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Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht. Militärgerichtlich Verurteilte in ...

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»Das Leben im Lager ist <strong>für</strong> Willi Pütz geprägt durch Arbeit. Er kuhlt, sticht Torf und zieht Entwässerungsgräben;<br />

sonntags meldet er sich <strong>für</strong> <strong>die</strong> begehrten Privatkommandos auf den umliegenden<br />

Bauernhöfen, weil es dort Zigaretten und vor allem reichlich zu essen gibt; oder er arbeitet<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Firma Seidensticker.« 385<br />

Im August 1942 wurde Pütz mit etwa 1.000 weiteren ELL-Häftl<strong>in</strong>gen nach Nordnorwegen geschickt.<br />

Beim „Kdo. Nord“ blieb er <strong>die</strong> folgenden fast drei Jahre, bis er als e<strong>in</strong>er der wenigen Überlebenden<br />

<strong>die</strong>ses E<strong>in</strong>satzes im Frühjahr 1945 wieder nach Deutschland zurückgebracht wurde. Zunächst<br />

<strong>in</strong> Flensburg, dann <strong>in</strong> Kiel wurden <strong>die</strong> Häftl<strong>in</strong>ge teilweise noch monatelang von den britischen Besatzungsbehörden<br />

festgehalten. Erst im Oktober 1945 konnte Willi Pütz nach L<strong>in</strong>gen zurückkehren. 386<br />

Diebstahlsdelikte wurden von den Militärgerichten häufig zusammen mit Desertionstatbeständen<br />

geahndet; teils – wie im folgenden Fall – waren der Diebstahl und <strong>die</strong> Angst vor der Bestrafung Auslöser<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Fahnenflucht oder unerlaubte Entfernung, teils erfolgte zuerst <strong>die</strong> Flucht, um „durchzukommen“<br />

und unterzutauchen, ohne aufzufallen mussten <strong>die</strong> Deserteure dann jedoch <strong>die</strong> Gesetze verletzen<br />

und beispielsweise Lebensmittel stehlen. 387<br />

Horst Schluckner wurde am 11.11.1921 im Berl<strong>in</strong>er Stadtteil Neukölln geboren und erlernte den<br />

Beruf des Masch<strong>in</strong>enschlossers. Im Oktober 1940 wurde er zur Luftwaffe e<strong>in</strong>gezogen – er hatte sich<br />

freiwillig dazu gemeldet – und war ab März 1941 auf dem Fliegerhorst Heiligenbeil <strong>in</strong> Ostpreußen stationiert.<br />

Ende <strong>die</strong>ses Jahres geschah, was er später folgendermaßen beschrieb:<br />

»Bei dem Absturz e<strong>in</strong>er unserer JU 88 auf unserem Flugplatz hatte ich mir von e<strong>in</strong>em der toten<br />

Besatzung[smitglieder] e<strong>in</strong>e Pistole 08 angeeignet und <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em privaten Besitz versteckt. Ich<br />

weiß heute noch nicht, welcher Teufel mich damals geritten hatte und was ich eigentlich damit<br />

wollte, vielleicht war me<strong>in</strong>e damalige Jugend daran schuld; zum anderen wurde ich von e<strong>in</strong>em<br />

Offizier erwischt, als ich e<strong>in</strong>em Gefangenen der Roten Armee e<strong>in</strong> Brot zusteckte. Wir hatten ca.<br />

2.000 Gefangene, <strong>die</strong> auf unserem Fliegerhorst arbeiten mussten, unter erbärmlichen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

und mit e<strong>in</strong>er hohen Todesrate wegen Unterernährung und schwerster Misshandlungen.<br />

An <strong>die</strong>sem Tag hatte ich aber bereits me<strong>in</strong>en Urlaubssche<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Tasche und fuhr noch auf<br />

Urlaub. Als ich zurückkam, wurde ich unter dem Tatverdacht der Gefangenenbegünstigung und<br />

des militärischen Diebstahls festgenommen, man hatte <strong>in</strong>zwischen <strong>die</strong> Pistole gefunden, und e<strong>in</strong><br />

Offizier hatte gegen mich Tatbericht e<strong>in</strong>geleitet. Man drohte mir mit der Strafkompanie <strong>in</strong> Torgau.<br />

Aus <strong>die</strong>sem Grunde b<strong>in</strong> ich dann aus dem Arrest geflüchtet, habe mich bis nach Berl<strong>in</strong><br />

durchschlagen können und habe mich dort vier Tage bei e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> versteckt, <strong>die</strong> wusste,<br />

dass ich fahnenflüchtig war«. 388<br />

Unter e<strong>in</strong>em Vorwand lieh sich Schluckner bei der Mutter e<strong>in</strong>es Schulfreundes Zivilkleidung und<br />

fuhr weiter zu Verwandten nach Tetschen-Bodenbach im Sudetenland. Nach zehn Tagen Aufenthalt<br />

385 Int. Pütz 1991. – Zu den genannten Tätigkeiten siehe <strong>die</strong> Kap. 5.1.2.1.1, 5.1.2.2 und 5.1.2.3.1.<br />

386 Int. Pütz 1991. – Zum Kdo. Nord siehe auch Kap. 5.1.2.4.1.<br />

Außer bei se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>lieferung lässt sich Willi Pütz‘ Name <strong>in</strong> den ELL-Akten nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Liste von Gef., deren<br />

Effekten an <strong>die</strong> Ausweichstelle im Gerichtsgfgs. Duderstadt geschickt wurden, vom 29.10.1944 f<strong>in</strong>den<br />

(StA OS, Rep. 947 L<strong>in</strong> I Nr. 622). – Se<strong>in</strong> Rücktransport aus Nordnorwegen ist dokumentiert durch: Transportliste<br />

d. SGL Nord, Abt. Trondenes, 15.04.1945, DIZ-Archiv, Ordner Lager Nord; »Liste [der] von Flensburg<br />

am 24.5.1945 übernommenen Gefangenen«, Kiel, 24.05.1945, DIZ-Archiv, ebd.<br />

387 Zu den Konsequenzen <strong>die</strong>ser Unterscheidung siehe Kap. 4.3.8.<br />

388 Horst Schluckner, Leipzig, an DIZ, Pbg., 02.03.1989, zit. n. SCHLUCKNER 1990, S. 14; vgl. auch AUSLÄNDER<br />

1997, S. 190 u. 192. – An anderer Stelle schreibt er, auf dem Flugplatzgelände seien sogar »circa 6000 gefangene<br />

russische Soldaten« e<strong>in</strong>gesetzt gewesen (SCHLUCKNER 1992, S. 116). – Heiligenbeil (heute: Mamonovo)<br />

liegt zwischen Königsberg und Elb<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der Nähe der Ostseeküste und gehört zum heute russischen Teil Ostpreußens.

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