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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2013-10-28 (Vorschau)

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Perspektiven&Debatte<br />

»<br />

Schokoladenbier ab. Zur Kultur des Brauens<br />

im kleinen handwerklichen Stil gesellt<br />

sich der Bruch mit der Sprache der traditionellen<br />

Brauereien. Der schottische Betrieb<br />

Brewdog, der vielen hiesigen Brauern mit<br />

seinem Image als Punk-Brauerei als Vorbild<br />

dient, nennt seine Biere unter anderem<br />

Dead Pony Club, 5am Saint, Punk IPA oder<br />

Dogma. Die Berliner Brauerei von Thorsten<br />

Schoppe bezeichnet eine Sorte sprachwitzelnd<br />

als Roggen Roll, ein anderes Bier soll<br />

den Konsumenten gar warnen, dass es heftig<br />

werden könnte. Es heißt Holy Shit Ale.<br />

Die Etiketten vieler dieser Brauereien<br />

wetteifern in der Gestaltung mit der Kreativität<br />

von Plattencovern. In der Summe wirken<br />

sie wie das Resultat eines Workshops<br />

von Damien Hurst oder Tracey Emin: je<br />

wilder, desto effektvoller. Die Insignien<br />

deutscher Braukunst, die mit Goldrand<br />

oder Wappen die Geschmäcker der Traditionalisten<br />

bedienen, werden ausgetauscht<br />

gegen ein möglichst buntes Wirrwarr, das<br />

den Betrachter schon schwindelig zurücklässt,<br />

bevor er eines der mit bis zu zehn<br />

Prozent Alkohol enthaltenden Biere leert.<br />

DIE GROSSEN SCHNUPPERN<br />

Jan Niewodniczanski ist Geschäftsführer<br />

Technik der Bitburger Braugruppe und behält<br />

trotz der aufregenden Entwicklung am<br />

Biermarkt kühlen Kopf. Zur Bitburger Braugruppe<br />

gehören neben dem namensgebenden<br />

Bier auch die Pilsmarken König, Licher,<br />

Königsbacher, Nette und Wernesgrüner sowie<br />

das Schwarzbier Köstritzer. Seit 1991<br />

betreibt die Bitburger Brauerei eine Pilotbrauerei<br />

mit einer Sudgröße von maximal<br />

2000 Litern. Hier experimentieren die Braumeister.<br />

Dieses Jahr nun erblickte das<br />

jüngste Kind der Braugruppe das Licht der<br />

Welt. 2012 noch als Weihnachtsabfüllung<br />

Versuchsanlage<br />

In der Pilotbrauerei<br />

der<br />

Bitburger<br />

Braugruppe<br />

experimentieren<br />

die Braumeister<br />

mit<br />

neuen Sorten<br />

Bier auf Basis<br />

von Schoko,<br />

Banane oder<br />

Koriander<br />

bei zu sein“, sagt Niewodniczanski. Im großen<br />

Stil den Markt zu überrollen sei dabei<br />

nicht das Ziel. Die Anlage, auf der gebraut<br />

wird, ist zu klein, um flächendeckend das<br />

Bier zu vertreiben, erhältlich ist es bisher<br />

lediglich im Online-Shop. Wichtiger seien<br />

zunächst die Erkenntnisse, die die Gruppe<br />

über Herstellung und Zielgruppe gewinnt.<br />

Eines der drei Biere ist ein India Pale Ale<br />

– kurz IPA. Kaum eine handwerklich arbeitende<br />

Brauerei, die dieses aus den USA<br />

stammende, kräftige Bier nicht im Angebot<br />

hätte. Denn trotz des Innovationswillens<br />

vieler Craft-Brauereien setzen sich bestimmte<br />

Sorten durch. Ähnlich wie die<br />

wachsende Zahl an kleinen Kaffeeröstereien,<br />

die im Gleichtakt bestimmte Sorten wie<br />

Yirgacheffe oder Kopi Luwak führen, ist IPA<br />

