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Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht. Militärgerichtlich Verurteilte in ...

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Wehrwürdigkeit e<strong>in</strong> Gnadengesuch, das von drei Seiten her <strong>in</strong>itiiert werden konnte: Erstens konnte der<br />

zuständige Lagervorsteher e<strong>in</strong>en ihm geeignet ersche<strong>in</strong>enden Gefangenen beim Oberkommando von<br />

dessen (ehemaligen) <strong>Wehrmacht</strong>steil vorschlagen. Zweitens konnte der Gerichtsherr des verurteilenden<br />

Gerichts – dem Vernehmen nach aber auch das Gericht und <strong>die</strong> Vollstreckungsbehörde, also <strong>die</strong><br />

zuständige Staatsanwaltschaft – e<strong>in</strong> Gnadenverfahren <strong>in</strong> Gang setzen. Drittens konnten der Häftl<strong>in</strong>g<br />

selbst, aber auch se<strong>in</strong>e Verwandten oder se<strong>in</strong> Rechtsanwalt Gnadengesuche stellen; <strong>für</strong> dessen Bearbeitung<br />

war bis Ende 1942 das Gericht der 406. Division z. b. V. <strong>in</strong> Münster (Westfalen) zuständig,<br />

danach das Gericht der Division Nr. 176 <strong>in</strong> Bielefeld. In allen drei Fällen wurde zu dem betreffenden<br />

Gefangenen e<strong>in</strong> Gutachten des Lagervorstehers e<strong>in</strong>geholt. 41 Paul GROSS beschreibt den Vorgang der<br />

Besprechung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>gegangenen Gnadenantrags folgendermaßen:<br />

»Dem Amtmann [= Vorsteher] des Lagers VII bereitete es e<strong>in</strong>e besondere Freude[,] des Öfteren<br />

e<strong>in</strong>en Moorhasen zu sich <strong>in</strong> das Büro zu rufen. Behäbig und vollgefressen lag e<strong>in</strong>e große Dogge<br />

unter se<strong>in</strong>em Schreibtisch, wohl zu se<strong>in</strong>em eigenen Schutz. Man konnte ja nie wissen. Leutselig<br />

wurde der Kamerad nach se<strong>in</strong>er Strafe befragt. Auch <strong>die</strong> Angehörigen wurden erwähnt usw. Erst<br />

zaghaft und verschüchtert, immer auf der Hut vor e<strong>in</strong>em unbedachten Wort, gab der Kamerad<br />

dann se<strong>in</strong>em Herzen e<strong>in</strong>mal Luft. Plötzlich wurde er vom Amtmann aufgefordert, e<strong>in</strong> Stück Brot<br />

von e<strong>in</strong>em leckeren Frühstücksteller zu nehmen, der neben dem Schreibtisch stand. Überaus<br />

glücklich griff der Kamerad nach kurzem Zögern zu, unfassbar der Güte des verhassten Amtmanns.<br />

Gehabte Rachepläne verblassten, als auch schon das Donnerwetter here<strong>in</strong>brach: „Was, du<br />

Schwe<strong>in</strong> glaubst wohl, das Brot ist <strong>für</strong> dich? Das könnte dir so passen, dem Hund sollst du es geben!“<br />

Aus allen Himmeln stürzend, ganz verdattert nähert sich der Kamerad der Dogge, <strong>die</strong> sich<br />

bei dem Gebrüll ihres Herrn aufgerichtet hat und sprungbereit steht. Sie beschnuppert das Brot<br />

und zieht sich räkelnd auf den Platz zurück. Gut abgerichtet! Dann g<strong>in</strong>g <strong>die</strong> Brüllerei von Neuem<br />

los: „Siehst du, du Verbrecher, noch nicht e<strong>in</strong>mal der Hund nimmt e<strong>in</strong> Stück Brot von dir, und<br />

dann soll ich <strong>für</strong> dich e<strong>in</strong> Gnadengesuch be<strong>für</strong>worten! Schere dich h<strong>in</strong>aus[,] du Hemmklotz an<br />

den Siegesfahnen unseres Führers!“ Tränen der Wut und Ohnmacht <strong>in</strong> den Augen, <strong>die</strong> Hand zur<br />

Faust geballt, wie mancher Moorsoldat hat <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Zustande den Amtmann verlassen.« 42<br />

Der Lagervorsteher beurteilte <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

»<strong>die</strong> Führung des <strong>Verurteilte</strong>n <strong>in</strong> der Haft, wobei verhängte Lagerstrafen e<strong>in</strong>e Rolle spielten; se<strong>in</strong>e<br />

Arbeitsleistung; der persönliche E<strong>in</strong>druck und <strong>die</strong> Dauer der Inhaftierung, <strong>die</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em „angemessenen<br />

Verhältnis“ zum Gedanken der „Sühne“ und der „Abschreckung“ stehen sollte. E<strong>in</strong>e<br />

Rolle spielte auch, ob der Betreffende „Erstbestrafter“ war«. 43<br />

KLAUSCH zufolge war <strong>die</strong> Beurteilung durch den Lagervorsteher von »entscheidender Bedeutung«<br />

<strong>für</strong> den Erfolg des Gnadengesuchs; se<strong>in</strong>er Empfehlung sei »zwar nicht <strong>in</strong> allen Fällen, wohl aber <strong>in</strong> der<br />

Regel entsprochen« worden. 44 Diese E<strong>in</strong>schätzung ersche<strong>in</strong>t jedoch etwas übertrieben: Aus den Akten<br />

gehen e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Fällen hervor, <strong>in</strong> denen der Vorsteher zum Teil sogar ausgesprochen positive<br />

Gutachten stellte, und dennoch wurden <strong>die</strong> Gnadengesuche abgelehnt. Für den Esterweger Häftl<strong>in</strong>g<br />

Ernst H. s<strong>in</strong>d beispielsweise zwischen September 1941 bis Juli 1944 gleich vier Gnadenverfahren<br />

fermoor e<strong>in</strong>gewiesen worden zu se<strong>in</strong>. »Se<strong>in</strong>e Arbeit hier bestand <strong>in</strong> Kuhlen, Torfstechen und <strong>in</strong> der Landwirtschaft.«<br />

1944 sei se<strong>in</strong> „Fall“ erneut verhandelt worden, und <strong>die</strong>ses Mal habe das Strafmaß nur noch sechs Wochen<br />

geschärften Arrest gelautet. Diese Strafe war mit der Haft im Emsland verbüßt, und Foige kehrte vermutlich<br />

wieder zu se<strong>in</strong>er bisherigen E<strong>in</strong>heit zurück (KÖSTERS 1992, S. 23).<br />

41 KLAUSCH – Bewährungstruppe 1995, S. 106. – Die Zuständigkeit des Ger. d. Div. Nr. 176 ist bis August 1944<br />

nachweisbar (Ger. d. Div. Nr. 176, Bielefeld, an SGL I, 09.08.1944, StA OS, ebd. L<strong>in</strong> II Nr. 2455).<br />

42 GROSS o. J. (wie Anm. 38).<br />

43 KLAUSCH, ebd., S. 106f. – E<strong>in</strong> solches Gutachten wird z. B. beim Fall He<strong>in</strong>z M. <strong>in</strong> Kap. 4.3.4 erörtert.<br />

44 KLAUSCH, ebd., S. 106.

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