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Novalis Heinrich von Ofterdingen Erstausgabe 1802 ... - Germanistik

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Fest an unserm Herzen haben.<br />

Wäre dies zu denken Sünde?<br />

Zollfrei sind Gedanken doch.<br />

Was bleibt einem armen Kinde<br />

Außer süßen Träumen noch?<br />

Will man sie auch gern verbannen,<br />

Nimmer ziehen sie <strong>von</strong> dannen.<br />

Wenn wir auch des Abends beten,<br />

Schreckt uns doch die Einsamkeit,<br />

Und zu unsern Küssen treten<br />

Sehnsucht und Gefälligkeit.<br />

Könnten wir wohl widerstreben<br />

Alles, alles hinzugeben?<br />

Unsre Reize zu verhüllen,<br />

Schreibt die strenge Mutter vor.<br />

Ach! was hilft der gute Willen,<br />

Quellen sie nicht selbst empor?<br />

Bei der Sehnsucht innrem Beben<br />

Muß das beste Band sich geben.<br />

Jede Neigung zu verschließen,<br />

Hart und kalt zu sein, wie Stein,<br />

Schöne Augen nicht zu grüßen,<br />

Fleißig und allein zu sein,<br />

Keiner Bitte nachzugeben:<br />

Heißt das wohl ein Jugendleben?<br />

Groß sind eines Mädchens Plagen,<br />

Ihre Brust ist krank und wund,<br />

Und zum Lohn für stille Klagen<br />

Küßt sie noch ein welker Mund.<br />

Wird denn nie das Blatt sich wenden<br />

Und das Reich der Alten enden?<br />

Die alten Leute und die Jünglinge lachten. Die Mädchen erröteten und lächelten abwärts.<br />

Unter tausend Neckereien wurde ein zweiter Kranz geholt, und Klingsohren aufgesetzt. Sie<br />

baten aber inständigst um keinen so leichtfertigen Gesang. »Nein«, sagte Klingsohr, »ich<br />

werde mich wohl hüten, so frevelhaft <strong>von</strong> euren Geheimnissen zu reden. Sagt selbst, was ihr<br />

für ein Lied haben wollt.« – »Nur nichts <strong>von</strong> Liebe«, riefen die Mädchen, »ein Weinlied,<br />

wenn es Euch ansteht.« Klingsohr sang:<br />

Auf grünen Bergen wird geboren,<br />

Der Gott, der uns den Himmel bringt.<br />

Die Sonne hat ihn sich erkoren,<br />

Daß sie mit Flammen ihn durchdringt.<br />

Er wird im Lenz mit Lust empfangen,<br />

Der zarte Schoß quillt still empor,<br />

Und wenn des Herbstes Früchte prangen,

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