Kirche mitten drin« Sozialer, struktureller und ... - Kirche findet Stadt
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epd-Dokumentation 10/2013 17<br />
re oder auf Interessendurchsetzung gegenüber<br />
anderen, sondern auf gemeinsames Handeln<br />
zur Verbesserung eigener <strong>und</strong> allgemeiner Lebensbedingungen<br />
zielt.<br />
Zivilgesellschaftliches Handeln <strong>findet</strong> demnach in<br />
einer Öffentlichkeit statt, die weder in Großorganisationen<br />
wie Verbänden oder dem Staat noch<br />
im Privatbereich der Familie gegeben ist, sondern<br />
sich als informelle Öffentlichkeit z.B. im Quartier,<br />
im <strong>Stadt</strong>teil, in der Gemeinde oder Kommune<br />
entwickelt. Die Menschen, die in dieser Öffentlichkeit<br />
zivilgesellschaftliche aktiv werden, sind<br />
weder durch Zugehörigkeit zu einer im Zweifelsfall<br />
hierarchischen, formalen Organisation noch<br />
durch familiäre Verwandtschaftsbeziehungen<br />
verb<strong>und</strong>en, sondern durch eine gewissen Zuneigung<br />
zum Anderen in ihrer Nähe, mit dem sie zu<br />
kooperieren bereit sind, um gemeinschaftlich an<br />
der Verbesserung der Lebensbedingungen zu<br />
arbeiten, oder wie es die Sozialpolitik ausdrückt,<br />
in Kooperation Wohlfahrt oder Allgemeinwohl zu<br />
produzieren, <strong>und</strong> zwar da, wo weder Staat noch<br />
Markt dies leisten können. Das ist im Gr<strong>und</strong>e das,<br />
was landläufig als »bürgerschaftliches Engagement«<br />
bezeichnet <strong>und</strong> häufig in unzulässiger<br />
Weise auf das Ehrenamt reduziert wird. Organisationen,<br />
die Ehrenämter ermöglichen, tendieren<br />
immer dazu, sich an den Handlungsbedingungen<br />
von Staat <strong>und</strong> Markt zu orientieren, also Interessen<br />
zu formulieren, die mit Hilfe des Staates<br />
durchgesetzt werden sollen. Nur dann, wenn sie<br />
in der gleichen Weise auf Kooperation <strong>und</strong> Eigenproduktion<br />
von Wohlfahrt <strong>und</strong> nicht auf Interessendurchsetzung<br />
ausgerichtet sind, verdienen<br />
sie die Bezeichnung »Zivilgesellschaft«, sei es in<br />
kleinräumlichen Kontexten, sei es als NGOs, als<br />
Non-Governmental-Organisations. Interessendurchsetzung<br />
gegenüber dem Staat oder auch der<br />
Kommune dagegen ist quasi staatliches Handeln,<br />
häufig mit Verfahren des Marktes, <strong>und</strong> nicht Zivilgesellschaft.<br />
Daher geht es in zivilgesellschaftlichen<br />
Zusammenhängen auch nicht um Macht,<br />
um sich wirkungsvoll ins politische Geschäft einzubringen,<br />
sondern immer um Solidarität mit<br />
denjenigen, die als Kooperationspartner in Frage<br />
kommen.<br />
7. Zivilgesellschaftliches Handeln in den benachteiligten Räumen der neuen B<strong>und</strong>esländer<br />
Legt man Solidarität, Empathie <strong>und</strong> Kooperation<br />
als Kategorien zivilgesellschaftlich angelegter<br />
Gemeinwesenarbeit zugr<strong>und</strong>e, so ist offensichtlich,<br />
dass die Bedingungen für ein entsprechendes<br />
Engagement in den benachteiligten Räumen der<br />
neuen B<strong>und</strong>esländer entweder gar nicht oder nur<br />
in rudimentären Ansätzen gegeben sind.<br />
In den neuen B<strong>und</strong>esländern dominiert mehr<br />
noch als im Westen eine »Staatsorientierung als<br />
moderne Zivilreligion«, die alles von eben diesem<br />
Staat erwartet. In den benachteiligten Räumen ist<br />
diese Staatsorientierung allerdings zutiefst enttäuscht.<br />
Der neue Staat der B<strong>und</strong>esrepublik hat<br />
aus dieser Sicht seine Versprechen nicht nur nicht<br />
halten können, er hat darüber hinaus zur Entwertung<br />
der eigenen Persönlichkeit, ihrer Geschichte<br />
<strong>und</strong> Position, also ihrer Identität beigetragen.<br />
Besonders bestimmte Gruppen, die vor der Wende<br />
den Kern der DDR-Gesellschaft ausmachten,<br />
finden sich jetzt als marginalisierte Randgruppen<br />
wieder, Fabrikarbeiter z.B. im zweiten Sektor,<br />
also z.B. im Braunkohletagebau, oder in traditionellen<br />
Feldern hochindustrieller Produktion, also<br />
z.B. in Textilindustrie oder Schiffbau, sowie<br />
Landarbeiter oder Armeeangehörige.<br />
Für diese Bevölkerungsgruppen existierte aber<br />
vor der Wende auch kein Begriff, keine Vorstellung<br />
von Bürgerschaftlichkeit, von bürgerschaftlicher<br />
Öffentlichkeit. Sie lebten entweder in der<br />
Großorganisation der Arbeitswelt oder in der<br />
berühmten Nische von Familie <strong>und</strong> Verwandtschaft.<br />
Nicht umsonst galt die DDR-Gesellschaft<br />
als »Nischengesellschaft«, als eine Gesellschaft<br />
mithin, die nicht von Öffentlichkeit, sondern von<br />
Rückzug geprägt war. Die Arbeitswoche über<br />
wurde im »Kollektiv« des Betriebes gearbeitet <strong>und</strong><br />
gelebt, <strong>und</strong> »ab Freitag um eins macht jeder<br />
seins«. Zivilgesellschaftliche Traditionen, ein<br />
Bewusstsein von öffentlicher Verantwortung jedes<br />
Einzelnen waren in der DDR nicht präsent.<br />
Entweder der Staat war zuständig, oder man<br />
wurschtelte sich als Privatperson im Versteck<br />
durch. Dazwischen gab es nichts, zumindest<br />
nichts programmatisch nennenswertes.<br />
Der »Bürger«, ein Begriff, den es in der DDR nicht<br />
gab, war demnach in seiner Großorganisation<br />
»Genosse«, also in seiner Solidarität auf das Großkollektiv,<br />
im Zweifelsfall die Arbeiterklasse in<br />
»internationaler Solidarität« ausgerichtet. Oder er<br />
war Klient <strong>und</strong> K<strong>und</strong>e des Staates. Und da wo<br />
beides nicht funktionierte, <strong>und</strong> in der Regel funktionierte<br />
es nur schlecht, musste man sehen, wie<br />
man halblegal oder illegal im Schutz des Privatbereiches<br />
zurecht kam. Weder der Großorganisation<br />
noch einer informellen Öffentlichkeit der »Nächs-