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Novalis Heinrich von Ofterdingen Erstausgabe 1802 ... - Germanistik

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Klingsohr umarmte sie und ging hinaus. »Liebe Mathilde«, sagte <strong>Heinrich</strong> nach einem<br />

langen Kusse, »es ist mir wie ein Traum, daß du mein bist, aber noch wunderbarer ist mir es,<br />

daß du es nicht immer gewesen bist.« »Mich dünkt«, sagte Mathilde, »ich kennte dich seit<br />

undenklichen Zeiten.« – »Kannst du mich denn lieben?« – »Ich weiß nicht, was Liebe ist,<br />

aber das kann ich dir sagen, daß mir ist, als finge ich erst jetzt zu leben an, und daß ich dir so<br />

gut bin, daß ich gleich für dich sterben wollte.« »Meine Mathilde, erst jetzt fühle ich, was es<br />

heißt unsterblich zu sein.« – »Lieber <strong>Heinrich</strong>, wie unendlich gut bist du, welcher herrliche<br />

Geist spricht aus dir. Ich bin ein armes, unbedeutendes Mädchen.« – »Wie du mich tief<br />

beschämst! bin ich doch nur durch dich, was ich bin. Ohne dich wäre ich nichts. Was ist ein<br />

Geist ohne Himmel, und du bist der Himmel, der mich trägt und erhält.« – »Welches selige<br />

Geschöpf wäre ich, wenn du so treu wärst, wie mein Vater. Meine Mutter starb kurz nach<br />

meiner Geburt; mein Vater weint fast alle Tage noch um sie.« – »Ich verdiene es nicht, aber,<br />

möchte ich glücklicher sein als er.« – »Ich lebte gern recht lange an deiner Seite, lieber<br />

<strong>Heinrich</strong>. Ich werde durch dich gewiß viel besser.« – »Ach! Mathilde, auch der Tod wird uns<br />

nicht trennen.« – »Nein, <strong>Heinrich</strong>, wo ich bin, wirst du sein.« – »Ja wo du bist, Mathilde,<br />

werd' ich ewig sein.« – »Ich begreife nichts <strong>von</strong> der Ewigkeit, aber ich dächte, das müßte die<br />

Ewigkeit sein, was ich empfinde, wenn ich an dich denke.« – »Ja Mathilde, wir sind ewig, weil<br />

wir uns lieben.« – »Du glaubst nicht Lieber, wie inbrünstig ich heute früh, wie wir nach Hause<br />

kamen, vor dem Bilde der himmlischen Mutter niederkniete, wie unsäglich ich zu ihr gebetet<br />

habe. Ich glaubte in Tränen zu zerfließen. Es kam mir vor, als lächelte sie mir zu. Nun weiß<br />

ich erst, was Dankbarkeit ist.« – »O Geliebte, der Himmel hat dich mir zur Verehrung<br />

gegeben. Ich bete dich an. Du bist die Heilige, die meine Wünsche zu Gott bringt, durch die<br />

er sich mir offenbart, durch die er mir die Fülle seiner Liebe kund tut. Was ist die Religion, als<br />

ein unendliches Einverständnis, eine ewige Vereinigung liebender Herzen? Wo zwei<br />

versammelt sind, ist er ja unter ihnen. ich habe ewig an dir zu atmen; meine Brust wird nie<br />

aufhören dich in sich zu ziehn. Du bist die göttliche Herrlichkeit, das ewige Leben in der<br />

lieblichsten Hülle.« – »Ach! <strong>Heinrich</strong>, du weißt das Schicksal der Rosen; wirst du auch die<br />

welken Lippen, die bleichen Wangen mit Zärtlichkeit an deine Lippen drücken? Werden die<br />

Spuren des Alters nicht die Spuren der vorübergegangenen Liebe sein?« – »O! könntest du<br />

durch meine Augen in mein Gemüt sehn! aber du liebst mich und so glaubst du mir auch. Ich<br />

begreife das nicht, was man <strong>von</strong> der Vergänglichkeit der Reize sagt. O! sie sind<br />

unverwelklich. Was mich so unzertrennlich zu dir zieht, was ein ewiges Verlangen in mir<br />

geweckt hat, das ist nicht aus dieser Zeit. Könntest du nur sehn, wie du mir erscheinst,<br />

welches wunderbare Bild deine Gestalt durchdringt und mir überall entgegen leuchtet, du<br />

würdest kein Alter fürchten. Deine irdische Gestalt ist nur ein Schatten dieses Bildes. Die<br />

irdischen Kräfte ringen und quellen um es festzuhalten, aber die Natur ist noch unreif; das<br />

Bild ist ein ewiges Urbild, ein Teil der unbekannten heiligen Welt.« – »Ich verstehe dich,<br />

lieber <strong>Heinrich</strong>, denn ich sehe etwas Ähnliches, wenn ich dich anschaue.« – »Ja Mathilde, die<br />

höhere Welt ist uns näher, als wir gewöhnlich denken. Schon hier leben wir in ihr und wir<br />

erblicken sie auf das innigste mit der irdischen Natur verwebt.« – »Du wirst mir noch viel<br />

herrliche Sachen offenbaren, Geliebtester.« – »O! Mathilde, <strong>von</strong> dir allein kommt mir die<br />

Gabe der Weissagung. Alles ist ja dein, was ich habe; deine Liebe wird mich in die<br />

Heiligtümer des Lebens, in das Allerheiligste des Gemüts führen; du wirst mich zu den<br />

höchsten Anschauungen begeistern. Wer weiß, ob unsre Liebe nicht dereinst noch zu<br />

Flammenfittichen wird, die uns aufheben, und uns in unsre himmlische Heimat tragen, ehe<br />

das Alter und der Tod uns erreichen. Ist es nicht schon ein Wunder, daß du mein bist, daß ich<br />

dich in meinen Armen halte, daß du mich liebst und ewig mein sein willst?« – »Auch mir ist<br />

jetzt alles glaublich, und ich fühle ja so deutlich eine stille Flamme in mir lodern; wer weiß,

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