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Kirche mitten drin« Sozialer, struktureller und ... - Kirche findet Stadt

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epd-Dokumentation 10/2013 31<br />

Die Verhältnisse in den neuen Ländern sind auch<br />

deswegen »amerikanischer« als in den alten Ländern,<br />

weil hier große Teile der Bevölkerung nach<br />

der Wende ins kalte Wasser einer »Freiheit« geworfen<br />

wurden, die es in der alten B<strong>und</strong>esrepublik<br />

außer in der Nachkriegszeit nie gegeben hat.<br />

Niemals wurden größere Gebiete der B<strong>und</strong>esrepublik,<br />

auch nicht das Ruhrgebiet, in so kurzer<br />

Zeit einem derartig harten Schock der De-<br />

Industrialisierung ausgesetzt wie die neuen Länder.<br />

Wie sollten Menschen im Alter von ab 50<br />

Jahren, die in der DDR nur relativ geringe Möglichkeiten<br />

hatten, Vermögen aufzubauen <strong>und</strong><br />

deren Qualifikation <strong>und</strong> Arbeit plötzlich nicht<br />

mehr gefragt waren, nach einer Phase des Aufbäumens<br />

anders als resignativ mit solchen Umständen<br />

umgehen? Es ist völlig verständlich, dass<br />

jene, die nicht politisch resignierten, sich der PDS<br />

zuwandten.<br />

Der Sozialstaat der alten B<strong>und</strong>esrepublik hatte<br />

bereits viel Geld in die Hand nehmen müssen, um<br />

die die vielen Menschen im reiferen Alter, die<br />

durch die Unternehmen einfach aussortiert wurden,<br />

sozial abzusichern. Diesen Aufwand war<br />

man nicht mehr bereit zu treiben, nachdem mit<br />

dem Fall des Realsozialismus die Notwendigkeit<br />

weggefallen war, sich als soziale Alternative zu<br />

profilieren. Allerdings hielt man noch eine<br />

Schamfrist ein. Die ganze amerikanische Brutalität<br />

von Hartz IV wurde vor allem in den neuen<br />

Ländern spürbar, wo die fehlende Rechtsstaatlichkeit<br />

der DDR-Verwaltung ihre traurige Fortsetzung<br />

in der reformierten Arbeitsverwaltung<br />

fand. Leute wie Lothar Späth, der genau wusste,<br />

welche Gruppe es treffen würde, hatten wenigstens<br />

noch ein schlechtes Gewissen, als er jene<br />

schärfere Sozialgesetzgebung forderte, die dann<br />

die Regierung Schröder/Fischer mit den vorhersehbaren<br />

Verschlechterungen seitens der<br />

schwarz-gelben Blockade-Mehrheit des B<strong>und</strong>esrates<br />

beschloss.<br />

Hartz IV betraf vor allem den Osten <strong>und</strong> war<br />

geradezu ein Reanimierungsprogramm für die<br />

damals dahinsiechende PDS. Eine Bevölkerung,<br />

die in den neuen Verhältnissen zunehmend Mut<br />

fasste <strong>und</strong> zufriedener wurde, trieb man mit dem<br />

zweiten sozialen Schock nach der De-<br />

Industrialisierung mit der Wende geradezu in die<br />

Arme der Linkspartei. Nunmehr traf es jene, die<br />

zur Wende noch etwas jünger waren <strong>und</strong> es nicht<br />

mehr in die Rente oder Frührente geschafft hatten.<br />

Wenn junge Menschen in den neuen Ländern<br />

es ebenso vermeiden wie ältere, sich zu organisieren<br />

oder einzubringen, dann sind dennoch die<br />

Motive anders. Bei Älteren stehen dahinter oft die<br />

Erfahrung des Verlassenseins seitens des Staates<br />

<strong>und</strong> ihre Erfahrung, den Unternehmen nichts<br />

wert zu sein. Die Jüngeren hatten bessere berufliche<br />

Chancen <strong>und</strong> haben sich trotz geringer öffentlicher<br />

Unterstützung durchgebissen. Beides bringt<br />

jedoch eine Verhärtung des Gemüts mit sich, die<br />

wir in den alten Ländern weniger sehen.<br />

Die weichen Faktoren des Lebens, die dem Zivilgesellschaftlichen<br />

so nahe stehen, ja geradezu<br />

seine Basis sind, leiden unter solchen Umständen.<br />

Wenn wir junge Menschen im Osten dennoch<br />

recht aktiv im Rahmen der Zivilgesellschaft aktiv<br />

sehen, dann mit jenen neuen, auch in den alten<br />

Ländern zunehmenden Motiven der ökonomischen<br />

Ära, Qualifikation <strong>und</strong> Karriere. Die Beschränkung<br />

des Aufschwungs des freiwilligen<br />

Engagements in den neuen Ländern auf die jungen<br />

Menschen mit Abitur deutet in diese Richtung.<br />

Auch hier erkennen wir wieder das Amerikanische<br />

im Osten. In den neuen Ländern wurde<br />

(freilich ohne Plan) ein »Sozialexperiment«<br />

durchgeführt. Man warf eine ganze Bevölkerung<br />

aus einer (trotz aller Mängel) funktionierenden<br />

sozialen Integration abrupt in die Situation der<br />

sozialen Desintegration. Während in den alten<br />

Ländern die Ökonomisierung über Jahrzehnte<br />

eher schleichend daher kam, zeigte sie im Osten<br />

ihre ganze Brutalität.<br />

Da die Bevölkerung zu Humanität <strong>und</strong> sozialer<br />

Ordnung erzogen war, trat das bekannte Schema,<br />

auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren, nur bei einigen<br />

(vor allem männlichen) Jugendlichen auf. Es<br />

war die Generation der bereits in der Spätzeit der<br />

DDR schlecht Integrierten <strong>und</strong> mit den ökonomischen<br />

<strong>und</strong> sozialen Belastungen der Wende Verwahrlosten.<br />

Die Masse der jüngeren Menschen<br />

wählte andere Optionen, darunter die Auswanderung<br />

oder das robuste Selbsthelfertum. Alle diese<br />

Optionen sind jedoch mit einer gewissen sozialen<br />

Entwurzelung verb<strong>und</strong>en.<br />

Jenseits der öffentlichen Integration?<br />

Zivilgesellschaftliche Einbindung setzt ein gewisses<br />

Maß an sozialer <strong>und</strong> psychischer Integration<br />

<strong>und</strong> Entspanntheit voraus. Zivilgesellschaft baut<br />

(psychologisch gesehen) auf die weichen Faktoren<br />

an der Basis der Gesellschaft in den Familien<br />

<strong>und</strong> Bekanntenkreisen <strong>und</strong> gibt ihnen unter den<br />

veränderten Bedingungen des öffentlichen Raums<br />

einen erweiterten Wirkungskreis. Es kann jedoch<br />

Umstände geben, unter denen sich der private<br />

Raum unter abrupter ökonomischer Schockwirkung<br />

vom öffentlichen Raum abschließt. Diese

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