26.02.2014 Aufrufe

Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2013-10-28 (Vorschau)

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ungehemmt neue Schulden<br />

machen? Wie soll das denn<br />

funktionieren?<br />

Ich plädiere für Schuldenschnitte,<br />

so wie wir sie bei manchen<br />

Schwellenländern und in<br />

Griechenland gesehen haben.<br />

Für eine Schuldenkrise ist ja<br />

nicht nur derjenige verantwortlich,<br />

der sich Geld leiht – sondern<br />

auch derjenige, der immer<br />

weiter Geld verleiht. Da sollte<br />

man am Ende die Lasten<br />

teilen und ein neues Kapitel<br />

aufschlagen.<br />

Mit Verlaub: Wer soll diesen<br />

Ländern anschließend noch<br />

Geld leihen?<br />

Investoren werden auch diese<br />

Länder finanzieren, wenn sie<br />

überzeugt sind, dass es sich bei<br />

dem Haircut um ein einmaliges<br />

Ereignis handelt. Daher muss<br />

bei einem Schuldenschnitt<br />

nicht nur ein bisschen, sondern<br />

ein substanzieller Teil der<br />

Schuld erlassen werden. Wenn<br />

eine gemeinsame Bankenaufsicht<br />

durch die Europäische<br />

Zentralbank und eine verstärkte<br />

Fiskalkooperation hinzukommen,<br />

werden Investoren die<br />

Anleihen dieser Staaten wieder<br />

kaufen.<br />

Im Fall Griechenland hat die<br />

Politik auch beteuert, der erste<br />

Schuldenschnitt sei ein einmaliges<br />

Ereignis. Und nun gilt<br />

unter Experten ein zweiter<br />

Schnitt als nahezu sicher...<br />

...weil der erste nicht groß<br />

genug ausgefallen ist. Und niemand<br />

hat damit gerechnet, dass<br />

der Einbruch des griechischen<br />

Bruttoinlandsprodukts so stark<br />

sein würde.<br />

Wie sollte die von Ihnen<br />

angemahnte Fiskalkooperation<br />

genau aussehen?<br />

Die EU-Kommission sollte<br />

über eine unabhängige Agentur<br />

die Finanzpolitik in allen<br />

Staaten der Euro-Zone kontrollieren.<br />

Sie sollte eigene Vorhersagen<br />

machen und bei den<br />

nationalen Regierungen hinterfragen,<br />

warum diese bestimmte<br />

Dinge tun.<br />

Aber wir erleben doch jetzt<br />

schon, dass sich die Nationalstaaten<br />

aus Brüssel keine Vorschriften<br />

machen lassen wollen<br />

– geschweige denn, dass sie<br />

Kompetenzen in der Haushaltsführung<br />

abgeben wollen.<br />

Ja, das höre auch ich aus der<br />

Kommission. Die Krisenstaaten,<br />

die derzeit europäische Hilfen<br />

bekommen, akzeptieren allerdings<br />

die Überwachung ihrer<br />

Haushalte.<br />

Sie haben 20<strong>10</strong> für Ihre<br />

Arbeitsmarktforschung den<br />

Ökonomie-Nobelpreis erhalten.<br />

Was raten Sie angesichts der<br />

Rekordarbeitslosigkeit in vielen<br />

EU-Staaten?<br />

Die wichtigste Regel lautet:<br />

Arbeitsmärkte müssen flexibel<br />

sein. Die Betriebe müssen neue<br />

Mitarbeiter ohne große Bürokratie<br />

einstellen können – und<br />

jemanden auch ohne großen<br />

Aufwand wieder entlassen<br />

können. Ebenso wichtig sind<br />

flexible Arbeitszeiten und keine<br />

übertrieben starren Jobbeschreibungen<br />

in den Arbeitsverträgen.<br />

Im zypriotischen<br />

Gastgewerbe etwa haben die<br />

Gewerkschaften lange auf<br />

extrem genaue und starre Jobbeschreibungen<br />

gepocht. Ein<br />

Barkeeper serviert Drinks an<br />

der Bar und darf maximal an<br />

den Tischen in der Bar bedienen.<br />

Wenn der Hotelbesitzer<br />

den Mitarbeiter aber im Restaurant<br />

einsetzen will, kann der<br />

sich darauf berufen, dass er<br />

kein Kellner ist. Ich höre, dass<br />

diese Regel gerade geändert<br />

worden ist...<br />

...was kein Einzelfall<br />

ist. Spanien etwa<br />

hatte sehr lange<br />

einen sehr unflexiblen<br />

Arbeitsmarkt.<br />

EURO-KRISE<br />

Er war sogar der unflexibelste in<br />

