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Kirche mitten drin« Sozialer, struktureller und ... - Kirche findet Stadt

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epd-Dokumentation 10/2013 15<br />

gen, die im Osten unterrepräsentiert sind. Ein<br />

zusätzliches Argument scheint allerdings auch die<br />

Partnerwahl zu sein. Da Frauen dazu tendieren,<br />

einen Partner zu suchen, der sozial etwas »über«<br />

ihnen steht, sind die Chancen in den alten B<strong>und</strong>esländern<br />

für die gut qualifizierten jungen Frauen<br />

aus den neuen B<strong>und</strong>esländern größer als in<br />

ihren Herkunftsregionen. Ein sehr deutliches<br />

Beispiel für diese wanderungsbedingten, selektiven<br />

Bevölkerungsverluste scheint die »Lommatzsche<br />

Pflege« zu sein, eine kleine, eher ländlich<br />

geprägte Region westlichen von Meißen. Seit der<br />

»Wende« hat dieser Raum ca. 20 Prozent seiner<br />

Einwohner, aber 60 Prozent der Jugendlichen<br />

verloren (Winkel u. Lüdigk 2010:243). Da überwiegend<br />

junge Frauen abwandern, beschleunigen<br />

sich Bevölkerungsrückgang <strong>und</strong> Alterung, da<br />

kaum noch Kinder geboren werden. Die Region<br />

gerät, <strong>und</strong> das gilt auch für andere Räume, in<br />

eine kaum zu unterbrechende Abwärtsspirale.<br />

Das Beispiel zeigt, dass auch in Regionen, die<br />

insgesamt Einwohnerverluste hinnehmen müssen,<br />

Bereiche besonders extremer Rückgänge<br />

solchen mit stabilen oder gar wachsenden Einwohnerzahlen<br />

gegenüber stehen können. In<br />

Sachsen besteht diese Polarisierung z.B. zwischen<br />

Hoyerswerda mit ca. 35 Prozent Einwohnerverlust<br />

seit 1990 gegenüber Leipzig Land, dem Weißeritz-<br />

oder dem Muldentalkreis, neuerlich auch<br />

gegenüber Dresden als den Räumen mit Einwohnergewinnen,<br />

wobei die beiden genannten Landkreise<br />

offensichtlich von der Nähe zu Leipzig<br />

bzw. Dresden profitieren. Bis 2004 hat Leipzig<br />

Einwohner vor allem an das Umland verloren hat,<br />

wächst seit dem aber auch wieder, z. T. sogar auf<br />

Kosten des Umlandes. Ähnliches gilt für Dresden.<br />

Auch in den schrumpfenden Großregionen wie<br />

den neuen B<strong>und</strong>esländern zeigen sich also die<br />

Dienstleistungszentren als relativ stabil, während<br />

altindustrielle <strong>und</strong> vor allem ländliche Räume<br />

stark schrumpfen (Kröhnert u. a. 2006:90).<br />

Diese Abwanderung sind vor allem bedrohlich,<br />

weil sie sowohl die demographischen als auch die<br />

ökonomischen Abwärtstrends auf Dauer stellen<br />

<strong>und</strong> verstärken, da vor allem die gut qualifizierten<br />

Jüngeren <strong>und</strong> unter diesen wiederum besonders<br />

junge Frauen abwandern. Sowohl im städtischen<br />

als auch im regionalen Maßstab <strong>und</strong> Kontext<br />

sind also gegenläufige Entwicklungen zu<br />

beobachten, die zu einer Polarisierung von Räumen,<br />

seien dies <strong>Stadt</strong>teile, seien es Teilregionen,<br />

führen. Diese sozialstrukturellen <strong>und</strong> regionalräumlichen<br />

Gegensätze vertiefen sich in der gesamten<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland, ein Trend,<br />

der vermutlich die kommenden Jahre <strong>und</strong> Jahrzehnte<br />

anhalten wird.<br />

5. Mentalitätsaspekte einer »Restbevölkerung« in stark schrumpfenden Räumen<br />

der neuen B<strong>und</strong>esländer<br />

Die Bewohner der Schrumpfungsräume <strong>und</strong> stark<br />

benachteiligten <strong>Stadt</strong>teile in den neuen B<strong>und</strong>esländern<br />

sind vermutlich von bestimmten Merkmalen<br />

<strong>und</strong> Erfahrungen geprägt, die sich selbstverständlich<br />

nicht ausschließlich durchsetzen,<br />

dennoch aber das Lebensgefühl in diesen Räumen<br />

prägen können.<br />

Da Abwandernden überwiegend von besser Qualifizierten,<br />

Jüngeren <strong>und</strong> vor allem von jüngeren<br />

Frauen getragen wird, bleibt eine überwiegend<br />

schlecht qualifizierte, tendenziell ältere <strong>und</strong><br />

überwiegend männliche, also eine ökonomisch<br />

<strong>und</strong> sozial wenig produktive <strong>und</strong> innovative Bevölkerung<br />

zurück, die ihre Leben unter diesen<br />

Bedingungen nicht nur als messbar benachteiligt<br />

sondern auch als entwertet emp<strong>findet</strong>. Eine solche<br />

Entwertung spielt sich auf verschiedenen<br />

Ebenen ab <strong>und</strong> trifft vermutlich genau solche<br />

Normen oder Verhaltensweisen, wie sie zur Zeit<br />

der DDR als relativ hoch bewertet, als sozial angesehen<br />

galten. Entwertet wird ein Männlichkeitsbild,<br />

das Politik <strong>und</strong> Kultur der DDR bis zu<br />

deren Ende prägte. Die Frauenemanzipation in<br />

der DDR, die sich in der hohen Zahl weiblicher<br />

Berufstätiger zu zeigen schien, war eine halbierte<br />

Emanzipation.<br />

Führungskader bestanden in höherem Maße als<br />

in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland aus Männern,<br />

<strong>und</strong> Männlichkeitsbilder prägten die Politik, die<br />

Wirtschaft, das Arbeitsleben, den Sport, die Kultur,<br />

den Alltag. Die Abwanderung vor allem der<br />

jüngeren Frauen stellt in dieser Hinsicht eine<br />

Provokation der »Restbevölkerung«, vor allem der<br />

jüngeren Männer dar, die darauf mit abweichendem<br />

Verhalten reagiert. Sie hält aber an den entsprechenden<br />

Männlichkeitsbildern fest, ohne zu<br />

verstehen, welche Provokation in diesen für<br />

eventuell zunehmend emanzipierte, moderne<br />

junge Frauen liegt 1 . Um es zuzuspitzen: Männer<br />

jüngeren <strong>und</strong> mittleren Alters ohne Job <strong>und</strong> ohne<br />

Frauen tendieren dazu, Risikofaktoren zu werden.<br />

Sie neigen zu regressiven Weltbildern <strong>und</strong><br />

häufig aggressivem, gewaltförmigem Verhalten<br />

im Alltagsleben <strong>und</strong> in der Politik.

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