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Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht. Militärgerichtlich Verurteilte in ...

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- 112 -<br />

laubte Entfernung verleitet hatte bzw. verleiten wollte. Die Verleitung, führt SCHWINGE aus, sei zwar<br />

nicht identisch mit der Beihilfe etwa zur unerlaubten Entfernung oder Fahnenflucht, und Letztere sei<br />

im Text der Verordnung »ausdrücklich nicht mit berücksichtigt worden«; dennoch müsse, um den ungleich<br />

schwereren Fall der Beihilfe nicht ger<strong>in</strong>ger zu bestrafen als <strong>die</strong> Verleitung, auch hier e<strong>in</strong>e Verurteilung<br />

auf der Grundlage der Nr. 2 des § 5 Abs. 1 erfolgen, und zwar mit Hilfe des zweiten Teildelikts,<br />

der „sonstigen Untergrabung der Manneszucht“. 247 Als weitere Beispiele <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen Tatbestand<br />

nennt er »Erregung von Unlust und Missvergnügen bei bestimmten Soldaten, Wühlarbeit gegen Vorgesetzte,<br />

Begehung von Ungehorsamstaten, um beispielgebend zu wirken, Flugblattpropaganda durch<br />

E<strong>in</strong>wohner des besetzten Gebietes usw.«. 248 Nach Angaben KAMMLERs haben häufig auch »pessimistische<br />

Urteile über <strong>die</strong> Kriegsaussichten« zu Anklagen wegen „Untergrabung der Manneszucht“ ge-<br />

führt. 249<br />

E<strong>in</strong>er, der unter beide Unterstrafarten hätte fallen können, ist der Reichsbahn-Betriebswart Fritz L.,<br />

geboren 1896 <strong>in</strong> Bamberg, der am 08.09.1943 vom Sondergericht <strong>in</strong> Kassel zu drei Jahren Zuchthaus<br />

verurteilt wurde. Er hatte se<strong>in</strong>em zur <strong>Wehrmacht</strong> e<strong>in</strong>gezogenen, damals neunzehnjährigen Sohn Fridtjof<br />

L. Ende Juli 1943 e<strong>in</strong>en Brief geschrieben, der von der militärischen Postzensur abgefangen worden<br />

war, und ihm dar<strong>in</strong> geraten, sich dem Krieg so weit wie irgend möglich zum entziehen. Fritz L.<br />

schrieb u. a.:<br />

»Den Krieg verlieren sie bestimmt. Die Hauptsache ist <strong>für</strong> uns, du kommst uns am Schluss gesund<br />

u. heil wieder. [...] Niemand hat das Recht, dich zum Krieg zu zw<strong>in</strong>gen, nachdem Krieg an<br />

sich schon gegen Gottes Gebot ist. Und der Fahneneid, wozu sie dich gezwungen haben, gilt vor<br />

Gott nicht; denn er ist erzwungen, e<strong>in</strong> gültiger Eid kann nur se<strong>in</strong>, wenn e<strong>in</strong>er aus freien Stücken<br />

etwas zu tun verspricht. Also nochmal, sei klug und vorsichtig und wende alle Möglichkeiten an,<br />

Rheumatische Erkrankungen, Herzbeschwerden, schlechtes Schießen, absichtliches Nachhelfen<br />

zum Krankwerden usw. [...] Ist der Krieg vorbei, dann ist es <strong>für</strong> dich ganz piepe, was du im Krieg<br />

warst, sondern <strong>für</strong> dich und uns hat nur Wert, dass du noch ebenso gesund bist wie am Anfange<br />

und dir de<strong>in</strong> Brot ver<strong>die</strong>nen kannst [...] und du de<strong>in</strong> Leben genießen kannst, das dir Gott der Herr<br />

geschenkt hat, und das zu zerstören <strong>die</strong>ser Hitler ke<strong>in</strong> Recht hat.« 250<br />

Das Sondergericht stellte fest, dass Fritz L. der »Sekte der Mennoniten [...], <strong>die</strong> den Grundsatz der<br />

Wehrlosigkeit vertritt«, nahe gestanden habe. 251 Durch den Inhalt se<strong>in</strong>es Briefes habe er es »unternommen,<br />

se<strong>in</strong>en im Heeres<strong>die</strong>nst stehenden Sohn zum Ungehorsam gegenüber se<strong>in</strong>em Fahneneid zu ver<br />

246<br />

Das ebenfalls politische Vergehen der „Heimtücke“ und se<strong>in</strong> Verhältnis zur „Wehrkraftzersetzung“ wird <strong>in</strong><br />

Kap. 4.3.2.1 behandelt.<br />

247<br />

SCHWINGE 1944, S. 439.<br />

248<br />

Ebd., S. 441. – „Erregung von Unlust und Missvergnügen“ ersche<strong>in</strong>t hier etwas merkwürdig, da es da<strong>für</strong> ja<br />

das nach § 102 strafwürdige Delikt „Erregung von Missvergnügen“ gibt (siehe auch Anm. 154).<br />

249<br />

KAMMLER 1997, S. 89. – Die von ihm angeführten zwei Beispiele wurden jedoch beide durch Standgerichte<br />

1945 zum Tode verurteilt und wenig später bereits exekutiert: Karl V., weil er u. a. während e<strong>in</strong>es Fronturlaubs<br />

zu Freunden gesagt haben soll, das Weiterkämpfen habe ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, da der Krieg bereits verloren sei<br />

(Ebd., S. 121f.); Oscar S., weil er während des Rückzugs gegenüber e<strong>in</strong>er Volkssturmtruppe äußerte, ihre<br />

Aufgabe – nämlich Bäume zu fällen und auf <strong>die</strong> Straße zu legen, um damit <strong>die</strong> Rote Armee aufzuhalten – sei<br />

»jetzt s<strong>in</strong>nlos [...], weil <strong>die</strong> Russen vor der Türe seien« (Bericht von Irmentraut S., Kassel, o. D. (?), zit. n.<br />

ebd., S. 128).<br />

250<br />

Urteil des Sonderger. f. d. OLG-Bezirk Kassel gegen Fritz L., 08.09.1943, Hess. HStA Wiesbaden, 483/4968,<br />

zit. n. KAMMLER 1997, S. 108 - 111, hier S. 109 (Viertletztes bis vorletztes Wort im Orig<strong>in</strong>al unterstrichen).<br />

251<br />

Ebd.

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