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Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht. Militärgerichtlich Verurteilte in ...

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- 78 -<br />

War <strong>die</strong>ses Delikt e<strong>in</strong>mal gerichtlich festgestellt, 80 drohte dem Täter folgerichtig <strong>die</strong> Todes-, m<strong>in</strong>destens<br />

aber e<strong>in</strong>e Zuchthausstrafe; 81 wann welche angebracht war, regelte zunächst § 70 des MStGB:<br />

»(1) Die Strafe <strong>für</strong> Fahnenflucht ist Gefängnis nicht unter sechs Monaten.<br />

(2) Wird <strong>die</strong> Tat im Felde begangen oder liegt e<strong>in</strong> besonders schwerer Fall vor, so ist auf Todesstrafe<br />

oder auf lebenslanges oder zeitiges Zuchthaus zu erkennen*).<br />

(3) Stellt sich der Täter, um den Wehr<strong>die</strong>nst fortzusetzen, b<strong>in</strong>nen vier Wochen – im Felde b<strong>in</strong>nen<br />

e<strong>in</strong>er Woche – nach der Tat, so kann <strong>in</strong> den Fällen des Abs. 1 auf Gefängnis, <strong>in</strong> den Fällen<br />

des Abs. 2 auf Gefängnis nicht unter sechs Monaten erkannt werden.« 82<br />

Das Sternchen h<strong>in</strong>ter Abs. 2 markiert e<strong>in</strong>e amtliche Fußnote, <strong>die</strong> <strong>die</strong> „Richtl<strong>in</strong>ien des Führers und<br />

Obersten Befehlshabers der <strong>Wehrmacht</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Strafzumessung bei Fahnenflucht“ vom 14.04.1940<br />

enthält:<br />

»I.<br />

Die Todesstrafe ist geboten, wenn der Täter aus Furcht vor persönlicher Gefahr gehandelt hat<br />

oder wenn sie nach der besonderen Lage des E<strong>in</strong>zelfalles unerlässlich ist, um <strong>die</strong> Mannszucht<br />

aufrechtzuerhalten.<br />

Die Todesstrafe ist im Allgeme<strong>in</strong>en angebracht bei wiederholter oder geme<strong>in</strong>schaftlicher Fahnenflucht<br />

und bei Flucht oder versuchter Flucht <strong>in</strong>s Ausland. Das gleiche gilt, wenn der Täter erheblich<br />

vorbestraft ist oder sich während der Fahnenflucht verbrecherisch betätigt hat.<br />

II.<br />

In allen anderen Fällen der Fahnenflucht muss unter Berücksichtigung der gesamten Umstände<br />

geprüft werden, ob Todesstrafe oder Zuchthausstrafe angemessen ist.<br />

E<strong>in</strong>e Zuchthausstrafe wird <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Fällen im Allgeme<strong>in</strong>en als ausreichende Sühne anzusehen<br />

se<strong>in</strong>, wenn jugendliche Unüberlegtheit, falsche <strong>die</strong>nstliche Behandlung, schwierige häusliche<br />

Verhältnisse oder andere nicht unehrenhafte Beweggründe <strong>für</strong> den Täter hauptsächlich bestimmend<br />

waren.<br />

III.<br />

Diese Grundsätze gelten auch <strong>für</strong> Fälle, <strong>in</strong> denen das Ausbrechen aus e<strong>in</strong>er Strafanstalt als Fahnenflucht<br />

anzusehen ist.« 83<br />

Hitler verfolgte mit se<strong>in</strong>em Erlass das Ziel, <strong>die</strong> Rechtsprechung zur Fahnenflucht zu vere<strong>in</strong>heitlichen;<br />

weit ause<strong>in</strong>ander gehende Ansichten über <strong>die</strong> Bestrafung praktisch gleichartiger Taten sollten<br />

nicht mehr zum Tragen kommen. 84 Damit wurde der Ermessensspielraum des e<strong>in</strong>zelnen <strong>Wehrmacht</strong>gerichts,<br />

gerade im H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> Berücksichtigung der Person des Täters mit ihren <strong>in</strong>dividuellen<br />

79 Adolf HITLER – Me<strong>in</strong> Kampf. Zwei Bände <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Band. 11. Aufl., München 1942, S. 586f., zit. n. KLAUSCH<br />

– Bewährungstruppe 1995, S. 443 Anm. 1 (Hervorhebungen von KLAUSCH).<br />

80 Zur Unterscheidung der Tatbestände „unerlaubte Entfernung“ und „Fahnenflucht“ siehe Kap. 4.3.1.<br />

81 Der <strong>Wehrmacht</strong>krim<strong>in</strong>alstatistik zufolge wurden im Zeitraum Juli 1941 bis März 1942 alle<strong>in</strong> 40,3 % der wegen<br />

Fahnenflucht <strong>Verurteilte</strong>n mit dem Tode bestraft; 63,8 % der <strong>in</strong>sgesamt ergangenene Todesurteile entfielen<br />

auf <strong>die</strong>sen Tatbestand (Zit. n. HENNICKE 1966, S. 443).<br />

82 Zit. n. SCHWINGE 1944, S. 191 (Herv. d. Verf.); zur Bedeutung des Passus „im Felde“ siehe Anm. 3.<br />

83 Zit. n. ebd. (= ABSOLON 1958, S. 77f. bzw. GRUCHMANN 1978, S. 464f.; Herv. d. Verf.). – Laut SEIDLER<br />

(1993, S. 142) sollte ke<strong>in</strong>e „verbrecherische Betätigung“ im S<strong>in</strong>ne von Punkt I vorliegen, wenn »sich der Täter<br />

ohne schwere Rechtsbrüche nur <strong>die</strong> notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt oder <strong>für</strong> <strong>die</strong> weitere Flucht verschafft«<br />

hatte. – Auf <strong>die</strong> unter Punkt I genannte Flucht <strong>in</strong>s Ausland, <strong>in</strong>sbesondere das „Überlaufen“ zu den Alliierten,<br />

wird hier nicht näher e<strong>in</strong>gegangen. E<strong>in</strong> Überläufer zu e<strong>in</strong>er fe<strong>in</strong>dlichen Armee bzw. zu Partisanen –<br />

als »Deserteur <strong>in</strong> Vollendung« (MALLMANN/PAUL 1991, S. 389) – musste nach dem 20.07.1944 sogar mit Sippenhaft,<br />

also Repressalien gegen Familienangehörige, rechnen: »Die Sippe rechtskräftig zum Tode verurteilter<br />

Überläufer haftet <strong>für</strong> das Verbrechen des <strong>Verurteilte</strong>n mit Vermögen, Freiheit oder Leben« (Erlass des Chefs<br />

d. OKW, 19.11.1944, zit. n. PAUL 1999, S. 38; vgl. auch EBERLEIN/HAASE 1996, S. 16).<br />

84 GRUCHMANN 1978, S. 464; SEIDLER 1993, S. 139f. – SCHNACKENBERG (1997, S. 63f.) weist darauf h<strong>in</strong>, dass<br />

<strong>die</strong>se Vere<strong>in</strong>heitlichung aber nicht durchgehend zu e<strong>in</strong>er Radikalisierung der Rechtssprechung führte, sondern<br />

partiell sogar mildernden E<strong>in</strong>fluss auf <strong>die</strong> Spruchtätigkeit der <strong>Wehrmacht</strong>gerichte hatte.

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