Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2013-10-28 (Vorschau)
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Aus Verzweiflung<br />
VERKEHRSWEGE | Aus der Not wollen Unternehmen dem Staat<br />
Schleusen abkaufen – und eröffnen dem Bund neue Geldquellen.<br />
bare Standort für Agrargüter vor Polen“,<br />
sagt Geschäftsführer Martin Bock. Weitere<br />
Investitionen in den Standort stellt FGL infrage,<br />
sollte der Ausbau der Kammern von<br />
60 auf 130 Meter nicht realisiert werden.<br />
Heute benötigen dreiteilige Schubverbände<br />
drei Stunden für eine Schleusenfahrt –<br />
20 Minuten wären machbar.<br />
Der Brief an den „Herrn Minister“ erreichte<br />
Peter Ramsauer Anfang September.<br />
Weil der CSU-Politiker den<br />
Ausbau des Teltowkanals nahe Berlin<br />
stoppte, wollen Brandenburger Unternehmen<br />
die Sache selbst in die Hand nehmen<br />
und dem Bund zwei marode Schleusen in<br />
Kleinmachnow und Fürstenwalde abkaufen.<br />
Sie seien bereit, „die betreffenden<br />
Kammern beider genannter Schleusen für<br />
je einen symbolischen Euro zu erwerben<br />
und diese in kürzester Frist bedarfsgerecht<br />
auszubauen“, heißt es in dem Schreiben,<br />
das der WirtschaftsWoche vorliegt – zwei<br />
Euro-Stücke kleben schon mit drauf.<br />
Die Übernahme von Schleusen durch<br />
Privatinvestoren wäre ein Novum – und ein<br />
Modell, wie Infrastruktur finanziert werden<br />
kann. In den Koalitionsverhandlungen<br />
zwischen Union und SPD könnten öffentlich-private<br />
Partnerschaften (ÖPP) unerwartet<br />
zu einem Top-Thema aufsteigen.<br />
Auch die Bahnindustrie bietet sich inzwischen<br />
als Finanzierer an. Der Nachholbedarf<br />
bei Investitionen in Straßen, Schienen<br />
und Wasserwege ist enorm (siehe Grafik).<br />
Dabei ist die Kaufofferte des Vereins<br />
Weitblick, in dem sich die ansässigen Unternehmen<br />
und Kommunen südwestlich<br />
der Hauptstadt zusammengeschlossen haben,<br />
eigentlich ein Akt der Verzweiflung.<br />
Der Bund investierte seit der Wiedervereinigung<br />
zwar rund eine Milliarde Euro in<br />
Ruhiges Wasser Die Schleusenfahrt bei<br />
Kleinmachnow dauert bis zu drei Stunden<br />
den Ausbau der Brandenburger Häfen und<br />
Wasserwege. Doch die letzten Nadelöhre<br />
auf dem Teltowkanal blieben unangetastet.<br />
So hob der Bund 20<strong>10</strong> den fertigen Planfeststellungsbeschluss<br />
für den Neubau der<br />
Schleuse Kleinmachnow wieder auf, weil<br />
ihm das Geld fehlte. Ramsauer investiert<br />
nur noch in das Kernnetz.<br />
Für den Futtermittel-Getreide-Landhandel<br />
(FGL) in Fürstenwalde ist das bitter. Die<br />
Tochtergesellschaft des Landwirtschaftskonzerns<br />
Agravis in Münster investierte<br />
seit der Wende 70 Millionen Euro in Getreidelager.<br />
Fürstenwalde sei „der letzte schiff-<br />
Auf Verschleiß<br />
Wieviel der Bundpro Jahr zu wenig<br />
in dieInfrastruktur investiert<br />
(inMilliarden Euro)<br />
Straße<br />
Schiene<br />
Quelle:Daehre-Kommission<br />
Wasserwege<br />
0,5<br />
1,4<br />
2,6<br />
MEHR VERKEHR ALS GEDACHT<br />
Für FGL ist der Rückzug Berlins aus der<br />
Verantwortung auch deshalb ärgerlich,<br />
weil sich der Verkehr besser entwickelt hat.<br />
Der Bund kategorisierte den Kanal vor wenigen<br />
Jahren als „sonstige Wasserstraße“ –<br />
und damit als bedeutungslos. Dies habe<br />
„dem rückläufigen Verkehrsaufkommen“<br />
entsprochen, das in der Prognose für 2025<br />
„für den Teltowkanal (TeK) prognostiziert<br />
wurde“, heißt es in einem Schreiben des<br />
Bundesverkehrsministeriums von Februar<br />
dieses Jahres an den Verein. Es sei aber<br />
„richtig, dass die aktuellen Verkehrszahlen<br />
am TeK über 600 000 Tonnen liegen, was<br />
einer Einstufung in die Kategorie C entspricht“<br />
– und damit einer Einstufung, die<br />
Bestandsinvestitionen gesichert hätte.<br />
FGL und Unternehmen wie der Baukonzern<br />
Züblin wollen die Investition von bis<br />
zu 60 Millionen Euro nun selbst stemmen.<br />
Die Finanzierung sei gesichert. „Wir machen<br />
keine dicken Backen, ohne dass wir<br />
es nicht bezahlen können“, sagt Bock. Der<br />
Bund soll aber Geld beisteuern, das für die<br />
Grundinstandsetzung der mehr als <strong>10</strong>0<br />
Jahre alten Schleusen ohnehin vorgesehen<br />
war, aber durch Neubau obsolet würde:<br />
mindestens zehn Millionen Euro. Rechnen<br />
würde sich das Projekt, weil die Investoren<br />
später auch Schleusengebühren kassieren.<br />
So ein Modell funktioniert auch anderswo.<br />
Bund und Baukonzerne finanzierten<br />
rund ein Dutzend Autobahnabschnitte gemeinsam.<br />
In Köln investierte Ikea eine Million<br />
Euro in die Verlängerung einer Straßenbahnlinie,<br />
um besser erreichbar zu<br />
sein. Das Möbelhaus reaktiviert für drei<br />
Millionen Euro nun auch in Lübeck einen<br />
Bahnhalt. Die Bahnindustrie will ebenfalls<br />
etwa beim Neubau veralteter Stellwerke<br />
einsteigen. Man wolle ein Pilotprojekt realisieren,<br />
sagte Verbandsgeschäftsführer<br />
Ronald Pörner Mitte Oktober.<br />
Anfängliche Bedenken schüttelte der<br />
Bund inzwischen ab. „Ein Verkauf der<br />
Schleusen ist grundsätzlich denkbar“, heißt<br />
es auf Anfrage. Es gebe noch offene „Facetten<br />
und Fragestellungen“. Doch sei beabsichtigt,<br />
„zu einem Gespräch einzuladen“. n<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
36 Nr. 44 <strong>28</strong>.<strong>10</strong>.<strong>2013</strong> WirtschaftsWoche<br />
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