib übt recht gute, warme Werke.<br />
Doch auch dem Juden gleich, muss<br />
ungetauft er sein. So schließt ein gutes<br />
Glas vier Religionen ein.“<br />
Im späten Mittelalter träumten die unteren<br />
Volksschichten von einem paradiesischen<br />
Leben, doch das „Regnum<br />
Schlaraffia“ bestand nur auf dem Pa-<br />
pier. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts<br />
scheinen sich die Prophezeiungen auf<br />
ein vergnüglicheres Leben zu mehren.<br />
Im Jahre 1586 taucht im österreichischen<br />
Küstenland eine slowenische<br />
Frau auf, sie nennt sich Maruscha (slow.<br />
Maria) und versucht, für ihre geheime<br />
Gesellschaft Anhänger zu finden. Im<br />
Dunkel der Nacht, in einer einsamen<br />
Waldschlucht, rodet sie eine Fläche<br />
von Gestrüpp, um einen zukünftigen<br />
Versammlungsplatz einzurichten. So<br />
entsteht in Görz vorerst ein Geselligkeitsverein,<br />
in dem Enthaltsamkeit<br />
oder Kasteiungen kein Thema sind, ja<br />
mit Gottes Hilfe eine Besserung der Lebensumstände<br />
vorausgesagt wird.<br />
Die Prophetin erregt bald die Aufmerksamkeit<br />
der Behörden, die sie als Hexe<br />
in den Kerker werfen. Doch hatte sie<br />
mittlerweile schon einige Anhänger<br />
in ihren schwärmerischen Kult eingeweiht,<br />
die mit geheimen Glaubensvorstellungen<br />
bis in die Steiermark<br />
flüchten und vor Ort unter der slowenischen<br />
Bevölkerung des Weinlandes<br />
Filialen gründen.<br />
Sie nannten sich katholische Leut`<br />
In der Steiermark nannte sich die geheime<br />
Gesellschaft „katholische Leut`“,<br />
um sich nicht leichtfertig dem Verdacht<br />
der Ketzerei auszusetzen. Von<br />
den kirchlichen und weltlichen Behörden<br />
erhielten sie das Etikett „Springersekte“<br />
umgehängt, dass auf ihre<br />
Gewohnheit, sich in Ekstase zu tanzen,<br />
zurückzuführen ist. Ihre „Gottesdienste“,<br />
welche der Klerus eher dem Bacchus<br />
zuordnet als dem Christengott,<br />
hielten die Springer an verborgenen<br />
Orten, wie auf hohen Bergen, in Wäldern<br />
oder auch in Talschluchten ab, wo<br />
sie vor unerwünschten Beobachtern<br />
sicher sein konnten. Die nächtlichen<br />
Kultfeiern gestalteten sie mit zeremo-