sCHACHSAMMELSURIUMvon Hugo KastnerVorabdruck aus: „Das große Humboldt Schach Sammelsurium“Das Schach hatwie die Liebe, wie die Musik,die Fähigkeit,den Menschenglücklich zu machen.Siegbert TarraschGerade im Zeitalter des Computers spielen Millionen Menschenpraktisch täglich Schach. Und Millionen kommunizieren auch über ihreBildschirme mit Schachpartnern, die irgendwo am Erdball verstreutdiesem eineinhalbtausend Jahre alten Spiel frönen. Schach ist und bleibtein Teil des Weltkulturerbes – mögen auch andere Aktivitäten einemschnellen Wandel unterworfen sein. Das einleitende Zitat vom großenLehrmeister Siegbert Tarrasch mag eine Erklärung für dieses Phänomenbieten, eine andere ist wohl die Einzigartigkeit des Schachspiels. Die insich abgeschlossene Welt der 64 Felder, die trotz relativer eingängigerRegeln ungeheure Komplexität und Vielschichtigkeit, die hohe Ästhetikeinzelner Partien und Stellungsmuster, die im geistigen Wettkampffrei werdende Emotionalität und letztlich die Harmonie des Spiels ansich – alles das trägt zum Genuss bei, den Siegbert Tarrasch in seinemÜberschwang in leidenschaftliche Worte kleidete.Wenn ich von Kultur spreche, meine ich auch die schier unglaublicheZahl von mehr als 50.000 Büchern, die Schach als literarische Spielwiesebelegen. Vom „Codex Alfonso“ des kastilischen Königs beginnend überLucena, Gustavus Selenus, Greco, Philidor, Bilguer, Dufresne bis hinaufzu Kasparow wird Schach als Teil unserer Identität beschrieben. Unddoch sind viele Werke der Schachliteratur vorwiegend für Spezialistengeschrieben, für Menschen, die bereits den Weg zum königlichen Spielgefunden haben. Hier war einer meiner Ansätze für dieses Schachmosaik.Ohne Figuren und Brett, ohne Computer-Schachprogramm, ohneSpielpartner dürfen Sie sich dieses Mal der langen Schachgeschichtenähern. Vielleicht wäre der Titel „366 Genüsse für Minuten“ ganz treffendfür dieses Buch. Der zweite Ansatz ist jedoch die unendlich vielfältige Weltder Schachhistorie, mit faszinierenden <strong>Spiele</strong>rtypen, mit kunsthistorischenElementen, mit spannenden, fast paradoxen Problemstellungen undStudien, mit kuriosen Anekdoten und Geschichten, mit unglaublichenRekorden und Gedankensplittern, die auch in andere Bereiche des Lebenshineinführen. Bilder, Diagramme und Texte sollen Ihnen den Weg in diesebunte Welt des Schachs leicht werden lassen.Der Aufbau des Schachsammelsuriums erlaubt einigeSchwerpunktsetzungen und damit ein geistiges Abenteuer für die Leserinoder den Leser. Zum einen wird eine aus vierzehn Teilen bestehendeChronologie präsentiert, die historisch wichtige Momente des königlichenSpiels von der vermuteten Entstehung in Indien über die Verbreitungnach Europa, über Meilensteine der Regelkunde, große Turniere,Weltmeisterschaftsbegegnungen, Olympiaden bis hin zu Highlightsder deutschen, österreichischen und Schweizer Schachgeschichtechronologisch erfasst. Hier bietet sich dem Schachinteressentenein guter Überblick über die ersten 1500 Jahre. Im Kalenderblockwerden Geburts- und Todestage großer Schachmeister sowie weitereHöhepunkte der WM-Geschichte festgehalten, mit kurzen Angaben zuden betreffenden <strong>Spiele</strong>rn. Der Hauptteil des „Kalenderblatts“ wird durcheine bunte Mischung aus Biografien der Meister, denkwürdigen Partien,trickreichen Problemstellungen, Lehrbuchbeispielen, Anekdoten