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Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht. Militärgerichtlich Verurteilte in ...

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- 79 -<br />

Zwängen und Nöten stark e<strong>in</strong>geschränkt. 85 In juristischen Term<strong>in</strong>i gesprochen: Nach den „Führer-<br />

Richtl<strong>in</strong>ien“ »war so gut wie jede Spezialprävention zu Gunsten der Generalprävention ausgeschlossen«.<br />

Richter, <strong>die</strong> <strong>in</strong> ihrer Urteils- und Strafmaßf<strong>in</strong>dung von der Hitler-Order abweichen wollten, hatten<br />

arge Schwierigkeiten, <strong>die</strong>s dem Gerichtsherrn – der das Urteil ja bei ‚Nichtgefallen‘ aufheben<br />

konnte – plausibel zu machen. 86<br />

SEIDLER gewann aus se<strong>in</strong>em Studium von Prozessakten und Erlassen den E<strong>in</strong>druck, »wie leicht den<br />

Männern <strong>die</strong> Desertion gemacht worden war«. Sonderausweise, Urlaubssche<strong>in</strong>e u. ä. seien häufig unschwer<br />

zugänglich gewesen, ebenso Stempel und Siegel; rechtmäßig ausgestellte Papiere seien oft verfälscht<br />

worden, ohne dass <strong>die</strong>ses kurzfristig aufgefallen wäre. 87 SCHWINGE wagt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gesetzeskommentar<br />

e<strong>in</strong>e psychologische E<strong>in</strong>schätzung des „Tätertyps Fahnenflüchtiger“, <strong>die</strong> tief blicken lässt<br />

und ke<strong>in</strong>er Erläuterung bedarf:<br />

»Erfahrungsgemäß rekrutieren sich <strong>die</strong> Fahnenflüchtigen zum größten Teile aus psychopathischen<br />

M<strong>in</strong>derwertigen, deren Anteil an der Gesamtzahl der <strong>Verurteilte</strong>n sich nach ärztlichen<br />

Schätzungen zwischen 50 und 90 v. H. bewegt. Das Hauptkont<strong>in</strong>gent stellen <strong>die</strong> Gruppen der<br />

Stimmungslabilen und Willensschwachen (Haltlosen), daneben spielen auch <strong>die</strong> Hysterischen<br />

und Phantasten e<strong>in</strong>e Rolle. […] Durchweg handelt es sich hier um Menschen, <strong>die</strong> sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> militärische<br />

Ordnung schlecht e<strong>in</strong>zufügen vermögen, leicht versagen und auf Grund ihrer seelischen<br />

Struktur ganz besonders zu Fahnenflucht und u[nerlaubter]. E[ntfernung]. neigen. Nachsicht ist<br />

<strong>die</strong>sen Elementen gegenüber nicht am Platze«. 88<br />

In der Regel wurde Fahnenflucht angenommen – und unerlaubte Entfernung ausgeschlossen –,<br />

wenn es sich um e<strong>in</strong>e Folgetat handelte, der Täter also versuchte, sich vor der Bestrafung e<strong>in</strong>es (anderen)<br />

Delikts zu drücken, denn, so SCHWINGE: »Im Allgeme<strong>in</strong>en schließt <strong>die</strong> Absicht, sich durch Flucht<br />

dauernd der Bestrafung zu entziehen, notwendig auch <strong>die</strong> Absicht e<strong>in</strong>, mit dem Wehr<strong>die</strong>nst<br />

Schluss zu machen.« 89 Daher wurde auch e<strong>in</strong> Ausbruch, z. B. aus e<strong>in</strong>em <strong>Wehrmacht</strong>gefängnis, pr<strong>in</strong>zipiell<br />

als Fahnenflucht e<strong>in</strong>gestuft – dem Ausbrechenden wurde unterstellt, er wolle der Strafvollstre<br />

85<br />

Ganz anders sieht <strong>die</strong>s SEIDLER 1993, S. 302.<br />

86<br />

BADER 1945, S. 105. – Viele Richter – offenbar besonders solche der Luftwaffe – hätten, um den »berüchtigten<br />

„Richtl<strong>in</strong>ien des Führers“« auszuweichen, wenn irgend möglich auf unerlaubte Entfernung entschieden.<br />

»Um nun der Skylla der Todesurteile zu entgehen, begab man sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Charybdis der unerlaubten Entfernung.«<br />

Damit das Urteil auch bestätigt wurde, sei häufig e<strong>in</strong> besonders schwerer Fall angenommen und der<br />

Angeklagte somit zu e<strong>in</strong>er Zh.-Strafe verurteilt worden (Ebd.; vgl. auch SEIDLER 1993, S. 145, 285 u. 309).<br />

Lothar GRUCHMANN erwähnt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Aufsatz über <strong>die</strong> Mar<strong>in</strong>ejustiz als Beispiel <strong>für</strong> regionale Steuerung<br />

der Rechtssprechung durch <strong>die</strong> höheren Gerichtsherrn e<strong>in</strong>e Verfügung des Komman<strong>die</strong>renden Admirals der<br />

Nordseestation vom 12.10.1942, der e<strong>in</strong>en Fall von se<strong>in</strong>er Ansicht nach zu lascher Bestrafung e<strong>in</strong>er Wachverfehlung<br />

zum Anlass <strong>für</strong> u. a. folgenden, <strong>in</strong> <strong>die</strong> gleiche Richtung gehenden Kommentar nahm: Hauptaufgabe<br />

der Kriegsgerichte sei es,<br />

»<strong>die</strong> Schlagkraft der Truppe jederzeit zu garantieren. […] Von e<strong>in</strong>er wirksamen Garantie der Schlagkraft<br />

kann aber dann nicht <strong>die</strong> Rede se<strong>in</strong>, wenn es den gerichtlichen Urteilen an der notwendigen Schärfe<br />

fehlt. […] Die Kriegsgerichte müssen sich davor hüten, <strong>in</strong> den Fehler von 1918 zu verfallen. Es dürfen<br />

im Kriege ke<strong>in</strong>e Urteile gefällt werden, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Überbewertung persönlicher Entschuldigungsgründe<br />

und <strong>in</strong> falsch angewandter Milde der objektiven Gefährlichkeit der Verfehlung nicht genügend Rechnung<br />

tragen.« (Zit. n. GRUCHMANN 1978, S. 460f. (Kursive Herv. s<strong>in</strong>d im Orig<strong>in</strong>al unterstrichen); vgl.<br />

auch FAHLE 1998, S. 6)<br />

87 SEIDLER 1993, S. 163 - 166 (Zitat S. 163).<br />

88 SCHWINGE 1944, S. 185 (Herv. im Orig<strong>in</strong>al).<br />

89 Ebd., S. 187f. (Zitat S. 188). – In e<strong>in</strong>em so gelagerten Fall sollte Fahnenflucht »nur unter besonderen Voraussetzungen«<br />

nicht angenommen werden (Ebd.).

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