ganz Europa! 20<strong>10</strong> und 2011 gab<br />

es hier zwar einige Reformen.<br />

Aber bis die greifen, dauert es<br />

seine Zeit. Die Ergebnisse werden<br />

wohl erst so richtig sichtbar,<br />

wenn das Land aus der Rezession<br />

kommt.<br />

Ist es eigentlich ein positiver<br />

Nebeneffekt der Krise, dass<br />

viele Regierungen nun überfällige<br />

Reformen angehen?<br />

Man kann auch in guten Zeiten<br />

Reformen angehen. Aber es<br />

stimmt schon: Dann sind die<br />

Anreize geringer.<br />

Deutschland hat seinen<br />

Arbeitsmarkt im vergangenen<br />

Jahrzehnt reformiert, als es<br />

selbst in der Krise steckte. Wie<br />

beurteilen Sie die Situation<br />

bei uns?<br />

»Der Mangel an<br />

Vertrauen ist das<br />

gravierendste<br />

Problem in<br />

dieser Krise«<br />

Deutschland schlägt sich im<br />

europäischen Vergleich sehr<br />

gut. Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel profitiert dabei allerdings<br />

von den Entscheidungen<br />

ihres Vorgängers Gerhard<br />

Schröder.<br />

In Deutschland könnte es nach<br />

den Koalitionsverhandlungen<br />

schon bald einen gesetzlichen<br />

Mindestlohn geben. Finden Sie<br />

diesen Schritt richtig?<br />

Mindestlöhne sind dann eine<br />

gute Sache, wenn sie nicht zu<br />

hoch sind, also etwa 40 bis 45<br />

Prozent des Median-Lohns entsprechen.<br />

Sie haben den positiven<br />

Effekt, dass sie junge Leute<br />

dazu bringen, sich Arbeit zu<br />

suchen. Jenseits<br />

dieses Niveaus halten<br />

Mindestlöhne Arbeitgeber<br />

davon ab, Jobs<br />

anzubieten.<br />

Sie sprechen explizit<br />

von jungen Leuten...<br />

...weil die noch nicht genug<br />

über den Arbeitsmarkt wissen<br />

und sich selbst nicht gut einschätzen<br />

können. Ihnen müssen<br />

wir der Einstieg ins Arbeitsleben<br />

erleichtern. Eine andere<br />

gefährdete Gruppe, der der<br />

Staat helfen muss, sind Langzeitarbeitslose.<br />

Sie brauchen<br />

Unterstützung, zum Beispiel<br />

Lohnkostenzuschüsse. Wenn es<br />

gelingt, diese beiden Gruppen<br />

stärker in den Arbeitsmarkt zu<br />

integrieren, muss man sich um<br />

die anderen keine Sorge mehr<br />

machen.<br />

Frankreich und Belgien –<br />

aber auch andere Länder in der<br />

Euro-Zone – zahlen ihren<br />

Erwerbslosen unbefristet<br />

Arbeitslosengeld. Was halten<br />

Sie davon?<br />

Das ist keine gute Idee. Stattdessen<br />

sollte der Staat versuchen,<br />

Arbeitslose wieder in einen Job<br />

zu bekommen. Die Skandinavier<br />

machen vor, wie eine solche<br />

aktive Arbeitsmarktpolitik<br />

aussehen kann. Es hilft zudem<br />

sehr, wenn Gewerkschaften<br />

und Politik an einem Strang ziehen.<br />

Konflikte und Streiks sind<br />

immer schlecht für die Beschäftigung.<br />

Aber die Dinge sind in<br />

Bewegung. In meinem Heimatland<br />

Zypern etwa zeigen sich<br />

die Gewerkschaften gerade sehr<br />

kooperativ.<br />

Sie beraten den zypriotischen<br />

Präsidenten Nikos Anastasiadis<br />

und haben jüngst betont,<br />

dass der Süden Europas dem<br />

Norden nicht mehr vertraue.<br />

Umgekehrt dürfte ja wohl<br />

dasselbe gelten.<br />

Der Mangel an Vertrauen ist<br />

vermutlich das gravierendste<br />

Problem in dieser Euro-Krise.<br />

Es ist wie in einer Ehe, wo etwas<br />

falsch gelaufen ist: Da muss<br />

man erst einmal nett zueinander<br />

sein – und sich viel Zeit<br />

geben.<br />

Wie sehr sind Regierungen<br />

prinzipiell bereit, dem Rat von<br />

Ökonomen zuzuhören?<br />

Die Politik hört uns zu. Mit der<br />

Umsetzung ist es dann eine<br />

ganz andere Sache.<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />

WirtschaftsWoche <strong>28</strong>.<strong>10</strong>.<strong>2013</strong> Nr. 44 45<br />

© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!