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Novalis Heinrich von Ofterdingen Erstausgabe 1802 ... - Germanistik

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Tiecks Bericht über die Fortsetzung<br />

Weiter ist der Verfasser nicht in Ausarbeitung dieses zweiten Teils gekommen. Diesen<br />

nannte er »die Erfüllung«, so wie den ersten »Erwartung«, weil hier alles aufgelöst, und<br />

erfüllt werden sollte, was jener hatte ahnden lassen. Es war die Absicht des Dichters, nach<br />

Vollendung des »<strong>Ofterdingen</strong>« noch sechs Romane zu schreiben, in denen er seine Ansichten<br />

der Physik, des bürgerlichen Lebens, der Handlung, der Geschichte, der Politik und der Liebe,<br />

so wie im »<strong>Ofterdingen</strong>« der Poesie niederlegen wollte. Ohne mein Erinnern wird der<br />

unterrichtete Leser sehn, daß der Verfasser sich in diesem Gedichte nicht genau an die Zeit,<br />

oder an die Person jenes bekannten Minnesängers gebunden hat, obgleich alles an ihn und<br />

sein Zeitalter erinnern soll. Nicht nur für die Freunde des Verfassers, sondern für die Kunst<br />

selbst, ist es ein unersetzlicher Verlust, daß er diesen Roman nicht hat beendigen können,<br />

dessen Originalität und große Absicht sich im zweiten Teile noch mehr als im ersten würde<br />

gezeigt haben. Denn es war ihm nicht darum zu tun, diese oder jene Begebenheit<br />

darzustellen, eine Seite der Poesie aufzufassen, und sie durch Figuren und Geschichten zu<br />

erklären, sondern er wollte, wie auch schon im letzten Kapitel des ersten Teils bestimmt<br />

angedeutet ist, das eigentliche Wesen der Poesie aussprechen und ihre innerste Absicht<br />

erklären. Darum verwandelt sich Natur, Historie, der Krieg und das bürgerliche Leben mit<br />

seinen gewöhnlichsten Vorfällen in Poesie, weil diese der Geist ist, der alle Dinge belebt.<br />

Ich will den Versuch machen, soviel es mir aus Gesprächen mit meinem Freunde<br />

erinnerlich ist, und soviel ich aus seinen hinterlassenen Papieren ersehen kann, dem Leser<br />

einen Begriff <strong>von</strong> dem Plan und dem Inhalte des zweiten Teiles dieses Werkes zu<br />

verschaffen.<br />

Dem Dichter, welcher das Wesen seiner Kunst im Mittelpunkt ergriffen hat, erscheint<br />

nichts widersprechend und fremd, ihm sind die Rätsel gelöst, durch die Magie der Phantasie<br />

kann er alle Zeitalter und Welten verknüpfen, die Wunder verschwinden und alles<br />

verwandelt sich in Wunder: so ist dieses Buch gedichtet, und besonders findet der Leser in<br />

dem Märchen, welches den ersten Teil beschließt, die kühnsten Verknüpfungen; hier sind<br />

alle Unterschiede aufgehoben, durch welche Zeitalter <strong>von</strong>einander getrennt erscheinen, und<br />

eine Welt der andern als feindselig begegnet. Durch dieses Märchen wollte sich der Dichter<br />

hauptsächlich den Übergang zum zweiten Teile machen, in welchem die Geschichte<br />

unaufhörlich aus dem Gewöhnlichsten in das Wundervollste überschweift, und sich beides<br />

gegenseitig erklärt und ergänzt; der Geist, welcher den Prolog in Versen hält, sollte nach<br />

jedem Kapitel wiederkehren, und diese Stimmung, diese wunderbare Ansicht der Dinge<br />

fortsetzen. Durch dieses Mittel blieb die unsichtbare Welt mit dieser sichtbaren in ewiger<br />

Verknüpfung. Dieser sprechende Geist ist die Poesie selber, aber zugleich der siderische<br />

Mensch, der mit der Umarmung <strong>Heinrich</strong>s und Mathildens geboren ist. In folgendem<br />

Gedichte, welches seine Stelle im »<strong>Ofterdingen</strong>« finden sollte, hat der Verfasser auf die<br />

leichteste Weise den innern Geist seiner Bücher ausgedrückt:<br />

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren<br />

Sind Schlüssel aller Kreaturen,<br />

Wenn die, so singen oder küssen,<br />

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,<br />

Wenn sich die Welt in's freie Leben,<br />

Und in die Welt wird zurück begeben,<br />

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten<br />

Zu echter Klarheit werden gatten,

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