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Universitätsblätter 2009 - Gießener Hochschulgesellschaft

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Der Blick zurück auf die Geschichte der Frauen<br />

an der Universität zeigt, dass Frauen heute mit<br />

ihren Erfolgen und Errungenschaften auf dünnem<br />

Eis stehen. Ihre teilweise erreichte Gleichstellung<br />

an der Universität ist keineswegs eine<br />

Selbstverständlichkeit, sondern mühsam erarbeiteter<br />

Erfolg auf dem hart umkämpften Terrain<br />

der Stellen und Positionen im Universitätsund<br />

Wissenschaftsbetrieb. Und wie ich im Folgenden<br />

zeigen werde, hatte sich die Lage von<br />

Frauen an der Universität im Verlauf der kurzen<br />

hundert Jahre, die sie überhaupt dabei sein<br />

durften, schon mehrmals verbessert, d. h. ihr<br />

zahlenmäßiger Anteil stieg; gesamtgesellschaftliche<br />

Entwicklungen machten die Erfolge aber<br />

nach wenigen Jahren wieder zunichte, wie<br />

z. B. nach dem Ersten Weltkrieg oder mit der<br />

MachtübernahmederNationalsozialisten.Achtsamkeit<br />

und die Fortsetzung einer Gleichstellungspolitik<br />

ist also durchaus vonnöten, wie<br />

letztere gestaltet wird, damit sie zum Erfolg<br />

führt, müssen die Verantwortlichen gegebenenfalls<br />

immer wieder neu bestimmen.<br />

Dass wir heute auf eine Reihe von neuesten Forschungsarbeiten<br />

zur Geschichte der Frauen an<br />

der Universität Gießen zurückgreifen können, ist<br />

der Initiative der Frauenbeauftragten der Justus-<br />

Liebig-Universität, Marion Oberschelp, zu verdanken,<br />

die das Jubiläum „100 Jahre Frauenstudium<br />

an der Universität Gießen 1908–2008“<br />

zum Anlass nahm, Forschung zur Historie der<br />

Frauen zu initiieren. Seit Dezember 2008 liegt<br />

nun das Buch Vom heimischen Herd in die akademische<br />

Welt. 100 Jahre Frauenstudium an der<br />

Universität Gießen 1908–2008, hrsg. im Auftrag<br />

des Präsidenten der Justus-Liebig-Universität von<br />

Marion Oberschelp, Eva-Marie Felschow, Irene<br />

Häderle, Carsten Lind 3 vor, in dem die Ergebnisse<br />

dieser Forschungen zusammen mit Gegenwartsanalysen<br />

und Interviews mit ehemaligen Professorinnen<br />

und Studentinnen zusammengefasst<br />

sind. Ich werde im Folgenden Ergebnisse daraus<br />

vorstellen, die sich auf einige der (historischen)<br />

Akteure und Zielgruppen heutiger Gleichstellungspolitik<br />

beziehen – die Studentinnen, die<br />

Hochschullehrerinnen und die Universität –, um<br />

so historische Entwicklungslinien aufzuzeigen<br />

und unser Verständnis der Gegenwart auf ein<br />

breiteres Fundament zu stellen.<br />

Studentinnen an der Universität Gießen<br />

1908 bis heute<br />

Die ersten 50 Jahre:<br />

Eine kleine Minderheit<br />

Der Zugang von Frauen zum Studium an der<br />

Universität war in Deutschland hart umkämpft,<br />

Politiker und Universitäten wehrten sich lange<br />

gegen diese Neuerung, die einerseits geltende<br />

weibliche Rollenvorstellungen verletzte, vor<br />

allem aber für Männer eine zukünftige verschärfte<br />

Konkurrenzsituation auf dem akademischen<br />

Arbeitsmarkt bedeutete. 4 Der Druck<br />

der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland<br />

und der bildungspolitischen Entwicklungen<br />

im Ausland zeigte jedoch Wirkung, so<br />

dass ab 1900 ein deutscher Staat nach dem<br />

anderen entsprechende Gesetze erließ. Im<br />

Großherzogtum Hessen erfolgte die Regelung<br />

am 29. Mai 1908 qua Ministerialbeschluss, ab<br />

Wintersemester 1908/09 studierten auch an<br />

der Universität Gießen die ersten ordentlichen<br />

Studentinnen. Sie blieben allerdings über eine<br />

sehr lange Zeit, nämlich ein halbes Jahrhundert,<br />

eine kleine Minderheit, die über einen<br />

Anteil von fünf bis acht Prozent nicht hinaus<br />

kam. Ursache für diesen unterdurchschnittlichen<br />

Frauenanteil – im Deutschen Reich und<br />

auch später in der Bundesrepublik lag der<br />

Durchschnitt bis zu zehn Prozent höher –<br />

waren die traditionellen Fächerschwerpunkte<br />

Landwirtschaft und Tiermedizin an der „Ludoviciana“,<br />

aber auch der Kleinstadtcharakter<br />

Gießens, wo Studentinnen mit größeren Vorurteilen<br />

und stärkerer Ablehnung zu rechnen hatten<br />

als in den Großstädten. Aber nicht nur in<br />

Kleinstädten hatten Frauen im Studium und<br />

auf ihrem Weg in die Berufswelt mit besonders<br />

schwierigen Bedingungen zu kämpfen. In Hessen<br />

durften sie zwar ab 1908 studieren, zu den<br />

Abschlussprüfungen für das höhere Lehramt<br />

wurden sie aber erst 1915 zugelassen. Noch<br />

schlimmer traf es Frauen, die Rechtswissenschaften<br />

studieren wollten, sie wurden erst<br />

1922 für das juristische Staatsexamen zugelassen.<br />

Auch konnten Frauen bis in die 1920er<br />

Jahre nicht habilitieren, es sei denn, sie erhielten<br />

eine Sondergenehmigung wie Marga-<br />

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