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Kirche mitten drin« Sozialer, struktureller und ... - Kirche findet Stadt

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18 10/2013 epd-Dokumentation<br />

ten«, aber nicht Verwandten, begegnete man mit<br />

Empathie. Vielmehr ging es darum, unzumutbare<br />

Forderungen zurückzuweisen oder sich ihnen<br />

schlau zu entziehen <strong>und</strong> den eigenen Lebensstandard<br />

durch Nischenaktivitäten zu sichern.<br />

Sowohl die Begründung der DDR-Gesellschaft als<br />

Arbeiter- <strong>und</strong> Industriegesellschaft als auch die<br />

tägliche Anforderung, unzureichende Techniken<br />

durch eigene Arbeit zu kompensieren, haben in<br />

der DDR eine Orientierung auf Maschinen, auf<br />

Geräte konserviert, eine hohe Bewertung technisch-handwerklicher<br />

Fähigkeiten, die in Dienstleistungsgesellschaften<br />

weitgehend überflüssig<br />

sind <strong>und</strong> daher durch soziale Kompetenzen ersetzt<br />

werden. Besonders in den benachteiligten<br />

Räumen der ehemaligen DDR sind solche sozialen,<br />

kommunikativen Kompetenzen, die die Basis<br />

von Empathie <strong>und</strong> Kooperation bilden, in der<br />

Regel zu dürftig, um sie in Gemeinwesenarbeit<br />

fruchtbar werden zu lassen. Der Umgang mit<br />

Geräten, mit Maschinen <strong>und</strong> Material erscheint<br />

immer noch relevanter, wird in diesen Alltagskulturen<br />

eher gewürdigt <strong>und</strong> belohnt, als der mit<br />

Menschen. Verbalisierungs- oder Artikulations<strong>und</strong><br />

Verhandlungsfähigkeit sind demnach<br />

schwach ausgebildet <strong>und</strong> müssten erst entwickelt<br />

werden, bevor zivilgesellschaftliche Kooperationsprojekte<br />

möglich sein können. Anders ausgedrückt,<br />

die Gemeinwesenprojekte müssen zur<br />

Entwicklung dieser Kompetenzen dienen, auch<br />

da, wo sie an materiellen Dingen ansetzen.<br />

Solidarität in der DDR war tendenziell eine kämpferische<br />

der solidarischen Verb<strong>und</strong>enheit gegen<br />

einen Gegner, wie sie im Sport überlebt hat. Nicht<br />

die informelle, freiwillige Kooperation ist damit<br />

Ausdruck <strong>und</strong> Ansatzpunkt, sondern die Mannschaft<br />

als straff organisiertes, einem Willen unterworfenes,<br />

kämpferisches Kollektiv. Gemeinwesenarbeit<br />

baut aber keine derartigen »Kampfverbände«,<br />

sondern Kooperation zwischen selbstbestimmten<br />

Individuen auf, eine Vorstellung, die<br />

der Industriegesellschaft in ihre Steigerung im<br />

Sozialismus nicht nur völlig fremd, sondern als<br />

subversiv eher verdächtig war.<br />

Und auf noch ein gravierendes Defizit, das von<br />

Westdeutschen lange komplett übersehen wurde,<br />

muss hingewiesen werden. Die DDR hat keinen<br />

Wertewandel durchlaufen, wie das in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

<strong>und</strong> allen westlichen Nationen seit den<br />

1960er-Jahren der Fall war (vgl. z.B. Meulemann<br />

1996). Damit bleiben besonders für die beschriebenen<br />

Kerngruppen der DDR-Gesellschaft Bindungen<br />

an Pflicht- <strong>und</strong> Akzeptanzwerte bestimmend.<br />

Selbstverwirklichungswerte, die im Westen dominieren,<br />

haben demgegenüber geringe Bedeutung.<br />

Damit geht einher, dass große Teile der ostdeutschen<br />

Bevölkerung, vor allem die auch im vereinten<br />

Deutschland Benachteiligten, ihre Lebenslage<br />

als schicksalhaft, als fremdbestimmt, als etwas<br />

wahrnehmen, das sich der eigenen Bestimmung,<br />

der eigenen Gestaltung entzieht. Immer sind es<br />

Andere, der Staat in seinem Staatsversagen, die<br />

egozentrischen Westler, die korrupte Treuhand,<br />

betrügerische Unternehmer, die an der eigenen<br />

Misere die Schuld tragen. Sich gegen dieses<br />

»Schicksal« zur Wehr zur setzen, verbindet sich<br />

unter diesen Bedingungen entweder mit Regression,<br />

Rückzug in die Nische nach altem Muster,<br />

oder mit Zynismus: »Nimm was du kriegen kannst,<br />

alle machen es so, alle bereichern sich jenseits<br />

aller Moralvorstellungen«. Oder es kommt, wenn<br />

auch zweifellos nur in Extremfällen, zu devianten<br />

Aggressionen, wie wir sie in den neuen B<strong>und</strong>esländern<br />

einerseits bei nationalen F<strong>und</strong>amentalisten,<br />

zum anderen aber auch beim Sport, also bei<br />

den gefürchteten Hooligans erleben.<br />

Die <strong>Kirche</strong> als Institution <strong>und</strong> sinnstiftender Kontext<br />

hat demgegenüber gerade bei den Benachteiligten<br />

der neuen B<strong>und</strong>esländer äußerst geringe<br />

Bedeutung. Sie war in der DDR <strong>und</strong> ist in den<br />

neuen B<strong>und</strong>esländern die Institution eines konservativen<br />

Bildungsbürgertums. Aus diesem<br />

»Klientel« heraus konnte die protestantische <strong>Kirche</strong><br />

– die katholische spielt in DDR / neuen B<strong>und</strong>esländern<br />

bekanntlich nur eine höchst marginale<br />

Rolle – in der Vorwendezeit zur Plattform des<br />

Protest gegen den sozialistischen Staat der DDR<br />

werden. Andere Institutionen, die diese Funktion<br />

hätten übernehmen können, existierten nicht.<br />

Aber mit der Wende ist diese Leistung überflüssig<br />

geworden. Das alte <strong>und</strong> neue Bürgertum braucht<br />

im vereinten Deutschland keine Protestinstitution<br />

mehr, <strong>und</strong> für die alte, entwertete Arbeiterschaft<br />

bildet die <strong>Kirche</strong> keinen relevanten Bezugspunkt,<br />

von Ausnahmen, die es immer gibt, selbstverständlich<br />

abgesehen.<br />

Damit werden die Hindernisse, denen sich kommunale<br />

<strong>und</strong> vor allem kirchliche Gemeinwesenarbeit<br />

konfrontiert sieht, erkennbar, <strong>und</strong> sie erscheinen<br />

als fast unüberwindlich. Eine Gemeinwesenarbeit<br />

in benachteiligten Räumen der neuen<br />

B<strong>und</strong>esländer muss die materielle Orientierung<br />

der Bevölkerung, ihre Ausrichtung auf Gegenstände<br />

<strong>und</strong> nicht auf Personen aufnehmen <strong>und</strong><br />

von ihr ausgehen. Das reine Gespräch, das reine<br />

Wort dürften als Medium fast chancenlos sein.<br />

Aber auch materiell nicht relevante, spielerische<br />

Aktivitäten haben geringe Chancen, da sie in<br />

dieser Kultur von »Produzierenden« sehr schnell

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