das Kürzel, das Wiedererkennungswert<br />

für Mitarbeiter gebraut, sind nun unter<br />

dem knackigen Namen Craftwerk drei Sorten<br />

per Versand erhältlich: Holy Cowl, Tangerine<br />

Dream und Hop Head IPA7– mit Typografien,<br />

die aussehen wie angegriffener<br />

Beton auf schwarzem Grund.<br />

„In den vergangenen zwei Jahren haben<br />

wir einen Trend gesehen, den wir ernst<br />

nehmen. Die Entwicklung betrachten wir<br />

gespannt und haben uns deshalb<br />

entschieden, früh mit daund<br />

zugleich Individualität verspricht.<br />

Während die Kunden in der Gaststätte oder<br />

im Getränkemarkt vielleicht noch nach der<br />

Rebsorte des Weins fragen, erkundigt sich<br />

kaum jemand nach der Zusammensetzung<br />

der Biere. Craftwerk listet wie alle Craft-<br />

Brauer säuberlich die Malzsorten – vier –<br />

und Hopfenarten – zehn – auf, die mit Hefe<br />

und Wasser vergoren werden. Reinheitsgebot<br />

– das ist auch für Craftwerk weiterhin<br />

eine Leitlinie. „Wir wollen zeigen, dass<br />

auch damit Abwechslung möglich ist. Das<br />

ist technisch die größere Herausforderung.<br />

Ob man bei weiteren Spezialitäten später<br />

einmal davon abweicht, das werden wir sehen“,<br />

sagt Niewodniczanski. Der Brauriese<br />

sieht sich nicht als Konkurrent der kleineren<br />

Mitbewerber, die teils neidisch, teils<br />

neugierig die technischen Möglichkeiten<br />

der Pilotbrauerei beobachten. „Auf den<br />

Braufestivals wie in Berlin stößt man auf eine<br />

gewisse Offenheit für uns, auch weil einige<br />

denken, dass einer der Großen als Lokomotive<br />

dem Thema helfen kann.“<br />

SKANDALÖSE NAMEN<br />

Vielleicht ist es aber auch genau andersrum.<br />

Denn kaum ein Genussmittel hat so<br />

große Probleme, junge Kunden zu gewinnen.<br />

Alcopops oder auch die alkoholfreien<br />

Getränke wie die Limonade Club-Mate<br />

stehen bei der Jugend und vielen sich für<br />

ewig jung haltenden Mittvierzigern nicht<br />

zuletzt wegen ihres frischeren Auftretens<br />

höher im Kurs. Marken wie Astra mit seinem<br />

Rotlicht oder Rothäuser mit seinem<br />

Tannenzäpfle sind Ausnahmen der Regel.<br />

Niewodniczanski sieht den Charme der<br />

experimentierenden Craft-Brauer, die mit<br />

entstaubtem Marketing das Lebensgefühl<br />

der 20- bis 30-Jährigen genau treffen:<br />

„Craft-Biere helfen sicher, junge Konsumenten<br />

und Individualisten für das Thema<br />

Bier zurückzugewinnen.“<br />

Und sei es nur durch einen vermeintlich<br />

skandalösen Namen. Eine in Berlin ansässige<br />

Vertriebsgesellschaft verkauft ein Bier,<br />

das der österreichischen Gemeinde Fucking<br />

gewidmet ist. Es ist ein typisches Helles, gebraut<br />

in Ostdeutschland. Einen Erfolg feierte<br />

die Marke beim europäischen Markenamt,<br />

das der Kombination aus Ortsnamen und<br />

Brauart seinen Segen gab: Fucking Hell. n<br />

thorsten.firlus@wiwo.de<br />

Video Wie eine lokale Brauerei<br />

mit einem neuen Traditionsbier<br />

Erfolg hat – zum Ansehen<br />

QR-Code mit einer Smartphone-App<br />

scannen.<br />

FOTOS: PR<br />

114 Nr. 44 <strong>28</strong>.<strong>10</strong>.<strong>2013</strong> WirtschaftsWoche<br />

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