undGeschichten, Rekorden und vieles mehr gebildet. Hier dürfen Sie sichein Eintauchen in eine faszinierende Parallelwelt erwarten. Jeder Monatwird mit einem Übersichtsblatt eingeleitet, wo Sie auf einen Blick dieAngebote der folgenden vier Wochen erfassen können. ZweiunddreißigFarbtafeln illustrieren als eingestreuter Bildteil das spannende Mosaikdes Schachgeschehens. Abgerundet wird das ganze Werk durch eineumfangreiche Literaturliste, ergänzt um informative Internetsites sowiegängige Schachzeitschriften.Über der Einmaligkeit einer Schachpartieschwebt das Unberechenbare,das wir Schicksal nennen.Milan VidmarEi ne Be i s p ie l s e i t e a u s d e m Bu c h:1. Januar Chaturangak a l e n d e r: Lionel Kieseritzky *1806-1853, livländ. Meister • Klaus Junge*1924-1945, dt. MeisterDie Geburt des Schachsist rätselhaft und wunderbarwie das Spiel selbst.Joachim PetzoldSeit Jahrhunderten wird über die Entstehung des königlichenSpiels gerätselt. Und ganz konnten selbst auf Schachspezialisierte Historiker nicht in die Tiefen der Zeit eindringen.Aber eines scheint festzustehen: Indien war das Geburtslanddes Schachs, und irgendwann in der zweiten Hälfte des 6.Jahrhunderts muss die erste Figurenbewegung stattgefundenhaben. Ob diese Zeitangabe nur für das Zweischach gilt oder auchfür die im Diagramm gezeigte Vierschach-Würfelform, ist bei denspärlichen Quellenangaben nicht sicher zu belegen. Der indischeWürfel barg jedoch auch ein Element der Geschicklichkeit, istalso keinesfalls als reiner Glücksfaktor zu verstehen. Jedenfallsstanden früher Elefanten neben den Königen, die entsprechendihrer Schwerfälligkeit nur diagonal eine Figur überspringenkonnten.Warum nun sieht man Indien als Ursprungsland und nicht etwaChina mit der dort üblichen Schachform Xiangqi? Nun, alleinder Name Chaturanga (altind. chatur „vier“, anga „Glied“)bietet einen interessanten Hinweis. Einerseits bedeutet diesesWort im Sanskrit sowohl „Heer“ als auch „Schach“, andererseitsbestand das indische Heer der damaligen Zeit – wie wiraus den Eroberungszügen Alexander des Großen wissen– aus exakt vier Waffengattungen, die vollständig und in ihrernatürlichen Bewegung durch das Spiel symbolisiert werden:Fußtruppen (padati), Kampfwagen (rath), Reiterei (ashwa) undKriegselefanten (haahti). Zumindest Letztere gab es im Reichder Mitte nicht – und „Lehnfiguren“ aus Indien scheinen auspolitischer Räson unwahrscheinlich. Zur Datierung des Spiels: Daspäter in Indien zwei weitere Heeresteile dazukamen, passt auchdie Entstehungszeit vollkommen ins geschichtliche Puzzle. Alshistorisch nicht haltbar gilt dagegen heute der Bezug des Begriffs„viergliedrig“ auf die Vierschach-Grundstellung (siehe Abbildung),aus der sich dann das Shatrang (Zweischach) herausgebildethaben soll. Dem König (raja) wurde demnach ein Wesir (mantri)als Unterstützung beigestellt. Hundertprozentige Sicherheit zurEntstehung des königlichen Spiels kann es jedoch nicht geben,wie Joachim Petzold in seinem schönen Eingangszitat betont.Das große Humboldt Schach Sammelsurium von Hugo KastnerBroschiert: 430 Seiten * Verlag: Humboldt * Erscheint im Dezember 2007ISBN 978-3899941388Seite 68 Das Buch der <strong>Spiele</strong> - <strong>Österreichisches</strong> <strong>Spiele</strong>handbuch2007
FISCHE UND SCHAFE - Materialbogen 2Bitte auf Karton kleben und ausschneiden!