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Kirche mitten drin« Sozialer, struktureller und ... - Kirche findet Stadt

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12 10/2013 epd-Dokumentation<br />

2. Ursachen des Wandels<br />

Es gilt als gesichert, dass der Wandel Deutschlands<br />

von einem an Gleichheitsprinzipien orientierten<br />

zu einem zunehmend von Ungleichheit<br />

bestimmten Land von eine Reihe so genannter<br />

»Megatrends« ausgelöst wird. Die Bezeichnung<br />

»Megatrend« soll andeuten, dass derartige Entwicklungen<br />

politisch kaum zu beeinflussen sind,<br />

dass sie sich also einer gezielten Steuerung entziehen,<br />

auch wenn sie möglicherweise durch<br />

politische (Fehl-)Entscheidungen ausgelöst worden<br />

sind. Megatrends wirken eher als Rahmenbedingungen<br />

aktueller Politik, als Herausforderungen,<br />

auf die politisch reagiert werden muss, nicht<br />

als Phänomene, denen in überschaubarer Zeit<br />

entscheidend entgegen gearbeitet werden könnte.<br />

Nur stichwortartig, ohne jeden Anspruch auf<br />

Vollständigkeit, könnte man zumindest vier derartige<br />

Trends unterscheiden, die die Entwicklung<br />

zu sozial<strong>struktureller</strong> <strong>und</strong> territorialer Ungleichheit<br />

fördern <strong>und</strong> die zurzeit ablaufen, ohne entscheidend<br />

steuerbar zu sein.<br />

Globalisierung: Die internationale, tendenziell<br />

globale Möglichkeit der Verlagerung von Arbeitsplätzen<br />

<strong>und</strong> Kapital reduziert die nationalstaatliche<br />

Autonomie <strong>und</strong> schränkt vor allem die nach wie<br />

vor komplett nationalstaatliche Sozialpolitik ein.<br />

Demographie: Die aktuelle Bevölkerungsentwicklung<br />

aus Geburtenrückgang, Alterung <strong>und</strong> Migration<br />

führt zu Belastungen der Sozialsysteme, vor<br />

allem des Renten- <strong>und</strong> des Ges<strong>und</strong>heitssystems,<br />

die vermutlich zu wachsender Ungleichheit führen<br />

werden. Vor allem ist mit einer wachsenden<br />

oder wieder zurückkehrenden Altersarmut zu<br />

rechnen.<br />

Dienstleistungsgesellschaft: Der Übergang zur<br />

Dienstleistungsgesellschaft schwächt vermutlich<br />

alle so genannten »Großsysteme« des Arbeitslebens<br />

<strong>und</strong> der sozialen Sicherung <strong>und</strong> setzt an die<br />

Stelle von deren Vereinheitlichungs- <strong>und</strong> Gleichheitstendenzen<br />

solche der Differenzierung, der<br />

Betonung von Unterschieden, der Flexibilität <strong>und</strong><br />

des persönlichen oder individuellen Risikos. An<br />

die Stelle weitgehend gesicherter <strong>und</strong> stabiler<br />

Berufsbiographien treten wachsende Zahlen tendenziell<br />

prekärer biographischer Verläufe, die<br />

sich auch dann, wenn gute, qualifizierte Ausbildung<br />

immer noch den besten Schutz vor sozialem<br />

Abstieg oder Verarmung bieten, bis in die Mittelschichten<br />

oder zu den Akademikern reichen können.<br />

Insgesamt wachsen mit diesem Übergang<br />

zur Dienstleistungs- <strong>und</strong> Wissensökonomie Ängste<br />

<strong>und</strong> Bedrohungsgefühle, Konkurrenz <strong>und</strong> Arbeitsdruck,<br />

alles unter gegenwärtigen Bedingungen<br />

keine guten Voraussetzungen für übergreifende,<br />

nationale Solidarität oder für die Verfechtung<br />

von Gleichheitsnormen.<br />

Wertewandel: Der Wertewandel, der in Deutschland<br />

in den 1960er-Jahren eingesetzt <strong>und</strong> inzwischen<br />

alle – westdeutschen – Bevölkerungsgruppen<br />

erreicht hat, legt die häufig durchaus berechtigte<br />

Vorstellung nahe, dass der Einzelne für sein<br />

»Schicksal« selbst verantwortlich ist. In einer<br />

Gesellschaft, in der an die Stelle traditioneller<br />

Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerte solche der Selbstverwirklichung<br />

treten, wie es für moderne Gesellschaften<br />

kennzeichnend ist, schwinden die Möglichkeiten,<br />

für individuelle Benachteiligung umfassende<br />

Solidarität beanspruchen zu können, da<br />

die individuelle Lebenslage immer die Folge individuellen<br />

Fehlverhaltens z.B. in Form falscher<br />

Berufsentscheidungen sein kann. So wie Erfolg<br />

<strong>und</strong> Aufstieg werden auch Abstieg <strong>und</strong> Scheitern<br />

<strong>und</strong> deren Folgen von Benachteiligung den Individuen<br />

zugeschrieben <strong>und</strong> nicht als selbstverständliche<br />

Aufforderung zur ausgleichenden Solidarität<br />

verstanden. Ungleichheit wird auf diese<br />

Weise in gewissem, mit Sicherheit wachsendem<br />

Maße gerechtfertigt. Sie wird als angemessen<br />

anerkannt. Zumindest wächst die Toleranz gegenüber<br />

Ungleichheit, wie es bis in die 1970er-<br />

Jahre kaum der Fall war. Gruppen, die am Wertewandel<br />

eher nicht teilgenommen haben, wie<br />

z.B. bestimmte Milieus der neuen B<strong>und</strong>esländer<br />

gelten aus dieser Sicht als rückständig <strong>und</strong> immobil,<br />

die durch diese Verhaltensformen gleichfalls<br />

ihre Benachteiligung selbst verschulden.<br />

Wertewandel beendet nicht humanitäre Einstellungen<br />

von Solidarität <strong>und</strong> Anteilnahme, stellt<br />

aber deren praktische Umsetzung zunehmend in<br />

die Entscheidung des Einzelnen.<br />

Diese Trends, die in der gegenwärtigen Form vermutlich<br />

noch mehrere Jahrzehnte wirksam sein<br />

werden, erschweren zumindest eine Politik der<br />

Gleichheit, wie sie das »sozialdemokratische Jahrh<strong>und</strong>ert«<br />

auszeichnete. Im Rückblick wird sogar<br />

erkennbar, dass die in dieser Zeit erreichte Gleichheit<br />

auf der Basis allgemeinen hohen Wohlstandes<br />

möglicherweise eine extreme historische Ausnahmesituation<br />

dargestellt haben könnte. Das würde<br />

bedeuten, das Deutschland mit seiner Entwicklung<br />

zu mehr Ungleichheit sich eher wieder einer historischen<br />

Normalität annähert, als dass sich hier eine<br />

extrem ungewöhnliche Ausnahmesituation herausbilden<br />

würde. Zumindest sind in allen anderen

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