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Kirche mitten drin« Sozialer, struktureller und ... - Kirche findet Stadt

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32 10/2013 epd-Dokumentation<br />

Bedingungen herrschen seit der Wende in den<br />

neuen Ländern. Da Traditionen eine hohe Beharrungskraft<br />

haben, kann davon ausgegangen werden,<br />

dass die starken privaten Beziehungen der<br />

DDR, die der allgemeinen Bespitzelung durchaus<br />

trotzten, eine Fortsetzung in den Verhältnissen<br />

der Nachwende gef<strong>und</strong>en haben. Wieder fungieren<br />

sind sie als Rückzugsraum, jetzt gegenüber<br />

der Anmutungen des Ökonomismus.<br />

In den neuen Ländern sind auch jene Entwicklungen,<br />

die wir als Ökonomisierung der Zivilgesellschaft<br />

gekennzeichnet haben, besonders ausgeprägt.<br />

Nicht nur Hartz IV war eine Sache, die<br />

die neuen Länder mehr als die alten Länder betraf,<br />

sondern auch jene Grauzone zwischen Zivilgesellschaft<br />

<strong>und</strong> Markt/Staat. Wenn w<strong>und</strong>ert es,<br />

im Zusammenspiel der sozialen Prekarität <strong>und</strong><br />

einer rechtsstaatlich zweifelhaften Verwaltung,<br />

geradezu eine Aufforderung zu sehen, die Grenzen<br />

zwischen Markt, Staat <strong>und</strong> Zivilgesellschaft<br />

zu verwischen. Wieder ist der Osten an der Vorderfront<br />

der »Reform«. Wie die Wiedervereinigung<br />

dazu benutzt wurde, dasjenige, was man im<br />

Westen gegen die organisierten Interessen nicht<br />

durchsetzen konnte, auf einem schwach organisierten,<br />

quasi jungfräulichen Feld auszuprobieren,<br />

so ging es in der Folge immer so fort.<br />

Totschlagargumente, Aufrichtung von Denktabus,<br />

wo ging das besser als in einem Land, von dem<br />

man öffentlich sagen konnte, dass hier die Stasi<br />

gewütet hatte <strong>und</strong> die Wirtschaft total marode<br />

war? Die ideologische Abwicklung der DDR war<br />

der Testlauf für die Argumente der Unausweichlichkeit,<br />

für die angebliche Alternativlosigkeit der<br />

»Reformen«. Für jeden, der auf die guten Seiten<br />

der DDR hinwies, Kinderbetreuung, Bildung,<br />

Wiederverwertung von Rohstoffen, geringe soziale<br />

Unterschiede usw., gab es passende Totschlagargumente.<br />

Wer wollte schon mit der Stasi identifiziert<br />

werden (die man sek<strong>und</strong>iert durch die<br />

Bürgerrechtler in die Nähe der Gestapo rückte)<br />

oder mit der Marodität der DDR-Wirtschaft. Ähnlichkeiten<br />

der DDR mit den skandinavischen<br />

Ländern wurden völlig ausgeblendet <strong>und</strong> die sehr<br />

früh aufscheinenden Wünsche der neuen B<strong>und</strong>esbürger<br />

nach einem Dritten Weg, womit doch<br />

im Gr<strong>und</strong>e nichts anderes gemeint war als das<br />

skandinavische Vorbild, wurden als DDR-<br />

Nostalgie abgetan.<br />

Hierin erkennen wir zugleich eines der größten<br />

Tabus der neuen B<strong>und</strong>esrepublik. Was in Dänemark<br />

geht, in einem rohstoffarmen Land mit relativ<br />

wenig Industrie, aber gesegnet mit reichen<br />

sozialen Ressourcen, soll nicht in Deutschland<br />

gehen? In der Tat, sind die oberen Schichten in<br />

Skandinavien nicht begeistert davon, dass sie<br />

zugunsten der Altersversorgung derjenigen, die<br />

als Verkäuferin im Supermarkt, als Pfleger im<br />

Krankenhaus oder im Altenheim, als Polizisten<br />

oder Arbeiter <strong>und</strong> Handwerker oft gesellschaftlich<br />

wertvollere Arbeit als Investmentbanker oder<br />

Marketingleute leisten, deutlich weniger verdienen<br />

(aber nicht so skandalös weniger wie in<br />

Deutschland oder gar in den USA) auf ihr gesamtes<br />

Einkommen (anders als die gut verdienenden<br />

Deutschen) Sozialbeiträge zahlen müssen. Beitragsbemessungsgrenze,<br />

in diesem bürokratischen<br />

Begriff liegt vieles, was uns von Skandinavien<br />

oder der Schweiz trennt. 7<br />

Immerhin, schleichend wird diese Grenze auch in<br />

Deutschland immer weiter nach oben gezogen<br />

<strong>und</strong> die Besserverdienenden sollten sich über die<br />

Schmälerung des Nettos nicht beschweren, sondern<br />

sich dafür engagieren, dass das für die Sozialkassen<br />

gewonnene Geld den Bedürftigen am<br />

Ende auch wirklich zu Gute kommt. Um auf die<br />

<strong>Kirche</strong>n zurückzukommen. In einer Gesellschaft,<br />

die sich von Werten immer weiter verabschiedet,<br />

kommt ihnen als Wertegemeinschaft eigentlich<br />

eine wichtige Rolle zu. Nur sind die Werte der<br />

<strong>Kirche</strong> eigentlich nicht von dieser Welt <strong>und</strong> das<br />

ist ja der eigentliche Sinn von Religion. Aber die<br />

<strong>Kirche</strong> wirkt auch in dieser Welt <strong>und</strong> so gehen sie<br />

die Werte dieser Welt auch etwas an. Ich kann<br />

mich meinem Vorredner nur anschließen, dass<br />

die <strong>Kirche</strong> bei den Menschen sein, aktiv auf die<br />

Benachteiligten <strong>und</strong> Bedrängten zugehen soll, um<br />

sie zu trösten, ihnen aber auch zu helfen.<br />

Für Christus war es selbstverständlich, sich gerade<br />

um die sozial Schwächsten, die sozial Prekären<br />

zu kümmern. Eine Amtskirche, der die<br />

Durchorganisation mit Hilfe von McKinsey wichtiger<br />

ist als das Schicksal der Bedrückten <strong>und</strong><br />

Benachteiligten, kann nicht auf Respekt bei den<br />

Menschen rechnen. Angesichts einer mit dem<br />

sozialen Gang der gesellschaftlichen Entwicklung<br />

zutiefst unzufriedenen Bevölkerung ist mir für<br />

das Ansehen einer mutigen <strong>Kirche</strong>, die die gegen<br />

die neu aufgerichteten Denkverbote aufbegehrt,<br />

nicht bange, aber umso mehr für eine, die sich<br />

mit den neuen Zwängen des Ökonomismus arrangiert.<br />

Wenn sich die Wert-Angebote des öffentlichen<br />

Raums immer weiter ausdünnen, dann bleibt den<br />

Menschen immer noch das Private zur Kultivierung<br />

sozialer Werte. In den neuen Ländern muss<br />

das Private die sozialen Lücken weit mehr füllen<br />

als in den alten Ländern (Grafik 6). Die Menschen

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