26.02.2014 Aufrufe

Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2013-10-28 (Vorschau)

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Politik&Weltwirtschaft<br />

Aus Verzweiflung<br />

VERKEHRSWEGE | Aus der Not wollen Unternehmen dem Staat<br />

Schleusen abkaufen – und eröffnen dem Bund neue Geldquellen.<br />

bare Standort für Agrargüter vor Polen“,<br />

sagt Geschäftsführer Martin Bock. Weitere<br />

Investitionen in den Standort stellt FGL infrage,<br />

sollte der Ausbau der Kammern von<br />

60 auf 130 Meter nicht realisiert werden.<br />

Heute benötigen dreiteilige Schubverbände<br />

drei Stunden für eine Schleusenfahrt –<br />

20 Minuten wären machbar.<br />

Der Brief an den „Herrn Minister“ erreichte<br />

Peter Ramsauer Anfang September.<br />

Weil der CSU-Politiker den<br />

Ausbau des Teltowkanals nahe Berlin<br />

stoppte, wollen Brandenburger Unternehmen<br />

die Sache selbst in die Hand nehmen<br />

und dem Bund zwei marode Schleusen in<br />

Kleinmachnow und Fürstenwalde abkaufen.<br />

Sie seien bereit, „die betreffenden<br />

Kammern beider genannter Schleusen für<br />

je einen symbolischen Euro zu erwerben<br />

und diese in kürzester Frist bedarfsgerecht<br />

auszubauen“, heißt es in dem Schreiben,<br />

das der WirtschaftsWoche vorliegt – zwei<br />

Euro-Stücke kleben schon mit drauf.<br />

Die Übernahme von Schleusen durch<br />

Privatinvestoren wäre ein Novum – und ein<br />

Modell, wie Infrastruktur finanziert werden<br />

kann. In den Koalitionsverhandlungen<br />

zwischen Union und SPD könnten öffentlich-private<br />

Partnerschaften (ÖPP) unerwartet<br />

zu einem Top-Thema aufsteigen.<br />

Auch die Bahnindustrie bietet sich inzwischen<br />

als Finanzierer an. Der Nachholbedarf<br />

bei Investitionen in Straßen, Schienen<br />

und Wasserwege ist enorm (siehe Grafik).<br />

Dabei ist die Kaufofferte des Vereins<br />

Weitblick, in dem sich die ansässigen Unternehmen<br />

und Kommunen südwestlich<br />

der Hauptstadt zusammengeschlossen haben,<br />

eigentlich ein Akt der Verzweiflung.<br />

Der Bund investierte seit der Wiedervereinigung<br />

zwar rund eine Milliarde Euro in<br />

Ruhiges Wasser Die Schleusenfahrt bei<br />

Kleinmachnow dauert bis zu drei Stunden<br />

den Ausbau der Brandenburger Häfen und<br />

Wasserwege. Doch die letzten Nadelöhre<br />

auf dem Teltowkanal blieben unangetastet.<br />

So hob der Bund 20<strong>10</strong> den fertigen Planfeststellungsbeschluss<br />

für den Neubau der<br />

Schleuse Kleinmachnow wieder auf, weil<br />

ihm das Geld fehlte. Ramsauer investiert<br />

nur noch in das Kernnetz.<br />

Für den Futtermittel-Getreide-Landhandel<br />

(FGL) in Fürstenwalde ist das bitter. Die<br />

Tochtergesellschaft des Landwirtschaftskonzerns<br />

Agravis in Münster investierte<br />

seit der Wende 70 Millionen Euro in Getreidelager.<br />

Fürstenwalde sei „der letzte schiff-<br />

Auf Verschleiß<br />

Wieviel der Bundpro Jahr zu wenig<br />

in dieInfrastruktur investiert<br />

(inMilliarden Euro)<br />

Straße<br />

Schiene<br />

Quelle:Daehre-Kommission<br />

Wasserwege<br />

0,5<br />

1,4<br />

2,6<br />

MEHR VERKEHR ALS GEDACHT<br />

Für FGL ist der Rückzug Berlins aus der<br />

Verantwortung auch deshalb ärgerlich,<br />

weil sich der Verkehr besser entwickelt hat.<br />

Der Bund kategorisierte den Kanal vor wenigen<br />

Jahren als „sonstige Wasserstraße“ –<br />

und damit als bedeutungslos. Dies habe<br />

„dem rückläufigen Verkehrsaufkommen“<br />

entsprochen, das in der Prognose für 2025<br />

„für den Teltowkanal (TeK) prognostiziert<br />

wurde“, heißt es in einem Schreiben des<br />

Bundesverkehrsministeriums von Februar<br />

dieses Jahres an den Verein. Es sei aber<br />

„richtig, dass die aktuellen Verkehrszahlen<br />

am TeK über 600 000 Tonnen liegen, was<br />

einer Einstufung in die Kategorie C entspricht“<br />

– und damit einer Einstufung, die<br />

Bestandsinvestitionen gesichert hätte.<br />

FGL und Unternehmen wie der Baukonzern<br />

Züblin wollen die Investition von bis<br />

zu 60 Millionen Euro nun selbst stemmen.<br />

Die Finanzierung sei gesichert. „Wir machen<br />

keine dicken Backen, ohne dass wir<br />

es nicht bezahlen können“, sagt Bock. Der<br />

Bund soll aber Geld beisteuern, das für die<br />

Grundinstandsetzung der mehr als <strong>10</strong>0<br />

Jahre alten Schleusen ohnehin vorgesehen<br />

war, aber durch Neubau obsolet würde:<br />

mindestens zehn Millionen Euro. Rechnen<br />

würde sich das Projekt, weil die Investoren<br />

später auch Schleusengebühren kassieren.<br />

So ein Modell funktioniert auch anderswo.<br />

Bund und Baukonzerne finanzierten<br />

rund ein Dutzend Autobahnabschnitte gemeinsam.<br />

In Köln investierte Ikea eine Million<br />

Euro in die Verlängerung einer Straßenbahnlinie,<br />

um besser erreichbar zu<br />

sein. Das Möbelhaus reaktiviert für drei<br />

Millionen Euro nun auch in Lübeck einen<br />

Bahnhalt. Die Bahnindustrie will ebenfalls<br />

etwa beim Neubau veralteter Stellwerke<br />

einsteigen. Man wolle ein Pilotprojekt realisieren,<br />

sagte Verbandsgeschäftsführer<br />

Ronald Pörner Mitte Oktober.<br />

Anfängliche Bedenken schüttelte der<br />

Bund inzwischen ab. „Ein Verkauf der<br />

Schleusen ist grundsätzlich denkbar“, heißt<br />

es auf Anfrage. Es gebe noch offene „Facetten<br />

und Fragestellungen“. Doch sei beabsichtigt,<br />

„zu einem Gespräch einzuladen“. n<br />

christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

36 Nr. 44 <strong>28</strong>.<strong>10</strong>.<strong>2013</strong> WirtschaftsWoche<br />

© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!