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Kirche mitten drin« Sozialer, struktureller und ... - Kirche findet Stadt

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epd-Dokumentation 10/2013 19<br />

als sinnlose <strong>und</strong> entwürdigende Beschäftigungstherapie<br />

abgelehnt werden dürften.<br />

Die Gemeinwesenaktivitäten müssen also materielle<br />

Relevanz entwickeln. Sie müssen spürbar zur<br />

Verbesserung der Lebenslage, der Lebensbedingungen<br />

beitragen. Gleichzeitig dürfen aber die<br />

dafür notwendigen Aktivitäten nicht als Kompensation<br />

von Staatsversagen erscheinen. Es dürfen<br />

also keine Aufgaben oder Leistungen übernommen<br />

werden, die auch von Staat erledigt werden –<br />

könnten. Das ist aber in einer auf den allmächtigen<br />

Staat orientierten <strong>und</strong> auch an ihn glaubenden<br />

Bevölkerung so gut wie alles. Immer, <strong>und</strong> sei es<br />

z.B. nur bei der Säuberung <strong>und</strong> Bepflanzung eines<br />

halböffentlichen Geländes in einer Plattenbausiedlung,<br />

könnte man sagen, dass das doch bitte der<br />

»Staat«, in welcher Form auch immer, <strong>und</strong> sei es<br />

auch als Kommune, zu erledigen habe. Dazu gehört,<br />

dass weder aus der Zeit der DDR, in der es<br />

die »autonome Kommune« nicht gab, noch aus der<br />

Nachwendezeit, in der Kommunen durch chronische<br />

Finanzknappheit häufig am eigenständigen<br />

Handeln gehindert sind, geläufig ist, dass die<br />

Kommune nicht »Staat«, sondern bürgerschaftliche<br />

Selbstverwaltung ist, dass sie also eine Ebene für<br />

Zivilgesellschaftlichkeit sein könnte. Sie gilt als<br />

Teil des »Systems«, das wiederum versagt hat, bei<br />

dem sich also zu engagieren als ganz unangemessen,<br />

als völlig sinnlos erscheinen muss. Ein ostdeutsches<br />

Bürgertum, dass, wie schwierig auch<br />

immer, in dem neuen Staat »angekommen« sein<br />

könnte, wird das vermutlich anders sehen. Für die<br />

Benachteiligten aber gibt es keinen Gr<strong>und</strong>, keine<br />

Erfahrung, die ein solches Engagement nahe legen<br />

könnten. Und für die informellen Zusammenhänge,<br />

die den Kern von Zivilgesellschaft ausmachen,<br />

gilt das in verschärftem Maße. Es dürfte der hier in<br />

Rede stehenden Bevölkerung völlig unklar, in keiner<br />

Weise nachvollziehbar sein, was denn solche<br />

informellen, öffentlichen, aber nicht organisierten,<br />

von Empathie getragenen aber dennoch nicht auf<br />

die Familie konzentrierten Zusammenhänge wie<br />

Nachbarschaft, Quartier, »Gemeinde« denn überhaupt<br />

sein <strong>und</strong> leisten sollen. Nur Organisationen<br />

sind im Blick, <strong>und</strong> diese auch nur als Leistungsträger<br />

einer Staatsergänzung, wobei es immer als<br />

besser gelten dürfte, der »Staat« täte das, was notwendig<br />

ist, <strong>und</strong> das ist in dieser Kultur, wie gesagt,<br />

so gut wie alles, zumindest alles materiell Relevante.<br />

Und nur darum geht es.<br />

Die Ambivalenzen, die aus diesen Bedingungen<br />

für Gemeinwesen- <strong>und</strong> Gemeindearbeit entstehen,<br />

scheinen bei den protestantischen <strong>Kirche</strong>n<br />

durchaus wahrgenommen zu werden <strong>und</strong> führen<br />

zu diametral entgegen gesetzten Positionen kirchlicher<br />

Arbeit. Entweder man konzentriert sich auf<br />

die reine Verkündigung des Glaubens in der<br />

kirchlichen Liturgie oder man folgt dem Satz,<br />

dass »Gottesdienst immer Menschendienst« zu<br />

sein habe, wie er der Diakonie <strong>und</strong> der Gemeinwesenarbeit<br />

zu Gr<strong>und</strong>e liegt. Folgt man dem<br />

zweiten Motto, wird man unweigerlich den beschriebenen<br />

Hindernissen begegnen, also einen<br />

langem Atem brauchen. Orientiert man sich aber<br />

an den Gr<strong>und</strong>bedingung, zur Verbesserung der<br />

materiellen Lebenslage beizutragen, können kleine<br />

Erfolge möglich sein.<br />

Eventuell aber dient kirchliche Gemeinwesenarbeit<br />

einem ganz anderen Zweck, der sich nur indirekt<br />

erschließt. Wie anfangs ausgeführt, unterliegen die<br />

neuen – <strong>und</strong> alten – Benachteiligten in Ost wie in<br />

West der Gefahr der Ausgrenzung, <strong>und</strong> das heißt<br />

auch immer, dass sie unsichtbar werden – sollen.<br />

Kirchliche Arbeit könnte vor allem dieser Verdrängung<br />

von Benachteiligung entgegen wirken. Sie<br />

könnte vor allem die Tatsache einer Polarisierung<br />

mit Exklusionsgefahr am untersten Ende der sozialen<br />

Stratifikation im öffentlichen Bewusstsein halten<br />

<strong>und</strong> öffentlich skandalisieren, soweit das in<br />

einer Gesellschaft mit wachsender Ungleichheitsakzeptanz<br />

möglich ist. Es gibt keine Organisation,<br />

die den Ausgegrenzten Stimme <strong>und</strong> Plattform gäbe.<br />

Den <strong>Kirche</strong>n könnte diese Funktion zufallen.<br />

Allerdings verlassen die <strong>Kirche</strong>n mit einer solchen<br />

Strategie das Feld der Zivilgesellschaft <strong>und</strong> begeben<br />

sich in den Bereich der Politik, in der Prioritäten<br />

ausgehandelt werden, um entsprechend politisch<br />

zu agieren.<br />

Ein Kompromiss könnte in einer Kooperationsorientierung<br />

liegen, die sich nicht sofort auf die<br />

Kooperation der Bürger, sondern auf die zivilgesellschaftlicher<br />

Akteure richtet, also auf Verbände,<br />

Stiftungen, Vereine, evtl. sogar Unternehmen.<br />

Nach dem Modell des »Quartiersmanagers« im<br />

B<strong>und</strong>-Länder-Projekt »Die soziale <strong>Stadt</strong>. <strong>Stadt</strong>teile<br />

mit besonderem Erneuerungsbedarf« könnten<br />

lokale <strong>Kirche</strong>ngemeinden die Kooperation aller<br />

relevanten Kräfte in einer Kommune oder in einem<br />

benachteiligten <strong>Stadt</strong>teil anregen <strong>und</strong> zu<br />

koordinieren suchen, um von da aus langsam<br />

<strong>und</strong> schrittweise zur direkten Kooperation der<br />

Bürger in der gemeinsamen, zivilgesellschaftlichen<br />

Wohlfahrtsproduktion vorzudringen.<br />

Beide Konzepte, sowohl das, zur Stimme für die<br />

Benachteiligten zu werden, als auch das der Anregung<br />

<strong>und</strong> Koordination von Kooperation zwischen<br />

Organisationen entsprechen ansatzweise<br />

Dahrendorfs Vorschlag zur Entwicklung von<br />

Agenturen für Benachteiligte <strong>und</strong> in benachteilig-

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