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Universitätsblätter 2009 - Gießener Hochschulgesellschaft

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JLU, bis 1994 mit dem Hessischen Gleichberechtigungsgesetz<br />

(HGlG) eine allgemeinverbindliche<br />

Grundlage für die Frauenförderung<br />

im öffentlichen Dienst vorlag. Darin wurden die<br />

hessischen Hochschulen verpflichtet, verbindliche<br />

Zielvorgaben für die Einstellung von<br />

Frauen festzulegen, so z. B. für Professorinnen<br />

mindestens die Hälfte aller voraussichtlich frei<br />

werdenden Professuren. Eine Kernaufgabe der<br />

Frauenbeauftragten der Universität war und ist<br />

deshalb die Teilnahme an Berufungs- und Einstellungsverfahren,<br />

um die Einhaltung dieser<br />

Zielvorgaben zu überwachen. Sie wurden dabei<br />

von den Frauenbeauftragten in den Fachbereichen<br />

(heute ca. 50) unterstützt. Ab dem<br />

Sommersemester 1995 galt zudem der „materielle“<br />

Frauenförderplan der Universität, der<br />

Themen wie Beurlaubung, Umgestaltung des<br />

Arbeitsplatzes, Frauenforschung, Kinderbetreuung<br />

oder Schutz vor sexueller Belästigung regelte.<br />

In den Folgejahren kamen neue Bereiche<br />

hinzu, so z. B. die Einwerbung und Durchführung<br />

eigener Projekte wie die Mentoring-<br />

Programme für Naturwissenschaftlerinnen,<br />

Qualifizierungsmaßnahmen für die Frauen an<br />

der Universität sowie Maßnahmen zur Vereinbarkeit<br />

von Studium/Beruf und Familie.<br />

Diese Maßnahmen der Frauenförderpolitik zeitigten<br />

deutliche Erfolge. So hat sich an der JLU<br />

z. B. der Anteil der Frauen unter den wissenschaftlichen<br />

MitarbeiterInnen bis heute verdoppelt,<br />

der der Professorinnen sogar verdreifacht.<br />

Als die erfolgreichsten Instrumente zur<br />

Steigerung des Frauenanteils im wissenschaftlichen<br />

Bereich erwiesen sich, wie die Frauenbeauftragte<br />

der JLU, Marion Oberschelp, betont,<br />

die im HGlG festgelegte Verpflichtung zur Festsetzung<br />

von Zielvorgaben sowie das Widerspruchsrecht<br />

der Frauenbeauftragten in den<br />

Berufungs- und Einstellungsverfahren.<br />

Trotzdem ist die Justus-Liebig-Universität – wie<br />

andere deutsche Universitäten auch, Gießen<br />

liegt im bundesdeutschen Vergleich im Mittelfeld<br />

– von einer paritätischen Teilnahme von<br />

Frauen und Männern im Wissenschaftsbetrieb<br />

noch weit entfernt. Das beharrliche Ausbleiben<br />

durchschlagender Erfolge in der Gleichstellungspolitik<br />

der Universitäten ist seit über zehn<br />

Jahren Gegenstand intensiver wissenschaftlicher<br />

Untersuchungen, die ausschlaggebend<br />

zum besseren Verständnis der Problematik beitragen<br />

konnten. Hauptursachen für die Marginalisierung<br />

von Frauen sind demnach vor allem<br />

nach wie vor geltende Rollenzuweisungen, geringe<br />

Förderung und Unterstützung, die mangelnde<br />

Formalisierung und Transparenz der<br />

Rekrutierungsmechanismen im Wissenschaftssystem<br />

und die geringere Anerkennung der<br />

wissenschaftlichen Leistungen von Frauen. Tatsächlich<br />

wird wissenschaftliche Leistung nicht<br />

unabhängig von der Person beurteilt, vielmehr<br />

steht die soziale Beurteilung der Person im Mittelpunkt<br />

des Auswahlprozesses, die Anerkennung<br />

des Werks hängt von der Person ab und<br />

nicht umgekehrt. Beruflicher Erfolg in der<br />

Wissenschaft beruht zudem auf Netzwerken,<br />

auf Rekrutierungs- und Förderbeziehungen,<br />

die von Männern dominiert werden und die<br />

nach dem Prinzip der Gleichheit agieren.<br />

Eine weitere Ursache für die stockenden Fortschritte<br />

universitärer Gleichstellungspolitik ist<br />

die fehlende kulturelle Implementierung gleichstellungspolitischer<br />

Grundsätze an den Universitäten.<br />

Das heißt, es fehlen die Personen, die<br />

die Umsetzung der Regeln einfordern, kontrollieren<br />

und bei Nichtbeachtung die Verantwortlichen<br />

sanktionieren. Die tatsächliche Durchsetzung<br />

von Gleichstellung an den Universitäten<br />

liegt vor allem an der Entschlossenheit der Personen<br />

in den Leitungspositionen und akademischen<br />

Gremien der Selbstverwaltung der<br />

Universitäten. Dort sind Frauen jedoch in der<br />

Minderheit, und die Erfahrung zeigt, dass die<br />

männliche Mehrheit sich mit der Entwicklung<br />

erfolgreicherer Strategien zur Durchsetzung<br />

von Gleichstellung an ihren jeweiligen Hochschulen<br />

schwer tut.<br />

So ist inzwischen klar: Eine erfolgreiche Gleichstellungspolitik<br />

muss nicht nur bei den Frauen,<br />

sondern vielmehr bei den Universitäten selbst<br />

ansetzen, die sich beim Thema Geschlechtergerechtigkeit<br />

als unerwartet reformresistent<br />

erwiesen haben. Im Zeitalter der neoliberalen<br />

Wettbewerbsorientierung zwischen den Hochschulen<br />

wird Chancengleichheit zum Qualitätsmerkmal<br />

moderner Universitäten und damit zu<br />

ihrer ureigensten Aufgabe. Es geht also nicht<br />

mehr nur um die Einlösung des im Grundgesetz<br />

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