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Universitätsblätter 2009 - Gießener Hochschulgesellschaft

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Warum diese beiden Werke?<br />

Kurt Weill wurde am 2. März 1900 als Sohn des<br />

jüdischen Kantors Albert Weill in Dessau geboren.<br />

Sein Kompositionsstudium absolvierte er<br />

bei Engelbert Humperdinck und Feruccio<br />

Busoni. Die Zeit bei Busoni war für Weills Opernästhetik<br />

wegweisend. Wie sein Lehrer lehnte<br />

auch er die „Arie“ als wesentlichen Opernbestandteil<br />

ab. Im Gegensatz zu seinem Lehrer<br />

war er allerdings auf der Suche nach einem<br />

adäquaten Ersatz. So erfand Weill stattdessen<br />

den „Song“. In seiner Zusammenarbeit mit<br />

Georg Kaiser, Yvan Goll und natürlich Bertolt<br />

Brecht entstanden zahlreiche solcher Songs.<br />

Neben Paul Hindemith galt Kurt Weill in der<br />

letzten Dekade der Weimarer Republik als der<br />

führende Komponist; bis heute gelten Werke<br />

wie die „Dreigroschenoper“, „Aufstieg und<br />

Fall der Stadt Mahagonny“ oder auch „Die sieben<br />

Todsünden“ als Klassiker. Seine 2. Sinfonie<br />

schrieb Weill 1933 in dem festen Bewusstsein,<br />

emigrieren zu müssen. Die Komposition begann<br />

er noch in Berlin, sie wurde aber erst in<br />

Paris vollendet, kurz bevor Weill endgültig nach<br />

Amerika auswanderte. Das Werk wurde am<br />

11. Oktober 1934 in Amsterdam vom Concertgebouw<br />

Orchester unter der Leitung von Bruno<br />

Walter uraufgeführt. Nach seiner Emigration<br />

schrieb Weill nahezu ausschließlich kommerzielle<br />

Musik für den Broadway, aus dem naheliegenden<br />

Grund, Geld verdienen zu müssen.<br />

Außerdem hatte er den Anspruch, ein so guter<br />

Amerikaner wie möglich werden zu wollen,<br />

was 1943 zum Erhalt der amerikanischen<br />

Staatsbürgerschaft führte. Man kann sagen,<br />

dass die 2. Sinfonie Kurt Weills Abgesang auf<br />

die mitteleuropäische Musikkultur ist.<br />

Zur gleichen Zeit versuchte ein schon damals<br />

38-jähriger Komponist namens Carl Orff (geb.<br />

1895), sich einen Namen im Münchner Musikleben<br />

zu machen. Er selbst hatte bei Anton<br />

Beer-Wallbrunn und Herrmann Zilcher studiert<br />

und lebte seit 1919 als freier Komponist in<br />

München. 1934 entdeckte er die 1847 im<br />

Druck erschienenen „Carmina Burana“ aus<br />

dem 12. Jahrhundert und beschloss, sie zu vertonen.<br />

Die Komposition, die daraus entstand,<br />

hatte in ihrer Klangästhetik mit den vorherigen<br />

Werken Orffs nichts gemein. Der große Erfolg,<br />

gerade auch bei den Kulturfunktionären der<br />

neuen Zeit, brachte Orff zu der Entscheidung,<br />

die Verbreitung und Aufführung aller seiner<br />

Werke, die vor 1936, also vor den „Carmina<br />

Burana“ entstanden waren, zu verbieten. Die<br />

„Carmina Burana“ galten forthin als Orffs erstes<br />

Werk.<br />

Carl Orffs Verhalten in der Zeit des Dritten<br />

Reichs ist in den letzten Jahren verstärkt in die<br />

Diskussion gekommen, besonders durch die<br />

Veröffentlichungen des kanadischen Historikers<br />

Michael H. Kater. Es ergibt sich das Bild<br />

eines unpolitischen, auch nicht an Politik interessierten<br />

Komponisten, der es allerdings vortrefflich<br />

verstand, sich mit den Machthabern<br />

zu arrangieren, um ungehindert seinen künstlerischen<br />

Weg gehen zu können, und der es<br />

genoss, als bedeutender Komponist seiner<br />

Zeit hofiert zu werden. Zur Absicherung seiner<br />

Position nahm er sogar zwei Kompositionsaufträge<br />

der Machthaber an: Sein „Olympischer<br />

Reigen“ wurde zur Eröffnung der<br />

Olympischen Spiele 1936 in Berlin aufgeführt,<br />

sein „Sommernachtstraum“, der zwar schon<br />

1917 komponiert worden war, nun 1939 aber<br />

gründlich revidiert wurde, sollte als Ersatz für<br />

Mendelssohn-Bartholdys Komposition herhalten,<br />

da dieser als Jude geächtet war. Nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg versuchte Carl Orff<br />

sich gegenüber der Entnazifizierungskommission<br />

als Mitglied der „Weißen Rose“ darzustellen,<br />

da er persönlicher Freund von Kurt<br />

Huber, einem der Gründer der „Weißen Rose“,<br />

war. Dies entsprach nicht der Wahrheit.<br />

Der Tatsache, dass mit Newell Jenkins einer<br />

seiner ehemaligen Schüler sein Vernehmungsoffizier<br />

war, hatte es Orff zu verdanken, nur<br />

als Mitläufer eingestuft zu werden und damit<br />

seinen Beruf wieder ausüben zu dürfen. Im<br />

Münchner Musikleben spielte er sofort nach<br />

dem Krieg die gleiche wesentliche Rolle wie<br />

zuvor. Insofern kann man die „Carmina<br />

Burana“ als Geburtsstück einer Komponistenkarriere<br />

ansehen, der wechselnde politische<br />

Systeme nichts anhaben konnten.<br />

Die Gegenübersetzung dieser beiden Schlüsselwerke<br />

für Weill und Orff machte zusammen<br />

mit der sie verbindenden Licht- und Videoinsze-<br />

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