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Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht. Militärgerichtlich Verurteilte in ...

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schäftigungszeit auf 12 Stunden festgesetzt. Es ist anzunehmen, dass bei <strong>die</strong>ser Bestimmung <strong>die</strong> beabsichtigte<br />

verstärkte Abschreckungswirkung der ELL e<strong>in</strong>e Rolle spielte. 66<br />

Strafgefangene, <strong>die</strong> vor ihrer Inhaftierung schwere körperliche Arbeit gewohnt waren, hatten große<br />

Vorteile gegenüber den Übrigen, <strong>die</strong> nie zuvor mit derartigen Tätigkeiten konfrontiert gewesen waren<br />

67 und anfangs oft glaubten, <strong>die</strong>se Arbeit niemals <strong>in</strong> der geforderten Weise meistern zu können.<br />

Wladimir LINDENBERG, Häftl<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Neusustrum von 1937 bis 1940, beschreibt <strong>die</strong> Situation e<strong>in</strong>es<br />

„Neul<strong>in</strong>gs“ im Moor folgendermaßen:<br />

»Man musste mit großer Kraft den Spaten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Erde stoßen, e<strong>in</strong>en viereckigen Klumpen von<br />

fünf bis zehn Pfund Schwere abstechen und ihn <strong>in</strong> <strong>die</strong> Lore werfen. Nach e<strong>in</strong>er Stunde schon<br />

glaubte er, dass er zusammenbrechen müsse. Aber dann sah er <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen des Wachmanns, der<br />

darauf nur zu warten schien, und auf <strong>die</strong> schussbereite Pistole <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Hand, und er arbeitete<br />

weiter.« 68<br />

Wer zu langsam arbeitete oder se<strong>in</strong> Pensum nicht erfüllte, fiel grundsätzlich auf. Die Devise aller<br />

Gefangenen war jedoch, möglichst nicht aufzufallen, um sich nicht der Gefahr von Prügel, Essensentzug<br />

und schlimmeren Formen der Bestrafung durch <strong>die</strong> Wachmannschaften auszusetzen; nur »der Anpassungsfähigste<br />

überlebte« 69 . Besonders gefährdet waren somit alle Gebrechlichen und körperlich<br />

nicht sonderlich Leistungsfähigen, besonders alle Intellektuellen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong>e körperliche<br />

Arbeit gewohnt waren. Wer e<strong>in</strong>e Brille trug, war den häufig ungebildeten Wachposten und „Kneisten“<br />

grundsätzlich suspekt. 70 HENTSCHKE berichtet von e<strong>in</strong>em Fall <strong>in</strong> Aschendorfermoor, bei dem e<strong>in</strong> Brillenträger,<br />

der beim Kuhlen nicht mitkam, vom Kommandoführer „Kulen-Paule“ mit „Strafsport“ belegt<br />

und nach dem E<strong>in</strong>rücken dem Platzmeister gemeldet wurde, der den Gefangenen schließlich zu<br />

Tode quälte 71 – <strong>die</strong>s war ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall. Kräftigere ELL-Gefangene versuchten oftmals, Mithäftl<strong>in</strong>gen,<br />

<strong>die</strong> ihr Pensum nicht bewältigen konnten, bei der Arbeit zu helfen; <strong>die</strong>s war jedoch <strong>für</strong> sie selbst<br />

»e<strong>in</strong> äußerst gefährliches Unternehmen, denn es konnte wie e<strong>in</strong> Fluchtversuch aussehen, und man<br />

konnte <strong>die</strong> Menschenhilfe leicht mit dem eigenen Leben bezahlen«. 72 Darüber h<strong>in</strong>aus drohte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

solchen Fall von „Kumpanei“, wenn sie vom Aufsichtspersonal oder den Anweisern entdeckt wurde,<br />

Strafe – m<strong>in</strong>destens 50 Kniebeugen, schlimmstenfalls Misshandlung und Arrest. 73 Anton Kulzer be<br />

66 SUHR, ebd., S. 85. – E<strong>in</strong> Strafgefangener hatte somit bis 1938 bereits ungefähr 60 % der Tagesleistung e<strong>in</strong>es<br />

an <strong>die</strong> ständige physische Beanspruchung gewöhnten freien Arbeiters zu erbr<strong>in</strong>gen (SUHR, ebd.). – Zur ‚Abschreckung<br />

durch <strong>die</strong> ELL‘ siehe auch Kap. 3.3.<br />

67 Int. Zietlow 1995.<br />

68 LINDENBERG 1988, S. 149.<br />

69 Ebd., S. 143.<br />

70 H. MÜLLER (1994, S. 119) zufolge wurden Brillenträgern gleich zwei Kubikmeter mehr zur Bearbeitung zugeteilt.<br />

– Fritz Sparschuh (Int. 1991) berichtet ebenfalls, <strong>die</strong> Wachmannschaften hätten es besonders abgesehen<br />

gehabt »auf solche, <strong>die</strong> wie ich Brillenträger waren. „Brillenkieker hierher, du Satan, du fällst jetzt <strong>die</strong>se Eiche!“«,<br />

sei ihm befohlen worden. »Ich hab mir überlegt, ist es richtig, mit der Brille rumzulaufen – denn ohne<br />

siehst du wieder nichts. Wichtig ist doch, zu sehen, um zu wissen, wo <strong>die</strong> Gefahr ist.« – Zu Sparschuh siehe<br />

auch Kap. 4.4.2 Anm. 93.<br />

71 HENTSCHKE 1990, S. 63 - 65. – Zum „Sport“ siehe auch Kap. 5.2.<br />

72 LINDENBERG 1988, S. 150.<br />

73 H. MÜLLER 1994, S. 119. – Derartige Solidarität war allerd<strong>in</strong>gs fast ausschließlich unter den politischen Häftl<strong>in</strong>gen<br />

zu verzeichnen, besonders <strong>in</strong> der Periode der KZs 1933 - 1934 und <strong>in</strong> Aschendorfermoor 1937 – 1940<br />

(siehe auch Kap. 2.1), wo es häufig arrangiert werden konnte, dass auch <strong>die</strong> kräftigeren Häftl<strong>in</strong>ge nicht zu<br />

schnell arbeiteten, und denjenigen Mitgefangenen, <strong>die</strong> ihr Pensum e<strong>in</strong>fach nicht erfüllen konnten, mitgeholfen<br />

wurde (SUHR – Emslandlager 1985, S. 160; Int. Palapies 1981; Int. Erw<strong>in</strong> Schulz 1991).

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