Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2013-10-28 (Vorschau)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Großmut ist nicht angebracht<br />
FORUM | Grüne und Linke verlangen eine Stärkung ihrer Oppositionsrechte, notfalls auch durch eine<br />
Änderung des Grundgesetzes. Doch wird die Verfassung auch zugunsten von FDP und AfD geändert?<br />
Und steht den Grünen und der Linken überhaupt ein Minoritätenbonus zu? Von Bettina Röhl<br />
Da alle Zeichen auf Bildung einer Koalition aus Union und SPD<br />
stehen, reklamieren Linkspartei und Grüne lautstark erweiterte<br />
Rechte für die von ihnen repräsentierte Kleinst-Opposition.<br />
Die vielen parlamentarischen Rechte, die der Linkspartei und<br />
den Grünen (zusammen 17 Prozent Stimmanteil und etwa 20 Prozent<br />
Anteil an Parlamentssitzen) verwehrt sind, wollen diese jetzt<br />
mit einer Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags<br />
und sogar mit einer Änderung des Grundgesetzes durchsetzen.<br />
Es geht um mehr Redezeit. Es geht um die Möglichkeit zur Einsetzung<br />
eines Untersuchungsausschusses oder einer Enquete-<br />
Kommission. Es geht um erweiterte Expertenanhörungen<br />
und insbesondere<br />
auch um die Möglichkeit, ein Normkontrollverfahren<br />
vor dem Bundesverfassungsgericht<br />
anstrengen zu können. Hierfür<br />
hat die Verfassung mit Bedacht eine<br />
25-Prozent-Hürde vorgesehen. Die zukünftige<br />
kleine Opposition hat aber nur 20<br />
Prozent. Union, SPD und auch Bundestagspräsident<br />
Norbert Lammert haben<br />
bereits Großzügigkeit signalisiert. Einzig<br />
die Union sperrt sich dagegen, jetzt gleich<br />
das Grundgesetz zu ändern.<br />
Und in der Tat: Bevor man auf die Verhältnisse<br />
in einer bestimmten Legislaturperiode<br />
hin, Gesetze oder gar eine Verfassung<br />
ändert, weil angeblich ohne diese Änderung<br />
die Demokratie in Gefahr wäre, müsste<br />
es doch schon etwas dicker kommen. Die Wähler haben entschieden,<br />
wie stark sie die Opposition haben wollen. Quoren zu senken,<br />
um deren Macht nachträglich zu erhöhen, hat – bei allem Verständnis<br />
dafür, dass Demokratie auch von der Opposition lebt – in Wahrheit<br />
etwas Gespenstisches.<br />
WIE BEI DER EUROPAWAHL<br />
Sollten jetzt tatsächlich verfassungsrangige Hürden nachträglich<br />
herabgesetzt werden, dann könnten FDP und AfD mit Fug und<br />
Recht nachträglich die Herabsetzung der Fünf-Prozent Hürde verlangen;<br />
etwa auf drei Prozent, wie bei der Europawahl. Dies wäre<br />
demokratisch weitaus sauberer als dunkelrot-grüne Privilegien zu<br />
verteilen. Immerhin sind auch FDP und AfD zwei veritable Oppositionsparteien.<br />
Säßen die beiden Parteien, die immerhin knapp<br />
zehn Prozent der Wähler repräsentieren, mit im Bundestag, wären<br />
auch alle Quoren für die Opposition erfüllt, die Linkspartei und<br />
Grüne jetzt per Geschäftsordnung und per Gesetz für sich erzwingen<br />
wollen. Aber das wollen die Grünen und die Linkspartei bei ihrem<br />
hehren Geschrei für die Demokratie natürlich nicht.<br />
Die Geberlaune der großen Parteien gegenüber den Grünen<br />
und der Linken ist daher alles andere als angebracht. Seit ihrer<br />
Gründung vor mehr als 30 Jahren verfügen die Grünen über eine<br />
wahrhaft überproportionale Medienmacht. Sie sind seit Jahrzehnten<br />
die Themensetzungspartei schlechthin, sie beherrschen den<br />
öffentlichen Diskurs über weite Strecken. Grüne Politik und grüne<br />
Politiker sind in den Medien omnipräsent. Ihr Programm wird,<br />
häufig in seiner vollen Widersprüchlichkeit, mehr als das anderer<br />
Parteien rauf und runter kommuniziert. Zudem ist die mediale Bewertung<br />
grüner Politik auffallend und notorisch positiv. Unter diesem<br />
Gesichtspunkt benötigen die Grünen als kleine zukünftige<br />
Oppositionspartei keinen besonderen Minoritätenschutz.<br />
Auch die noch nicht als solche erkannte<br />
fünfte und kontinuierlich mächtiger<br />
werdende Gewalt im Staate, in Form einer<br />
unübersichtlichen Industrie wissenschaftlicher<br />
Forschungsinstitute mit ihren<br />
sogenannten Experten, ist grün und zu<br />
einem geringeren Teil rot beherrscht.<br />
Diese Institute, von Universitäten über<br />
öffentlich geförderte Vereine und Stiftungen<br />
bis hin zu privat finanzierten und<br />
meist öffentlich begünstigten Einrichtungen,<br />
beeinflussen entscheidend, was<br />
veröffentlicht wird, wie es veröffentlicht<br />
Bettina Röhl lebt als Publizistin in wird und über welche Themen Studien<br />
Hamburg. 2001 wurde sie mit Enthüllungen mit welcher Zielrichtung verfasst werden.<br />
zur Gewaltvergangenheit des damaligen So gestaltet auch dieser Industriezweig<br />
Außenministers Joschka Fischer bekannt. nicht unwesentlich grüne Politik.<br />
Auch die Linkspartei kommt medial<br />
umfangreicher und intensiver rüber, als es ihrem Stimmanteil bei<br />
Wahlen entspricht. Fakt ist, dass sich Grüne (8,4 Prozent) und Linke<br />
(8,6 Prozent) auch in Zukunft keine Sorgen über ihre Darstellung in<br />
den Medien machen müssen. Im Gegenteil. Eine Mischung aus<br />
Mitleid und falsch empfundener Fairness seitens der Medien dürfte<br />
dazu führen, dass die Präsenz der linken Opposition im öffentlichen<br />
Raum weiter zunehmen wird – und dies eben in steigendem<br />
Maße überproportional zu deren Bedeutung. Last, but not least<br />
sind die Grünen die einzige deutsche Partei, die über eine wirkliche<br />
außerparlamentarische Kampagnenfähigkeit verfügt und sich dieser<br />
Fähigkeit auch bewusst ist. Die Grünen waren immer auch parallel<br />
als Apo auf der Straße vertreten – eine wesentliche Basis ihrer<br />
Macht. Auch deshalb kommt ein besonderer Minoritätenschutz<br />
nicht in Betracht.<br />
n<br />
FORUM DER FREIHEIT<br />
Die WirtschaftsWoche lädt Ihre Leser ein, sich in einem neuen<br />
Online-Forum mit der Idee der Freiheit auseinanderzusetzen.<br />
Was bedeutet heute Freiheit? Wo ist sie durch den Staat gefährdet?<br />
Schreiben Sie uns unter www.wiwo.de/forumderfreiheit<br />
FOTO: PR/PAUL SCHIRNHOFER<br />
34 Nr. 44 <strong>28</strong>.<strong>10</strong>.<strong>2013</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.